© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Worte, in den Rauch geschlagen
Aus dem „Moränenland“: Der Lyriker Martin Mollnitz legt einen beeindruckenden Gedichtband vor
Baal Müller

Erste Bücher in neugegründeten Verlagen sind oft „Kumpelprojekte“: Jemand bringt das Buch eines Freundes als günstigen Digitaldruck heraus; der Freund zahlt die Druckkosten und verschickt sein mehr oder minder professionell geratenes Opus, Lob und Anerkennung heischend, anläßlich seines runden Geburtstags an Verwandte und Bekannte. Oder man wird Verleger, um das eigene Werk im Selbstverlag zu veröffentlichen – natürlich steht man damit im Ruche, keine andere Publikationsmöglichkeit gefunden zu haben. Ein Gewerbe ist schnell angemeldet, das Buch im Digitalzeitalter billig gedruckt, und wenn mich niemand liebhat, streichele ich meine genial-verkannte Dichterseele eben selbst.

Es gibt jedoch Ausnahmen von solchen Regeln, und eine liegt in Gestalt des soeben im Moränenland Verlag erschienenen bibliophilen Gedichtbandes „Urstrom“ von Martin Mollnitz vor. Das edel und schlicht gehaltene Halbleinenbändchen ist ein graphisches Meisterwerk, und mit gutem Grund wird sein Gestalter Bernd Streiter auf der letzten Seite neben dem Autor porträtiert. Das kleinste Detail ist vom Buchkünstler genauestens bedacht, so daß selbst die Serifen auf den schlanken Titel-Lettern zu den traurig herabhängenden Blüten und den dünnen Stengeln passen, die das grün-graue Cover trotz ihrer Welke zieren.

Grün und schwarz-grau zeigen eine natur- und landschaftslyrische Thematik sowie die düstere Stimmung des Bandes an, über dem ein kämpferisches „Trotzdem“ schwebt, wie auch über den scharfsichtigen, sprachmächtigen Essays von Martin Mollnitz. Lesern der JUNGEN FREIHEIT ist der Autor unter seinem Klarnamen Heino Bosselmann wohlbekannt, aber als Lyriker hält er an seinem, durch literarische Fehden und Enthüllungen „zerschlissenen“ Pseudonym und nom de guerre fest. Dafür, daß es sich um einen unpolitischen Gedichtband handelt, steht das Buch unter einem erstaunlich „kriegerischen“ Stern, aber offenbar muß das heute so sein, wenn der Dichter, mag er auch noch so originell aus den Schubladen springen, ein „Rechter“ ist: Verleger, die sich freigeistig wähnen, schützten moralisch-politische Prinzipien vor, wenn ihnen, bei dem Gedanken, einen nonkonformen Autor zu publizieren, die Hosen überquollen, und niemand nimmt noch zur Kenntnis, was jemand eigentlich geschrieben hat, wenn es nur am „falschen Ort“ erschienen ist.

So gründete Bosselmann, der nach Kindheit und Jugend in der Prignitz und Studienjahren in Leipzig gut zwanzig Jahre als Lehrer an einem Internatsgymnasium in Mecklenburg tätig war und kürzlich den Schritt in die Unabhängigkeit gewagt hat, also seinen eigenen Verlag, und dessen erstes Erzeugnis läßt die üblichen Vorbehalte gegen Selbstverlage oder das kleingeistige Gezeter der Betreiber von Online-Literaturzeitungen sofort zerstieben.

Wer von den üblichen Ausbreitungen gefühliger Belanglosigkeiten in der zeitgenössischen Lyrik gelangweilt ist, wird in diesen Prosagedichten sofort einen anderen, herben und bisweilen deftigen Ton bemerken: Der Autor scheut, als wackerer Enkel Benns oder Urenkel Baudelaires, auch das Ekelhafte und Morbide nicht, aber – und das unterscheidet ihn von heutigen, um Dauerprovokanz beflissenen Ekelpoeten – niemals ist dies für ihn nackter Selbstzweck, und niemals glaubt Mollnitz, in einer bloßen Reduktion auf das Fleischliche, Krankhafte, Medizinische das Menschliche an sich ausmachen zu können. Zwar wird es nicht idealisiert oder in eine religiöse Sphäre transzendiert – Mollnitz ist Atheist und für einen Konservativen erstaunlich antikapitalistisch und „ostalgisch“ eingestellt, obwohl er auch in der DDR durch Unbotmäßigkeit auffiel –, aber alles Niedere und Allzu-Menschliche gewinnt bei ihm ästhetische Gültigkeit durch die Präzision einer Sprache, die man im heutigen Medienzeitalter, in dem der Smiley als Krücke des Ausdrucks dient, kaum noch für möglich hält.

Mollnitz’ Sprachkunst beruht auf seinem Blick für das wesenhafte Mikro-Detail: das „trübe Spülicht“, die „bebrillten Gesichter“, die „Entscheidungsträger, die sich kurz den Kehlsack glattstreichen“, die „schrundigen und narbigen Teerstraßen“, die „sonnenbronzierten Arbeiter“ oder die „Feuerwanzenrennbahn“ – und dann gelingen ihm, durch stilistische Entschlackung, Formulierungen, die nur so und nicht anders sein können, etwa vom „winzigen Nest Krebs in den Bronchien“, der „Invasion Spinnen, die mit flimmernden Freßwerkzeugen unhörbar knisternd und knackend die Häuser besetzen“, oder dem „Hirnwasser“, das „glatt daliegt wie ein tiefer Höhlensee, über den niemand eine Handvoll Licht nachwirft“.

Man kann Mollnitz einen Dichter der Schlichtheit nennen, und seine Meisterschaft besteht darin, das Herbe seiner brandenburgischen Heimat, die Öde fast ausgestorbener Dörfer, die Leere des Alltags diensttuender Soldaten oder des täglich weggeworfenen Lebens heimwärts schwankender Zecher ohne jede Metaphysik auf eine Ebene des Ewigen und Immer-so-Seienden zu erheben.

„Der größte Teil meiner Worte blieb in den Kneipen hängen. / Ich schlug sie dort in den Rauch“, sagt der dem Rausch zugeneigte Poet in einem „Biobibliographie“ überschriebenen Gedicht, aber zum Glück hat er doch einige – vielleicht zunächst nur auf Bierdeckel oder Zettel aus den Quittungsblöcken der Wirte – notiert und dann, spätnachts und mit leeren Taschen, kleine Schätze nach Hause getragen.

 

Kater

Der Schnodder knarrt in den Nebenhöhlen,

Sodbrennen flammt den Schlund hinauf:

Natriumcarbonat einschippen, Bullrich her!

An solchen Morgen bitte immer November,

und man streunt offenen Mantels ungewaschen

durch die fremde Stadt, entdeckt immer neue

verschwiegene Plätze mit Brunnen und abgestellten Fontänen,

kalkig trockener Durst in der Kehle, in den Bronchien

aus Tabak ein winziges Nest Krebs, jetzt noch ein Räuspern,

in dreißig Jahren das feige aufgeschobene Ende.

Die Partysäufer, Fraternisten von gestern, grunzen

noch stöhnend, die Stadt, wie hieß sie doch,

schläft, der öde Tag sitzt wie ein kranker Mann

auf der Nebelbank, und man freut sich,

einfach noch ein- und auszuatmen, biegt

um eine weitere Ecke Fachwerk, findet nur

den nächsten versiegten Brunnen Mittelalter

und schluckt hörbar ins Schweigen hinein.

 

Mollnitz-Gedicht: Ein herber, bisweilen deftiger Ton

www.moraenenland.de

Martin Mollnitz: Urstrom. Moränenland Verlag, Bredenfelde 2013, gebunden,96 Seiten, 22,80 Euro

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