© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Wer vorsorgt, bleibt meist trocken
Hochwasserschutz ist nicht nur eine Frage des Geldes / Ausweisung von Überflutungsgebieten unverzichtbar
Christian Schreiber

Millionen riefen in den vergangenen Wochen die Internet­angebote der Wetterstationen auf, um sich über die aktuelle Hochwasserlage zu informieren. Die Nachfrage war so groß, daß einige Informationsseiten wegen Überlastung zusammenbrachen. Mittel- und Süddeutschland, Oberösterreich sowie Nordböhmen hatte das schaurige Naturereignis diesmal stärker im Griff als die Jahrhundertflut vor elf Jahren. Und wie immer beginnt die Suche nach Ursachen und Schuldigen in den trockenen Studier- und Redaktionsstuben, schon bevor der Hochwasserscheitelpunkt erreicht wurde.

Auslöser sei eine „sehr, sehr ungewöhnliche Großwetterlage gewesen, wie sie wirklich sehr, sehr selten auftritt“, vermeldete der renommierte Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach, „Naturphänomene dieser Art hat es immer wieder gegeben.“ Der DWD taxiert die Regenmenge der vergangenen Wochen auf knapp 23 Billionen Liter – das entspricht etwa der Hälfte des gesamten Bodenseewassers. Im Zusammenhang mit einer späten Schneeschmelze nach einem niederschlagsreichen Winter in den Alpen führte dies zur Katastrophe. In den französischen Vogesen war der vergangene Winter auch außergewöhnlich lang und kalt, aber weniger schneereich. Obwohl es im Elsaß, in Lothringen sowie im angrenzenden Saarland ebenfalls stark regnete, blieben diese Gebiete von großen Überschwemmungen verschont.

Die Grünen nutzten die entfesselten Naturkräfte dennoch zum vorgezogenen Wahlkampf. Der Klimawandel sei schuld: „Extreme Wetterereignisse und Überschwemmungen werden dadurch immer wahrscheinlicher.“ Die Bundesregierung subventioniere klimaschädliche Industrien, „die Kohle boomt und die deutschen Treibhausgas-Emissionen steigen an“. Das wolle man mit einem „grünen Klimaschutzgesetz“ ändern.

Doch im Jahr 1501, als das Wasser in Passau ähnlich hoch stand, gab es weder Kohlekraftwerke noch benzinfressende Dienstwagen. Hochwasserschutzexperten sehen andere Ursachen, warum mancherorts die Flutkatastrophe massiv wütete und andere Städte von großen Flutwellen verschont bleiben.

Berlin etwa hat allen Grund zu Gelassenheit. Die Spree wird durch mehrere Staustufen nahezu komplett technisch reguliert. Indem man die Wehre stufenweise schließt oder öffnet, läßt sich der Wasserstand des Flusses stark beeinflussen. Bei geöffneten Wehrklappen nimmt die Strömung zu, mehr Wasser kann rasch abfließen. Umgekehrt läßt sich ein zu tiefer Wasserstand im Interesse der Schiffahrt verhindern.

Ein ähnliches Szenario erleben die Menschen seit einiger Zeit in Saarbrücken. Bis zur Jahrhundertwende war die Landeshauptstadt ein Hochwasser-Krisengebiet. Regelmäßig trat die Saar in der Innenstadt über die Ufer, überschwemmte die Autobahn und brachte das öffentliche Leben zum Erliegen. Durch den Bau von Staustufen und – gegen Widerstände – der Schaffung von Flutwiesen vor den Toren der Stadt hat sich dieses Problem entschärft.

Dies betrachten auch Umweltschützer als vorbildlich: „Nach der Jahrhundertflut 2002 hat die damalige Bundesregierung versprochen, den Flüssen mehr Raum zu geben. Seitdem wurden große Summen vor allem in technische Maßnahmen zum Hochwasserschutz investiert. Es ist an der Zeit, endlich neue Projekte für zusätzliche Überschwemmungsflächen, für neue Auen und für die Rückverlegung von Deichen in Angriff zu nehmen“, forderte etwa der Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz, Hubert Weiger.

Doch die praktische Umsetzung dieser Forderung gestaltet sich nicht einfach. Dies beklagt auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Zur Schaffung neuer Ausweich- und Rückhalteflächen für Hochwasser entlang der Flüsse müßten Deiche tatsächlich verlegt werden. Davon wären vor allem attraktive Agrarflächen betroffen. Eine CSU-Regierung, die Bauern enteignet? Politisch wie juristisch ein heikles Unterfangen. „Der Umweltminister wird dazu einen Vorschlag machen und klären, ob das bestehende Recht ausreicht“, verkündete Seehofer ausweichend – und brachte die regionalen Bauernverbände auf die Barrikaden.

Die Auseinandersetzung in Bayern offenbart das Dilemma des Hochwasserschutzes: Konzepte sind vorhanden, aber die Umsetzung scheitert an lautstarken Interessengruppen. Der Neubau von Hochwasserrückhaltebecken und Flutpoldern kommt nur schleppend voran. Die meisten Talsperren stammen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Die Bauindustrie macht lokale Bürgerinitiativen für einen Teil der Hochwasserschäden mitverantwortlich. Sie hätten mit ihren Protesten den Bau von Schutzmauern etwa in Sachsen blockiert, klagte der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), Thomas Bauer. Ein wirksamer Schutz vor Überschwemmungen sei möglich. „Da gibt es viele bautechnische Lösungen, um solche Katastrophen zu verhindern“, sagte Bauer. „Aber es geht einfach nicht vorwärts.“

Seehofer will die Macht des Augenblicks nutzen: „So schlimm es ist, es ist auch eine Chance, Veränderungen zu schaffen.“ Die Erfahrungen aus der Jahrhundertflut 2002 machen allerdings wenig Hoffnung. Kaum waren die Pegel gesunken, setzte politisches KleinKlein ein. Mancherorts tobten jahrelang juristische Auseinandersetzungen um den Bau von Dämmen, Schutzmauern und Deichen. „Das Beispiel Berlin zeigt, daß der Mensch die Natur zwar nicht kontrollieren, aber Risiken minimieren kann. Das sollte sich jeder bewußtmachen“, so HDB-Chef Bauer.

 

Kosten der Katastrophenschäden

Die Jahrhundertflut von 2002 hat laut Zahlen der Bundesregierung allein in Deutschland Hochwasserschäden von insgesamt 13 Milliarden Euro verursacht. Nur 1,8 Milliarden Euro davon wurden über private Versicherungen reguliert. Das geht aus dem aktuellen Naturgefahrenreport des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hervor. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge war der geleistete Schadenersatz mit durchschnittlich 74.000 Euro pro Gebäude am höchsten. Ein Grund waren von der Allianz übernommene Altverträge der Staatlichen Versicherung der DDR, die Elementarschäden auch in hochwassergefährdeten Gebieten einschloß. Heute sind laut GDV noch 99 Prozent aller Gebäude gegen Hochwasser versicherbar – in Flutgebieten allerdings zu sehr teuren Konditionen, oder wie das eine Prozent gar nicht. Die bezahlten Flutschäden vom August 2010 – dem feuchtesten Sommermonat seit 1881 – beliefen sich auf lediglich 300 Millionen Euro.

„Naturgefahrenreport 2012“: gdv.de/

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