© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Eine Frage der Macht
„Prism“-Skandal: Mit den Abhöraktionen verfolgt Amerika knallhart seine Interessen
Thorsten Hinz

Die Enthüllung des amerikanischen Spionageangriffs namens „Prism“ löst zwei spontane Regungen aus: Erstens Schadenfreude darüber, daß die US-Führung, die sich gerade über Hacker-Angriffe aus China empörte, nun selber als der „Big Brother“ entlarvt ist, den man in ihr vermutet hat. Zweitens Empörung, weil die NSA, die nationale Sicherheitsbehörde der USA, in den globalen und vor allem deutschen Internetverkehr hineinschaut wie in ein offenes Buch. Es wäre jedoch kindisch, es bei diesen Reaktionen zu belassen.

Das „Prism“-Programm ist keine Überraschung. Die NSA betreibt schon seit Jahrzehnten das weltweite Abhörsystem Echelon, an dem auch Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland beteiligt sind: ein angelsächsischer Machtblock. „Prism“ stellt die logische Ergänzung dazu dar.

Wir müssen einsehen, daß die nationalen Diskussionen um den Datenschutz virtuell und gegenstandslos sind. Längst sind wir gläserne Bürger und damit kontrollier-, erpreß- und steuerbar. Steuerbar durch die Instanzen, die Zugriff auf unsere Daten haben. Sie können zur sanften Manipulation, aber auch zur handfesten Erpressung genutzt werden.

Zur Begründung für „Prism“ wird der Kampf gegen den Terror angeführt. Der ist wichtig, aber zugleich ein Vorwand. Konkret geht es um den islamistischen Terror. Dessen Drohung ist nicht zuletzt eine Begleiterscheinung der falschen Zuwanderung, die von denselben Machtinstanzen, die uns kontrollieren, als Bereicherung oder „Diversity“ gepriesen wird. Um die entstandenen Risiken zu begrenzen, wird jetzt ein Netz der Spitzelei über Staaten und Gesellschaften geworfen. So werden das Selbst- und das zwischenmenschliche Vertrauen schleichend zerstört und gemeinsames Handeln zur Gegenwehr verhindert. Desto leichter lassen die Atomisierten sich beherrschen.

Nicht zufällig ist es ein amerikanischer Geheimdienst, der die nationalen und europäischen Regeln und Gesetze beiseite wischt. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erklärte zunächst, er habe nichts davon gewußt. Eine glaubhafte Aussage, aber auch ein Armutszeugnis für einen Mann, dem der Schutz des Landes und seiner Bürger unmittelbar anvertraut ist. Wenige Tage später wies er deutsche Kritik an „Prism“ zurück. So dürfe man nicht mit den amerikanischen Freunden umgehen, die im Kampf gegen den Terrorismus unsere wichtigsten Partner seien. So redet kein Minister eines selbstbewußten Staates, sondern der Beamte eines Protektorats.

Friedrich hatte sich inzwischen wohl darüber informieren lassen, daß deutsche Geheimdienste mit den amerikanischen zusammenarbeiten und deren Erkenntnisse nutzten. Das ändert nichts daran, daß deutsche Behörden im eigenen Land als Hilfstruppen agieren. Das hat Tradition, denn die Überwachung von Post und Telefon in Deutschland war jahrzehntelang durch das Besatzungsrecht gedeckt. Hohe deutsche Sicherheitsbeamte wie der BKA-Präsident Paul Dickopf (1965–1970) waren zugleich CIA-Agenten. Zwar ist die Bundesrepublik seit 1990 formal souverän, aber die alten Gewohnheiten und Verhaltensweisen wirken weiter.

Bloßes Moralisieren läuft ins Leere. Die USA sind ein Imperium, und sie handeln danach. Wer die Macht hat, der legt auch die Grammatik des Völkerrechts fest. Es ist rührend, wenn deutsche Politiker jetzt gemeinsame Regeln für die Überwachung fordern. Denn hier geht es nicht um technische Fragen oder liberale Werte, sondern um Macht.

Bis in das 20. Jahrhundert war England der Welthegemon, weil es die globalen Seewege beherrschte. Heute ist – neben der Herrschaft über den Luft- und den Weltraum – die Gewalt über die globalen Datenautobahnen entscheidend. Die USA sind sich dessen bewußt und schlagen gnadenlos zu, wenn ihre Macht hier angetastet wird. Wikileaks-Gründer Julian Assange befindet sich seit Jahren auf der Flucht, sein Informant, Bradley Manning, wird sein restliches Leben wohl hinter Gittern verbringen. „Prism“-Enthüller Edward Snowden kann sich seines Lebens nicht sicherer sein als sowjetische Dissidenten zu KGB-Zeiten.

Mit den US-Behörden ziehen Tausende amerikanische Technologie-, Finanz- und Kommunikationsfirmen an einem Strang. Die einen arbeiten wider-, andere freiwillig mit den Geheimdiensten zusammen. Die freie und multinationale Wirtschaft hin oder her – für den Rest der Welt stellt es ein Risiko dar, daß amerikanische Firmen die globale Kommunikationsbranche monopolisiert haben. Das Echelon-System dient bekanntermaßen auch der Wirtschaftsspionage. Deutschland, die viertgrößte Wirtschaftsmacht, ist ein natürliches Zielobjekt. Warum sollte es bei „Prism“ anders sein? Es ist naiv, die außenpolitischen Kombinationen auf Handels- und Wirtschaftspolitik zu beschränken und im übrigen auf eine Interessenidentität befreundeter Staaten zu vertrauen.

Und dann ist da noch der nette Obama, den die Zeit einst euphorisch als „guten Führer“ titulierte. In Wahrheit gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zu seinem Vorgänger, es kann ihn gar nicht geben. Den Deutschen bietet die „Prism“-Affäre ein Lehrstück in mehreren Akten.

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