© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Jagdszenen aus der Provinz
„Kampf gegen Rechts“: Im hessischen Karben protestiert die CDU mit Linksextremisten gegen Konservative
Henning Hoffgaard

Karben, 21.000 Einwohner, hessische Provinz. Und neuerdings auch ein „Neonazi-Nest“, wenn man der Frankfurter Rundschau glauben will. Eine Kleinstadt im Ausnahmezustand. Pressekonferenzen werden eilig einberufen, die Stadtverwaltung ist in heller Aufregung, und die Moscheegemeinde zeigt sich „tief bestürzt“. Was ist passiert?

Ein kleiner Laden, kaum 40 Quadratmeter groß, sorgt seit Wochen für Aufregung. Inhaber Andreas Lichert hatte in den Räumen die „Projektwerkstatt Karben“ ins Leben gerufen. Ziel sei es, eine „offene Plattform für Jugendliche“ zu schaffen, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Und auch ein Veranstaltungsort für Konservative und Euro-Kritiker. Die ersten Gäste kamen von der Identitären Bewegung. Diese hat in Deutschland in den vergangenen Monaten zunehmend Anhänger gewonnen. Hauptziel ist nach eigenen Angaben ist die Bewahrung des europäischen Abendlandes. Auch die Masseneinwanderung lehnt die Jugendbewegung ab. Zum harten Kern gehören etwas mehr als 200 Jugendliche.

Am 11. Mai waren knapp 20 Identitäre aus der Umgebung angereist, um in der Projektwerkstatt zu diskutieren. Lichert läßt die Flyer der Identitären im Schaufenster liegen. „Heimatliebe ist kein Verbrechen“, steht darauf. Oder: „Heimat, Freiheit, Tradition: Identitäre Generation!“ Dort müssen sie auch den Gästen der nebenan gelegenen Ditib-Moschee aufgefallen sein. Der 37jährige sucht das Gespräch mit den Moslems. Viele hätten positiv reagiert, erzählt er. Einer habe sich jedoch beschwert. Lichert nimmt das Informationsmaterial deswegen wieder aus seinem Laden. Zu spät.

Knapp zehn Tage später, am 25. Mai, berufen die Stadtväter eine Pressekonferenz ein. Der Ton ist scharf. „Der Angriff auf einzelne in unserer Stadt ist ein Angriff auf uns alle. Aber wir lassen uns nicht spalten. Wir brauchen keine neue Identität und keine Ausgrenzung“, sagt Integrationsstadtrat Philipp von Leonhardi. Und: „Wir werden die Angreifer müde machen, bis sie ihre Aktivitäten einstellen.“ Der CDU-Politiker bedient sich einer martialischen Sprache. Immer wieder spricht er von „Angreifern“, von „zerstören“ und „ausbeißen“. Was ihn genau stört, bleibt unklar. Am Telefon hat Leonhardi stets „keine Zeit“, auf JF-Anfrage reagiert der Politiker nicht. Lichert, der auch Vorsitzender des Vereins für Staatspolitik und damit Träger des Instituts für Staatspolitik (IfS) ist, kann die Aggressivität nicht verstehen. „Ich habe nichts Verbotenes gemacht.“ Daß es sich bei der „Projektwerkstatt“ um ein „identitäres Zentrum“ handeln soll, wie einige Lokalpolitiker behaupten, sei schlicht falsch. Ihm ginge es vielmehr um die Debatte rund um die Euro-Rettung.

Seine Gesprächsangebote schlägt Leonhardi aus. Er spricht lieber über Lichert. Höhepunkt der Kampagne ist ein „Bürgertreffen“ im Gemeindehaus. 500 Personen sind in der vergangenen Woche gekommen, darunter auch Dutzende Anhänger der linksextremen Szene. Die Stimmung ist aufgeheizt. Derjenige, um den es geht, darf allerdings nicht zu Wort kommen. Der CDU-Politiker belegt Lichert mit einem Hausverbot. Und nicht nur ihn. Kritische Nachfragen sind nicht erwünscht. Einigen Personen wird von Antifa-Anhängern das Mikrofon entrissen, schildert ein Teilnehmer. Die Polizei muß eingreifen. Am Ende wird dann ein „Bündnis für ein offenes Karben ohne Nazis“ gegründet in dem vor allem die örtliche „Stolpersteine-Initiative“, die Kurt-Schumacher-Schule, der Ausländerbeirat, der Deutsch-Ausländische Freundeskreis und die Türkisch-Islamische Gemeinde aktiv sind. Gerade letztere hatte im Vorfeld durch lautstarke Kritik auf sich aufmerksam gemacht.

Die von der türkischen Religionsbehörde Ditib betriebene Moschee liegt in direkter Nachbarschaft zur Projektwerkstatt. „Ich war sehr schockiert und empört, als ich von meinem Vater von der Gruppe hörte“, sagt Nureddin Koçak, der zur Ditib-Gemeinde gehört, der örtlichen Zeitung. Lichert schildert das Verhältnis zur islamischen Gemeinde dagegen als unkompliziert. Bis heute. „Noch zu Pfingsten hat mich der Imam in die Kirche eingeladen.“ Aus Termingründen habe er jedoch absagen müssen.

Auch sonst sei die Nachbarschaft mehr als irritiert über die Stadtoberen. „Die meisten Anwohner sehen es neutral bis positiv“, betont Lichert. „Kapitulationsverhandlungen“, wie sie ihm von der Gemeinde angeboten worden seien, lehnt er ab. „Ich stehe mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes.“ Das sich die Verwaltung von Linksextremisten diktieren lasse, wer in Karben ein Geschäft betreiben dürfe, sei ein Skandal, sagt Lichert ruhig. „Es ist auch ein Angriff auf die Demokratie.“ Vorerst will er keine weiteren Veranstaltungen organisieren. „Am Ende wird noch jemand verletzt.“ In den kommenden Tagen werde er den Kontakt zu den Nachbarn suchen, um über sein Projekt aufzuklären. Aufgeben will er so schnell jedoch nicht.

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