© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

„Die Demokratie geht vor die Hunde“
Bundesverfassungsgericht: Nach der zweitägigen Anhörung zum ständigen Euro-Rettungsschirm ESM hat das Warten auf eine Entscheidung begonnen
Taras Maygutiak

Wann und welche Entscheidung das Bundesverfassungsgericht nach der zweitägigen mündlichen Verhandlung in der vergangenen Woche in Sachen ESM/EZB verkünden wird, entscheidet sich laut Gericht „in einigen Monaten“. Sicher ist wohl, daß die Urteilsverkündung erst nach der Bundestagswahl am 22. September sein wird.

Neben den offenen Fragen, die das Gericht zum ESM Rettungsschirm klären will (JF 25/13), ging es in Karlsruhe in weiten Teilen um den Staatsanleihenankauf der EZB durch das OMT-Programm (Outright Monetary Transactions), das am 6. September 2012 ins Leben gerufen wurde, sowie dessen Rechtmäßigkeit. Bereits fünf Wochen zuvor hatte EZB-Chef Mario Draghi in Aussicht gestellt, die EZB werde, falls notwendig, unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen. Die Märkte beruhigten sich damals, die hohen Zinsen, die einige Staaten zahlen mußten, um neue Schulden aufzunehmen, sanken. Heiligt der Zweck die Mittel, und alles ist in Ordnung? Mitnichten, meinen die Kläger und beinahe unisono alle Ökonomen, die in Karlsruhe als Sachverständige gehört wurden.

Obendrein verneinen sie, daß der Staatsanleihenankauf durch die Zentralbank überhaupt das richtige Mittel ist. Moniert wurde, daß der EZB die Kompetenz für ihre Rettungspolitik fehle und daß sie das Verbot der Staatsfinanzierung verletze. „Während die EZB sich im Glanze dieses Erfolges sonnt und die Medien ihren Präsidenten als eine Art Euro-Supermann feiern, nimmt die Öffentlichkeit teilnahmslos hin, daß bei dieser Art von Euro-Rettung die Demokratie vor die Hunde geht“, beklagte der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek, der Prozeßbevollmächtigte des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler. Mit ihrem OMT-Programm ermächtige sich die EZB selbst, etwas zu tun, was in keinem demokratischen Staat der Welt ohne Zustimmung eines Parlamentes möglich wäre: einen unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen, der „Hunderte von Milliarden, möglicherweise Billionen Euro an Steuergeldern anderer, von diesem Ankaufsprogramm nicht begünstigter Staaten ins Risiko stellt.“ Das OMT sei ein Programm der Vergemeinschaftung von Staatsschulden, aus der Währungsunion mache die EZB eine Haftungsunion, so Murswiek. Eindringlich warnte er: „Die Folge kann die gigantischste Vermögensumverteilung sein, die es in der Geschichte der Europäischen Union gegeben hat – beschlossen von einem Gremium ohne jede demokratische Legitimation.“

EZB-Direktor Jörg Asmussen, der als Sachverständiger auftrat, war hauptsächlich damit beschäftigt, sich gegen die massive Kritik, die ihm von seiten der Kläger und anderen Sachverständigen entgegenschlug, zu verteidigen. „Das Ziel von OMT ist nicht, Staatsinsolvenz zu vermeiden“, beteuerte er. Er sprach beim Kauf von Staatsanleihen von einem „normalen Instrumentarium“, mit dem man der Geldpolitik zu Durchschlagskraft verhelfen wolle. Die anderen Ökonomen im Gerichtssaal sahen das anders: Mit Geldpolitik habe das wenig zu tun, „die zentrale Wirkung ist vielmehr eine fiskalische“, meinte etwa Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.

Die bohrenden Nachfragen des Gerichts zu Details – sowohl bei den Sachverständigen als auch bei EZB-Mann Asmussen – zeugten davon, daß es sich das Bundesverfassungsgericht nicht einfach machen wird. Optimismus, daß das Gericht Bundesregierung und Bundestag zum Austritt aus der Währungsunion verpflichten wird, da die EZB das Verbot der Staatsfinanzierung verletzt?

Der Kläger Joachim Starbatty gab sich nach der Verhandlung zuversichtlich, daß das Verfassungsgericht die Staatsfinanzierung durch die EZB stoppen könnte. Ein hartes Verbot sei aber wenig wahrscheinlich: „Möglich wäre allerdings die elegante Lösung, daß das Gericht der Bundesbank selbst die Entscheidungsmacht überträgt, an den Käufen teilzunehmen – oder die Käufe zu verweigern“, sagt Starbatty. Während in Karlsruhe verhandelt wurde, bekam die EZB durch IWF-Chefin Christine Lagarde moralische Unterstützung. Die Ankündigung des OMT-Programms war aus ihrer Sicht ein positiver Wendepunkt in der Krise. Jetzt ist Karlsruhe am Zug.

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