© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Psssssst!
NSA-Skandal: Der amerikanische Nachrichtendienst hat sich massenhaft Zugriff auf Internetdaten verschafft. Auch deutsche Nutzer sind betroffen
Thorsten Brückner

Über Edward Snowden gehen die Meinungen auseinander: Er habe aus ehrlichen Motiven gehandelt, ist der libertäre Republikaner Ron Paul überzeugt, der seit Jahren gegen die Überwachungsmethoden des Staates zu Felde zieht. Andere, wie Fox-News-Militärexperte Ralph Peters, würden den im Hongkonger Exil gegen seine Auslieferung kämpfenden IT-Experten am liebsten exekutiert sehen. Snowden selbst sieht sich derweil weder als Held noch als Verräter, sondern als einen besorgten Amerikaner, der der Beschneidung verfassungsmäßiger Rechte nicht mehr länger zusehen wollte.

Die Telefondaten von über 100 Millionen Amerikanern und der E-Mail-Verkehr von beinahe jedem Amerikaner sind in den Händen der NSA. 1,7 Milliarden Kommunikationsdaten zweigt die Behörde jeden Tag ab. In Deutschland war der Militärgeheimdienst dabei besonders aktiv. Obwohl es sich bei der Bundesrepublik um ein befreundetes Land handelt, taucht es, was die Überwachunsdichte angeht, auf einer Karte des Guardian zusammen mit Iran, Syrien und Pakistan auf.

In Deutschland zeigten sich Politiker nach Bekanntwerden der NSA-Überwachung entrüstet. Nur wenige fanden so klare Worte wie der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber: „Ich halte die Abhörmethoden der USA für inakzeptabel. Das sind Stasi-Methoden auf amerikanisch“, sagte er. Unter den Parteien kam Kritik besonders von Grünen und der Linkspartei. Aus der Linken wurden gar Forderungen laut, Edward Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren. Die Reaktion der Bundesregierung ist deutlich zurückhaltender. Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach, während des Staatsbesuchs des amerikanischen Präsidenten das Thema anzusprechen.

Neben der Frage, was deutsche Politiker wußten, und wenn, zu welchem Zeitpunkt, ist bisher auch ungewiß, ob sich der Bundesnachrichtendienst (BND) aus dem Abhörwust amerikanischer Geheimdienste bediente. Michael Grosse-Brömer (CDU), stellvertretender Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums, bestreitet das vehement. Man müsse von den USA lückenlose Aufklärung verlangen, „gerade weil unsere Dienste weder bei der Datensammlung kooperiert, noch Daten wissentlich mitbenutzt haben“. „Ich bin beruhigt, daß die deutschen Nachrichtendienste nicht an dem amerikanischen ‘Prism’-Spähprogramm beteiligt waren.“

Die Menge des auszuwertenden Materials ist mittlerweile so groß, daß die Arbeit ausgelagert werden muß. Zur Erinnerung: Snowden arbeitete nicht direkt für die NSA, sondern für das Subunternehmen Booz Allen Hamilton. Durch die Masse an Informationen werden gleichzeitig auch „Whistleblower“ wahrscheinlicher.

„Die NSA klassifiziert selbst noch die Speisekarte ihrer Kantine als geheim“, scherzte Ilya Shapiro, Chefredakteur des libertären Cato Supreme Court Review im Fernsehsender The Blaze. Gab es 1996 noch 5,7 Millionen Daten, die als geheim eingestuft wurden, produzierte der Geheimdienstapparat 2010 schon 76,8 Millionen. Shapiro sieht das Hauptproblem dieser Überklassifizierung darin, daß so die wirklich geheimen Informationen keinen besonderen Schutz mehr erhalten.

Der NSA kommt zugute, daß die größten Internetfirmen wie Google, AOL und Yahoo ihren Sitz in den USA haben. Auch der größte Teil unserer Internetkommunikation geht über Server in den USA. Der stellvertretende Google-Chef David Drummond hat bereits eine Imageoffensive gestartet, um das zerbrochene Vertrauen in den Konzern wiederherzustellen. In einem Brief an Justitzminister Eric Holder bat er darum, alle Anfragen der NSA an das Unternehmen öffentlich zu machen und dies auch in Zukunft so handhaben zu dürfen.

Damit möchte Drummond den Verdacht entkräften, den der Guardian nach seinem ersten Interview mit Snowden gestreut hatte, nämlich, daß die NSA direkten Zugriff auf die Server der Unternehmen hatte. Auch Facebook hat mittlerweile reagiert und die Anzahl der NSA-Anfragen öffentlich gemacht. Demnach seien im zweiten Halbjahr 2012 insgesamt 19.000 Nutzer betroffen gewesen.

Ob Google und Facebook sich mit dieser PR-Offensive von dem Vorwurf befreien können, unredlich mit Kundendaten umgegangen zu sein, steht jedoch in den Sternen. Möglich, daß die Konzerne mit der Kampagne auf einen zweiten Weg der Datenbeschaffung der NSA anspielen und nur die richterlich genehmigten offiziellen Anfragen veröffentlicht haben. Diese werden von einem speziell für Geheimdienstverfahren zuständigen Gericht (FISC) in über 99 Prozent der Fälle bewilligt.

Dieses Gericht ist so geheim, daß es seine eigenen Unterlagen nach Veröffentlichung vernichtet. Gibt die Kammer der NSA grünes Licht für den Zugriff, sind die Unternehmen zur Geheimhaltung verpflichtet. Durch „geleakte“ NSA-Protokolle wurde hingegen auch bekannt, daß Konzerne sich gerichtlich gewehrt haben. So hat Yahoo 2008 die Herausgabe von Informationen an die NSA mit der Begründung verweigert, daß dadurch verfassungsgemäße Rechte der Kunden verletzt würden. Der FISC nannte diese Befürchtung „übertrieben“. Yahoo mußte sich schließlich fügen.

Wenn immer mehr Leute Zugriff auf immer mehr Daten erhalten, stellt sich unabhängig von Terrorismusabwehr und selbst Wirtschaftsspionage die Frage nach dem Mißbrauch für persönliche Zwecke. Kann so möglicherweise ein Politiker mit Kontakten zur NSA einen mißliebigen Gegenkandidaten mit Informationen, zum Beispiel über dessen sexuelle Vorlieben, diskreditieren? 57 Prozent der Amerikaner halten das nach einer jüngsten Umfrage für eine reale Gefahr. Kann vielleicht plötzlich ein Polizist vor meiner Tür stehen, weil ich illegal Musik heruntergeladen habe? Niemand bewegt sich völlig straffrei im Netz. Beinahe jeder hat wissentlich oder unwissentlich im Netz schon einmal Gesetze oder zumindest die guten Sitten übertreten.

 

Technik der Ausspähung

Es gibt unterschiedliche Versionen, wie die NSA an Daten gelangt. Während Internetfirmen wie Google oder Facebook darauf verweisen, daß sie der NSA keinesfalls direkten Zugang zu ihren Servern gewähren und nur gerichtlich verfügten Anordnungen nachkommen, zeichnen die von Edward Snowden ans Tageslicht gebrachten Informationen ein anderes Bild. Experten gehen von zwei Möglichkeiten der massenhaften Datenbeschaffung durch die NSA aus:

1. Die NSA nutzt „Zero-Day-Exploits“: Dabei werden Schwachstellen eines neuentwickelten Systems ausgenutzt. Die Hersteller der betroffenen Software werden zunächst nicht über solche Schwachstellen informiert, um die Lücke im System länger nutzen zu können.

2. Angriff auf Knotenpunkte im Netz: Die NSA läßt sich in die Glasfaserkabel Abzweigungen legen. So zieht sie sich eine Kopie des Datenstroms, auf den sie dann unabhängig von den Unternehmen direkten Zugriff hat.

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