© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

„Die Deutschen sind wirklich zu gut“
Ein US-Präsident in Deutschland: John F. Kennedys Aufzeichnungen aus den Jahren 1937 bis 1945
Thorsten Hinz

John F. Kennedys Ausspruch vom 26. Juni 1963: „Ich bin ein Berliner“ war ein persönliches Bekenntnis und eine politische Tat. Der US-Präsident hatte den Schutz West-Berlins zu seiner persönlichen Angelegenheit erklärt und zum unhintergehbaren Prinzip der USA erhoben. Unter den Bedingungen der Massendemokratie bestätigte und erneuerte sich so Ernst Kantorowicz’ berühmtes Bild von den zwei Körpern der mittelalterlichen Könige, von denen der eine ihre persönliche, der andere ihre politische Kapazität umschloß. Was am Amtsinhaber politisch ist beziehungsweise geworden ist, überdauert seine Amts- oder Lebenszeit und geht auf den Nachfolger über. So auch hier: Kennedys persönliches, zum Grundsatz geronnenes Versprechen verpflichtete alle seine Nachfolger bis zum Fall der Berliner Mauer.

Die Motive für die Berliner Rede waren mehrschichtig: Der Anblick der innerstädtischen Absperrungen hatte Kennedy erschüttert. Auch mußte er dem französischen Präsidenten de Gaulle etwas entgegensetzen, der im September 1962 auf dem Bonner Marktplatz „vom großen deutschen Volk“ gesprochen und Begeisterung ausgelöst hatte. Die Amerikaner sahen die enge Kooperation, die sich zwischen Bonn und Paris anbahnte, mit Mißtrauen, weil sie um die transatlantischen Beziehungen fürchteten.

Das Buch, das nun vorliegt, verweist auf einen weiteren, weithin unbekannten Grund. Kennedy hegte Sympathie für Deutschland. Sein Staatsbesuch 1963 war bereits sein vierter Deutschlandaufenthalt. Seine erste Reise hatte der Sohn aus reichem Hause und Harvard-Student bereits 1937 unternommen. Auf einer mehrmonatigen Europa-Tour lernte er England, Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland kennen. Seine hier erstmals abgedruckten Tagebuchnotizen und Briefe geben die Eindrücke eines jungen Bildungstouristen wieder – und eines Schürzenjägers.

Sein Freund LeMoyne Billings, der ihn begleitete, bekundete später, sie hätten in Deutschland nur schlechte Erfahrungen gemacht, doch das war eine nachträgliche Interpretation. In Kennedys Eintragungen findet sich davon keine Spur. Er knüpft Kontakt zu jungen Deutschen (auch in Italien), die keine Scheu haben, sich als Anhalter von Ausländern mitnehmen zu lassen. Einige sind für, andere gegen Hitler, es scheint recht normal zugegangen zu sein. Er ist begeistert von den Autobahnen und von der Schönheit der deutschen Städte, die ihn davon überzeugt, „daß die nordischen Rassen den romanischen gewiß überlegen zu sein scheinen. Die Deutschen sind wirklich zu gut – deshalb rottet man sich gegen sie zusammen, um sich zu schützen ...“

Er liest das Buch „Inside Europe“ des amerikanischen Journalisten John Gunther und kommt „zu dem Schluß, daß Faschismus das Richtige für Deutschland und Italien ist, Kommunismus für Rußland und Demokratie für Amerika und England“. Er fügt hinzu: „Was sind die Übel des Faschismus im Vergleich mit dem Kommunismus?“, fragt sich aber auch, ob der Faschismus womöglich nur das Vorspiel zum Kommunismus darstelle.

1939, als bereits Krieg in der Luft liegt, unternimmt der 22jährige erneut eine mehrmonatige Europareise, die nun aber akademischer und diplomatischer Natur ist. Sein Vater ist seit 1938 amerikanischer Botschafter in London. Joseph P. Kennedy lehnte die gegen Deutschland gerichtete Außenpolitik von Präsident Roosevelt ab und betonte die amerikanische Neutralität. Sein Sohn informierte sich in Warschau und Danzig über den deutsch-polnischen Konflikt. Er erlag dabei der polnischen Propaganda, die behauptete, die Rückgliederung Danzigs ins Reich würde Polen vom Meer abschneiden. In Wahrheit existierte eine separate Eisenbahnstrecke zum polnischen Hafen Gdingen, außerdem sahen die deutschen Vorschläge weitreichende Rechte für Polen in Danzig vor. Noch im August fand er Zeit, in Wien eine „Tannhäuser“-Aufführung zu besuchen.

Am 28. Juli 1945 traf er im Gefolge von Marineminister Forrestal zu seinem dritten Deutschlandaufenthalt ein. Die Potsdamer Konferenz ging in ihre Schlußphase. Anders als im „Berliner Tagebuch“ des amerikanischen Journalisten William L. Shirer, das – schlampig ediert – 1999 gleichfalls im Aufbau-Verlag erschienen ist, findet sich in Kennedys Notizen keine Spur von Häme oder Deutschenhaß. Er notiert die grausamen Umstände des russischen Einmarsches in Berlin, die Plünderungen, Vergewaltigungen und anhaltenden Deportationen. Er vermutet, daß die Russen aus ihrer Zone eine Sowjetrepublik machen wollen, sieht aber auch, daß sie die Sympathien, die sie hätten erwerben können, bereits verspielt haben.

Mehrmals vermerkt er, daß die Amerikaner und Engländer ebenfalls schwere Plünderungen begangen hätten. Die Ernährungslage sei in den ländlichen Gebieten noch relativ gut, in Berlin aber katastrophal. Die Menschen hätten „vollkommen farblose Gesichter – gelbstichig mit blaßbraunen Lippen“. Doch selbst mitten in der Katastrophe bewährt sich die Perfektion der deutschen Verwaltung, was den Amerikanern Bewunderung abnötigt. Im übrigen erkennt er an, daß Deutschland eine wirtschaftliche Einheit bilde und Bismarcks Reichseinigung ein völlig logischer Vorgang gewesen sei.

Kennedy, der Charismatiker, hatte eine Neigung zum Mystischen. Er identifizierte sich und seine politischen Freunde mit der Tafelrunde des König Artus. Von da aus mag sich die düstere Faszination erklären, die ein anderer Charismatiker auf ihn ausübte. Kennedy nutzte seinen Deutschlandaufenthalt 1945, um in Berlin den Führerbunker und in Berchtesgaden Hitlers Berghof und das hochgelegene Kehlsteinhaus zu besichtigen. „Wer diese beiden Orte besucht hat, kann sich ohne weiteres vorstellen, wie Hitler aus dem Haß, der ihn jetzt umgibt, in einigen Jahren als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten hervortreten wird, die je gelebt haben. Sein grenzenloser Ehrgeiz für sein Land machte ihn zu einer Bedrohung für den Frieden in der Welt, doch er hatte etwas Geheimnisvolles, in seiner Weise zu leben und in seiner Art zu sterben, das ihn überdauern und das weiter gedeihen wird. Er war aus dem Stoff, aus dem Legenden sind.“

Bei seinem Staatsbesuch 1963 kündigte er an, seinem „Nachfolger eine Mitteilung mit der Aufschrift (zu) hinterlassen: ‘Bei Mutlosigkeit öffnen.’ Und darin werden nur drei Worte stehen: ‘Geh nach Deutschland.’“

Mit diesem US-Präsidenten hatten die Deutschen Glück. Das schmale, aber aufwendig und mit Sorgfalt herausgegebene Buch – das Vorwort stammt von Egon Bahr – eröffnet einen Seitenblick auf eine tiefgründige Persönlichkeit und einen beeindruckenden Politiker.

Oliver Lubrich (Hrsg.): John F. Kennedy unter den Deutschen. Reisetagebücher und Briefe 1937–1945. Aufbau Verlag, Berlin 2013, gebunden, 216 Seiten, Abbildungen, 22,99 Euro

Foto: John F. Kennedy mit seinem Buch „Why England Slept“ (1940) über das Münchner Abkommen: „Hitler hatte etwas Geheimnisvolles, das ihn überdauern und weiter gedeihen wird“

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