© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Richard Wagner am Hochreck
Rüdiger Jacobs über den Jahrhundertkomponisten als „Konservativen Revolutionär“
Helmut Roewer

Unter den deutschen Musikern des 19. Jahrhunderts gibt es eine Handvoll Giganten. Wagner ist der letzte von ihnen. Das 20. Jahrhundert hat er spielend überstanden, und immer noch sieht es so aus, als könne ihm der aufgeregte Zahn der Zeit wenig anhaben. Politiker und Finanziers huldigen ihm weiterhin ungebrochen. Was für ein grandioser politischer Widerspruch.

Indes: An Richard Wagner scheiden sich die Geister. Viele mögen ihn ablehnen, ohne je einen Ton von ihm gehört haben, andere ihn vergöttern, ohne je eine Zeile von ihm zu lesen. Liest man heute Wagners Schriften, so zeigt sich einer, dem es nicht genügen wollte, ein Nur-Künstler zu sein. Visionär, Revolutionär, Denker, Abschaffer, das sollte es schon auch sein. Ist alles gar nicht so und nicht so schlicht, sagt Autor Jacobs und kündigt an, daß er herausfand, was er denn war und sagen wollte, dieser wortgewaltige Richard Wagner. Forsch bescheidet Jacobs dem Leser, man solle Wagner beim Wort nehmen, fügt aber auch dieses Diktum bei: Er schreibe nur für diejenigen, die Wagners Werk präsent haben. Hier stutzt der Rezensent und macht sich ein paar unfreundliche Gedanken über die akademische Welt von heute.

Doch zum Glück ist es so, daß der Text reich mit Beispielen aus Wagners Wortschaffen garniert ist. So läßt man Wagners Interpretation und seiner Weltsicht Revue passieren und erfreut und erheitert sich an seinen galligen und monumentalen Wortkaskaden. Das sind nachgerade leichte Leseübungen zum Rest des Buches. Um es vorweg zu sagen: Das ist keine Lektüre als Parallelveranstaltung zum deutschen Fernsehen. Hier ist scharfe Konzentration gefragt.

Es gibt indessen eine gute Möglichkeit, diesem Text zu Leibe zu rücken. Man fange von hinten an. Dort befinden sich Jacobs’ Thesen zu seinem Stoff. Sie sind im Vergleich zum übrigen leicht lesbar und vermitteln einen guten Einstieg in die Denkwelt des Autors. Danach erst sollte man den in vier Abschnitte grobgegliederten Hauptteil nach Belieben in Angriff nehmen. Sozusagen Thema und Variationen über ein Grundmotiv von Wagner: (1) der Unpolitische, (2) unpolitisch, aber nicht nichtpolitisch, (3) konservativer Revolutionär und Anarch, (4) Staat und Gesellschaft.

Auf diese Weise von den Anfangsschwierigkeiten befreit, bietet das Buch nun interessante Gedanken, die entdeckt sein wollen. Reinlich unterscheidet Jacobs bei Wagners politischen Schriften jene, die bis zur Revolution von 1848/49 und sie begleitend erschienen, und diejenigen, die danach erst verfaßt wurden. Er macht indessen diesen politischen Schriften das Adjektiv „politisch“ streitig und argumentiert an einem gedanklichen Unterschied des selbstgewählten Begriffspaars unpolitisch bzw. nichtpolitisch entlang.

Man kann das tun, man muß aber nicht. Er sagt es nicht ohne einen Hauch von Schadenfreude, denn der Meister, dem Jacobs zu Leibe rückt, entzieht sich immer wieder dem Seziermesser, das am Schleifstein moderner Philosophen geschliffen worden ist. Ernst Bloch zum Begreifen von Wagner? Wer’s schlichter mag, wird zweifelnd die linke Augenbraue heben. Oder Wagner der konservative Revolutionär? Natürlich war er ein Revolutionär, dieser Wagner, im landläufigen Sinne mehr, als man im Opernhaus ahnt. Dem Erschießungskommando entkam er nur um Haaresbreite.

Später ließ er sich von den verachteten Fürsten huldigen und bezahlen. Jeder wird mal älter. Weitere Hinweise auf den Antagonismus von Wagners Anti-Staats-Denken und dem Aufstieg des Staats, jedoch des Nationalstaats, zu Wagners Lebzeiten sollen an dieser Stelle nicht vertieft werden.

Wagner der Denker? Der Autor bejaht dies aus vollem Herzen, indem er das Füllhorn der modernen Philosophen über dessen Werk ausschüttet. Zu Recht erwähnt er, daß dies nur eine der möglichen Herangehensweisen ist. Viele vor ihm haben anderes versucht. Auch das bleibt nicht unerwähnt. Wie wäre es mit einer weiteren, gänzlich unrationalen Sicht: Der geniale Kapellmeister, dem der durchgeschwitzte Rock zu eng wurde? Man sollte, um mit Jacobs zu sprechen, Wagner beim Wort nehmen. Der Rezensent versteht dies vielleicht etwas anders, als der Autor es verstanden wissen wollte, nämlich als Aufforderung, Wagner zu lesen. Und er empfiehlt dem Leser, sich mit Jacobs zu streiten.

Rüdiger Jacobs: Richard Wagner. Konservativer Revolutionär und Anarch. Ares Verlag, Graz 2013, broschiert, 323 Seiten, 29,90 Euro

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