© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Die biologischen Grenzen des Lebens fallen
Rasante Fortschritte auf dem Weg zum Maschinen-Menschen
Peter Klein

Mit einem Hedgefonds, der in die Entwicklung künstlicher Intelligenz investierte, und Erfindungen wie einer Lesemaschine für Blinde und revolutionären Musiksynthesizern ist Ray Kurzweil reich geworden. Doch der New Yorker Informatiker ist offenbar nicht glücklich. Fürchtet er doch, mit seinen 65 Jahren bis 2029 nicht mehr durchzuhalten. Dann würden die Grenzen des Lebens fallen, Nanoroboter alle Krankheiten heilen, Gehirn und Computer verschmelzen.

Daher quält sich Kurzweil mit Pillen, Rohkost, Krafttraining und intravenösen Auffrischungen, um solange fit zu bleiben, bis seine Utopie von der Mensch-Maschine Realität geworden ist. Die Fragen, ob die Erfüllung des Traums vom ewigen Leben bereits in 16 Jahren oder überhaupt jemals gelingen kann, ob es überhaupt wünschenswert ist, die biologischen Grenzen des Lebens aufzuheben, spielen in der Forschungspraxis der Neuro- und Kognitionswissenschaften, der Bioinformatik und Biophysik eine untergeordnete Rolle.

Wie dem Überblick des Wissenschaftstheoretikers Klaus Mainzer (TU München) zu entnehmen ist, geschieht das Machbare unbekümmert vom Verantwortbaren (Information Philosophie, 1/13). Die japanische Industrie wolle beispielsweise schon bis 2015 humanoide Roboter entwickeln. 2020 würden diese dann mit Menschen im Team selbständig arbeiten und kooperieren. Auf den demographischen Wandel reagierende „Pflegeroboter“ sind schon projektiert. Sie sollen fähig sein, mit der zunehmenden Zahl alter Menschen „sensibel“ umzugehen.

In der Synthetischen Biologie probt man die Erschaffung neuer Lebensformen. Der Vision des Genom-Pioniers Craig Venter, Bakterien zu kreieren, die Wasserstoff produzieren, um die Energieprobleme des Planeten zu lösen, klingt inzwischen weniger phantastisch.

Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) schwärmt bereits von großen Potentialen, die sich für wirksamere Impfstoffe und Medikamente aus der Synthese von Biomolekülen zu neuen Modulen und Netzwerken ergeben. Die medizinische Karte spielend und Erwartungen weckend, mit seinem Human Brain Project zu besseren Therapien für Alzheimer und Parkinson vorstoßen zu wollen, warb der Lausanner Neurowissenschaftler Henry Markram eine Milliarde Euro aus EU-Töpfen (JF 20/13) ein. Damit soll bis 2023 die Gehirnsimulation am Computer ins Werk gesetzt werden.

Seit 1998 sei auch die Perfektionierung von automatischen DNS-Sequenzierungsgeräten so rasant vorangeschritten, daß die vollständige genetische Information eines Menschen bald auf einem USB-Speicherstäbchen unterzubringen sei, verfügbar zum Einsatz in humanoiden Robotern. Angesichts solcher Fortschritte warnt Mainzer: Es gehöre zu dessen selbstbestimmter Zukunft, daß der Mensch entscheide, „was wir bleiben“ wollen und was wir an „Künstlichem Leben“ und „Künstlicher Intelligenz“ brauchen und dulden möchten.

Zugleich räumt er aber ein, den Schrittmachern des Maschinen-Menschen sei schwer zu widersprechen, wenn sie ihr Unternehmen als „technische Ko-Evolution“ rechtfertigen, die fortsetze, was der Mensch seit Jahrtausenden tue: „uns und unsere Umwelt zu verändern und umzubauen“.

Fachzeitschrift „Information Philosophie“: www.information-philosophie.de

Foto: Kofferträger REEM, Pflegeroboter Aisimo: Die Maschinen sollen mit den alten Menschen „sensibel“ umgehen

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