© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Der Flaneur
Männer packen Anders
Paul Leonhard

Eine Schulklasse sieht aufgeregt dem einfahrenden Zug entgegen. „Das kann ja heiter werden“, brummelt ein Mitfahrer. In der Tat, der Regionalexpreß ist auch so schon gut gefüllt. Jetzt drängeln sich die Kinder in den Großraumwagen. Hier finden zwei einen Platz, dort nur eines, da wieder zwei.

Ich sitze an einem Viererplatz mit Tisch in der Mitte. Ein vielleicht elfjähriger Junge fragt höflich, ob der eine Platz frei sei. Die beiden Erzieherinnen haben Mühe, die Übersicht zu behalten. Auch muß das Gepäck verstaut werden. Was die Kinder mit sich schleppen, sorgt für Aufregung. „Ob die eine Weltreise machen?“ fragt eine Frau, während sie zusieht, wie ein Mädchen versucht, ihren Rollkoffer in die Gepäckablage zu bugsieren. Ein tätowierter Mann wuchtet schließlich den Koffer hoch. „Was hast’n da drin, Wackersteine?“ fragt er das blasse Mädchen. Das schüttelt nur den Kopf und setzt sich schüchtern auf ihren Platz.

Erste Gespräche entspinnen sich: „Wie lange bleibt ihr denn? Drei Tage, mein Gott, und so viel Gepäck. Ich bin eine Woche unterwegs und habe nur diese Sporttasche“, erklärt ein gemütlicher Mittfünfziger. Auch hinter mir höre ich neugierige Fragen. „Du weiß nicht, wohin du fährst?“ fragt eine ältere Dame. Der Junge reagiert nicht. „Ach, du sollst es keinem Fremden sagen. Das ist richtig mein Sohn.“

Der Junge mir gegenüber hat seinen prall gefüllten Stadtrucksack auf den Schoß gezogen. Aufmerksam folgt er den Gesprächen der Erwachsenen, die noch immer über die Reisetaschen sinnieren. „Drei Tage und solche Schrankkoffer“, sagt ein Mann. „Damit würde ich nach Amerika fahren.“

Der Junge zieht derweil eine Brotbüchse aus dem Rucksack, begutachtet ihren Inhalt und steckt sie wieder weg. Dann klärt er die Mitreisenden auf: „Das sind Mädchen. Die benötigen viele Klamotten, weil sie nicht wissen, was die Freundinnen mithaben.“ Er klopft auf seinen Rucksack. „Ich habe hier alles drin, Haus- und Wechselschuhe, Waschzeug, Wäsche ... Wir Männer packen halt anders.“ Sein Blick trifft die Mitschülerinnen. Dann holt er sein Handy raus.

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