© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Freundliche Übernahme
Bundestagswahl: Mit ihrem Wahlprogramm hat die Union die Kernforderungen von SPD und Grünen übernommen
Paul Rosen

Peer Steinbrück war richtig sauer. In Bodenwerder hätte das CDU/CSU-Wahlprogramm vorgestellt werden müssen, empörte sich der Kanzlerkandidat der SPD zu Beginn der Woche, als die Unionsparteien die Katze aus dem Sack ließen und auf knapp 130 Seiten mitteilten, mit welchen Ankündigungen sie die Wähler zu sich locken wollen. In der Weserberglandgemeinde Bodenwerder lebte einst Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720–1797), der als „Lügenbaron“ weltbekannt wurde und sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben soll. Steinbrück, der nicht weiß, wie er seine SPD aus dem dramatischen Umfragetief ziehen soll, sprach von Platitüden, leeren Schachteln und zahllosen Finanzierungsvorbehalten im Unionsprogramm.

Das wird selbst im CDU-Lager so gesehen. Angesichts von typisch sozialdemokratischen Forderungen wie Mindestlöhnen, Mietpreisbremsen, Frauenquoten und teuren Wohltaten wie Mütterrenten sagte der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, er nehme die Ankündigungen gelassen: „Es ist eine traditionelle Übung in dieser Republik, vor den Wahlen Wahlversprechen zu machen, die dann anschließend in Regierungs- und Koalitionsverhandlungen wieder wegrationalisiert werden“, sagte Lauk zum „Regierungsprogramm für Deutschland 2013–2017“.

Man könnte tatsächlich meinen ,daß CSU-Chef Horst Seehofer zu den Beratungen der Unionsspitze das legendäre bayerische Fabelwesen „Eierlegende Wollmilchsau“ mitgebracht hatte. So will die Union die Neuverschuldung reduzieren, keine Steuererhöhungen, und den Abbau der kalten Progression: „Wir wollen deshalb die Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft weiter entlasten.“ Milliardenkosten dürften auch die Ausweitung des Ehegattensplittings zum Familiensplitting und die damit verbundenen Kindergelderhöhungen verursachen. Neben den Erziehungszeiten für Mütter soll es nach 40 Beitragsjahren auch eine Mindestrente von 850 Euro monatlich geben, womit die Union die Nähe zur Linkspartei erreicht hat, die allerdings mit 1.050 Euro im Monat noch etwas mehr fordert. Auf die eine Milliarde Euro für Infrastruktur, die auch im Wahlprogramm steht, kommt es eigentlich nicht mehr an.

Insgesamt hat die Union die Kernforderungen der Konkurrenz von SPD und Grünen weitgehend übernommen und sich auch weit für ein Bündnis mit der SPD oder sogar den Grünen geöffnet. Die FDP jedenfalls hat mit Erstaunen vernommen, was nicht im Wahlprogramm steht: die Fortsetzung des christlich-liberalen Regierungsbündnisses. „Wir wollen die Fortsetzung dieser erfolgreichen Koalition aus Union und FDP“, tönte zwar FDP-Chef Philipp Rösler im Handelsblatt, aber er kann auch nicht die Frage beantworten, wie eine bürgerliche Regierung die Blockade im rot-grün dominierten Bundesrat überwinden will. Gestaltungsspielraum bekäme Merkel nur, wenn sie mit SPD oder Grünen paktieren und damit eines der Blockadeelemente in der Länderkammer herausbrechen würde.

Die FDP hat ähnliche Aussagen wie die Union auf Lager. Auch sie will höhere Freibeträge für Kinder und den steuerlichen Solidaritätszuschlag irgendwann auslaufen lassen, aber denkt in erster Linie an die Konsolidierung der Staatsfinanzen. FDP-Generalsekretär Patrick Döring kritisierte die Zusammenstellung der Union als „viel von der Leyen, wenig Ludwig Erhard“. In der Tat hat sich die Union mit ihrer Doppelstrategie, den linken Konkurrenten die Themen zu nehmen und zugleich durch inhaltliche Übereinstimmungen Koalitionsfähigkeit herzustellen, meilenweit von ihrem früheren Kern „soziale Marktwirtschaft“ entfernt.

Der Unterschied zur SPD und zu den Grünen besteht nur noch darin, daß diese mit dem Argument, starke Schultern müßten mehr tragen als schwache, an die hohen Einkommen und großen Vermögen stärker heranwollen als die Union. Die SPD propagiert eine Wiederbelebung der Vermögensteuer, die Grünen wollen für zehn Jahre eine Vermögensabgabe erheben, die 100 Milliarden Euro erbringen soll. Für oder gegen Steuererhöhungen: Das ist nach Ansicht von Merkel die „Richtungsentscheidung“ für Deutschland. In den anderen Fragen, ob Kindertagesstätten, Euro-Rettung, Bildungspolitik oder Energiewende, ist man sich ohnehin einig oder nur in Nuancen auseinander. Die allseits erhobenen Forderungen zur Rettung der Infrastruktur lassen Beobachter staunen: Dieselben Politiker, die jahrelang Straßen, Bahnstrecken und Wasserstraßen verfallen ließen, erklären nun deren Sanierung zum Handlungsauftrag.

Daß Steinbrück ausgerechnet nach Bodenwerder blickt, hat einen zweiten Grund: Im Gemeinderat regieren seine Sozialdemokraten mit absoluter Mehrheit. Auf Bundesebene dürften die Genossen schon froh sein, wenn sie nicht von den Grünen überholt werden.

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