© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Verdienter Ruhestand
Bundeswehr: Nach über 40 Dienstjahren mustert die Luftwaffe das Kampfflugzeug „Phantom“ aus
Michael Vollstedt

In diesen Tagen mustert die Luftwaffe die F-4 „Phantom“ aus, ein Kampfflugzeug mit technologischen Wurzeln noch in den fünfziger Jahren. Vier Jahrzehnte standen die Maschinen im Dienst bei unseren Geschwadern.

Rückblende: Als die Luftwaffe ab 1960 den F-104 G „Starfighter“ einführte, gelang trotz zahlreicher Unfälle mit vielen Opfern der Sprung in die Ära moderner Kampfjets. Die F-104 G trug nicht nur zur konventionellen Nato-Verteidigung bei; sie ermöglichte auch, im Konfliktfall die zweite Strategische Staffel (Angriffswelle) des Warschauer Pakts atomar zu bekämpfen und als Abfangjäger schnelle Atom-Bomber in großer Höhe abzufangen. Dies paßte in die frühe Zeit des Ost-West-Konflikts mit der gegenseitigen Androhung massiver atomarer Vergeltung, war 1966/67 mit der neuen Nato-Strategie der flexiblen Antwort aber überholt. Es wurde eine weitere Stärkung der konventionellen Kampfkraft erforderlich.

Schon ab 1971 erhielt die Luftwaffe dazu 88 RF-4E-Aufklärer, 175 F-4F zum konventionellen Luft/Boden- sowie zum Luft/Luft-Einsatz und zehn  F-4E zur Nachwuchsausbildung. Diese „Phantom“-Versionen ersetzten einen großen Teil der „Starfighter“-Flotte und zwei Staffeln leichter Jagdbomber Fiat G-91. Die Beschaffung galt für die Bekämpfung von Bodenzielen als „Zwischenlösung“ bis zur Einführung des „Tornado“-Jagdbombers ab 1985.

Die große Nutzlast, Flexibilität und Robustheit der „Phantom“ gaben der konventionellen Luftwaffenkomponente einen Leistungsschub vor allem für den Luft/Boden-Einsatz. Im Luftkampf war die F-4F zwar auch leistungsfähiger als ihr Vorgänger, aus Kostengründen verzichtete man aber auf volle Allwetterfähigkeit und weitreichende Bewaffnung. Das ist insoweit erklärlich, als die ehemaligen Siegermächte damals noch ihre Vorbehaltsrechte für den Luftraum wahrnahmen; zudem konnte Deutschland sich auf eine starke Nato-Luftverteidigung stützen.

Die Geschichte der „Phantom“-Versionen verlief unterschiedlich: Die Aufklärer hielt die Luftwaffe auf einem guten Leistungsstand, sie gingen jedoch 1992 ohne ausreichenden Ersatz außer Dienst. Eine zu frühe Friedensdividende. Die Auslegung der F-4F erlaubte ein breites Einsatzspektrum. Deshalb sollte sie in den Verbänden als „tactical fighter“ verwendet werden, also für  die Bekämpfung von Bodenzielen und den Luft/Luft-Einsatz. Die Mittel reichten für die zusätzlichen Flugstunden der Besatzungen aber nicht aus, und es blieb bei einer weitgehenden Spezialisierung der Verbände zum Luft/Boden-Einsatz oder zum Luftkampf. Immerhin steigerten neue Lenkflugkörper ab 1981 die Leistung aller „Phantoms“ im Luftkampf auf kurze Entfernung, in der Luftverteidigung wie zum Eigenschutz.

Das Leistungsvermögen für den Luft/Boden-Einsatz wurde nie voll entwickelt. Frühe Kritik betraf die Ausstattung mit „Eisenbomben“ statt wirksamerer Lenkwaffen. Etwa zeitgleich mit der Ausmusterung der Aufklärer wurden die F-4F aus der Luft/Boden-Rolle herausgelöst und zum Teil in die Luftverteidigung überführt.

Für die verbliebenen F-4F war es 1990 – wir hatten im Luftraum nun volle Souveränität – klar, daß die fast 20 Jahre alten Flugzeuge im modernen Luftkampf so nicht bestehen konnten. Deshalb wurden 110 Flugzeuge nachgerüstet, vor allem mit besserem Radar und Flugkörpern größerer Reichweite. Im Vergleich und Wettbewerb mit neueren Flugzeugen der Alliierten haben die Jagdgeschwader damit taktische und logistische Leistungen bewiesen, die zum Besten gehören, was Luftwaffe wie Bundeswehr seit der Wende gezeigt haben. Allerdings blieb die Modernisierung unvollkommen: Die F-4F ließ sich nur eingeschränkt in komplexe Nato-Operationen integrieren.

Die letzten F-4F werden nun nach langer Durststrecke außer Dienst gestellt. Hier endet eine unrühmliche Geschichte: Angesichts einer anhaltend prekären Haushaltsentwicklung vertrat die Luftwaffe nach 1980 mit großem Nachdruck ihre Forderung, die F-4F in der Luft/Luft-Rolle rechtzeitig abzulösen – Planungsbegriff „Jäger 90“. Die Politik favorisierte eine europäische Neuentwicklung. Trotz politischer Vorgabe zur kostensenkenden Auslegung ausschließlich für den Luft/Luft-Einsatz, erschien das Vorhaben zu teuer. In der Luftwaffe sah man im Fertigkauf, für den es in den Vereinigten Staaten finanziell beherrschbare Lösungen gab, einen Ausweg. Konkrete Verhandlungen blieben indes auf europäische Regierungen beschränkt und litten unter politischen Wendungen, Planungsänderungen und einer jahrelangen Hängepartie – auch für die Industrie. Als 1997 der Vertrag für ein europäisches Projekt, den „Eurofighter“, geschlossen wurde, ließ der Entwicklungsstand die erhoffte baldige Auslieferung der Flugzeuge nicht zu. Der F-4F-Ersatz dauerte noch einmal 15 Jahre.

Der zügige Zuwachs an konventioneller Verteidigungsfähigkeit, den die Luftwaffe mit der „Phantom“ ab 1971 erreichen konnte, hat die Glaubwürdigkeit der damaligen Nato-Strategie gegenüber dem Warschauer Pakt gestärkt. Spätere Nachrüstungen der F-4 verhinderten, daß die Truppe von den Entwicklungen bei den Verbündeten abgekoppelt wurde. Ihr Potential wurde aber bei weitem nicht ausgeschöpft; dies gehört zu den vielen Beispielen für die Unterfinanzierung der Bundeswehr. Den „Eurofighter“-Geschwadern ist eine bessere Zukunft zu wünschen. Die frühere Beschränkung auf Luftverteidigung gilt nicht mehr; sie folgen dem alten „Tactical fighter“-Konzept und werden zu „Multi-role“-Verbänden. Dabei sollte sich die Geschichte nicht wiederholen.

 

Michael Vollstedt, Generalmajor a. D., war von 1994 bis 1997 Kommandeur der 2. Luftwaffendivision.

F-4 „Phantom“ II

Das Kampfflugzeug F-4 „Phantom“ II des amerikanischen Herstellers McDonnell wurde in den Jahren 1958 bis 1981 gebaut.  Insgesamt stellte das Unternehmen von den unterschiedlichen und ständig weiterentwickelten Versionen 5.195 Flugzeuge her. In der deutschen Luftwaffe, die über 273 Maschinen verfügte, läuft bis Ende des Monats die sogenannte „Ausphasung“ des Flugzeugtyps, der vom „Eurofighter“ abgelöst wird. Am 29. Juni hebt vom Fliegerhorst Wittmund als letzte „Phantom“ der Luftwaffe eine Maschine in Sonderlackierung ab.

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