© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Einstieg mit Schwierigkeiten
Kroatien: Mit seinem Beitritt zur EU kommt das Land an der Adria Europa einen großen Schritt näher
Nikolaus Heinrich

Wir sind nicht das Land, das wir sein wollen und könnten, aber wir haben riesige Fortschritte gemacht“, erklärte die kroatische Außenministerin Vesna Pusić anläßlich der Ratifizierung des Beitrittsvertrages durch den deutschen Bundesrat. Damit faßt sie die Sicht im Beitrittsland Kroatien treffend zusammen: Stolz auf das Erreichte steht neben der Einsicht, noch viele Schritte seien nötig, um einen guten europäischen Standard zu entwickeln. Eine Sicht, die auch in Deutschland geteilt wird. Im Mai noch hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in der Welt geäußert, daß er den Beitritt Kroatiens zum vorgesehenen Zeitpunkt für „vertretbar“ halte , jedoch „ausdrücklich“ nicht die Einschätzung teile, daß alle Voraussetzungen schon erfüllt seien.

Am 1. Juli tritt die Republik Kroatien als 28. Mitgliedstaat der Europäischen  Union bei. Damit geht ein über zehnjähriger Verhandlungsprozeß zu Ende. Seit der Unabhängigkeit 1991 gilt die EU-Mitgliedschaft für Kroatien als wichtigstes Staatsziel. Es wird getragen von nahezu allen wichtigen Parteien und Medien. Selbst EU-kritische rechtskonservative Persönlichkeiten hatten im Zusammenhang mit der Volksabstimmung am 22. Januar 2012 um Fürstimmen geworben. So auch der damals noch in Den Haag inhaftierte General Ante Gotovina: „Ich werde für die EU stimmen, weil wir zivilisatorisch dahin gehören.“

Daß das katholische Kroatien die historischen und kulturellen Voraussetzungen mitbringt, um Mitglied der Union zu werden, ist weitgehend unbestritten. Für Unbehagen sorgen eher der wirtschaftliche Zustand des Adria-Anrainers und die Korruptionsanfälligkeit seiner Eliten. Die Rating-Agentur Standard & Poors stuft die Kreditwürdigkeit Kroatiens mit einem BB+ ein – etwa vergleichbar mit den Euro-Sorgenkindern Spanien und Portugal. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF) auf rund 17.810 Dollar. Damit liegt Kroatien vor Rumänien und Bulgarien auf dem drittletzten Platz der EU. Allein bei der Staatsverschuldung steht Kroatien mit 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts europaweit vergleichsweise gut da – wobei allerdings die Verschuldung in den letzten Jahren drastisch gestiegen ist.

Kritischer Realismus verdrängt EU-Enthusiasmus

Eine wirtschaftliche Besserung ist allenfalls langfristig in Sicht und kein Automatismus nach dem EU-Beitritt. Selbst der kroatische Botschafter in Deutschland, Miro Kovač, räumte kürzlich in einem auch in Kroatien beachteten Interview mit dem Tagesspiegel ein, „daß für eine Steigerung des Wohlstandes in Kroatien hart gearbeitet werden“ müsse. Auch in der Korruptionsbekämpfung sieht sich das Land noch lange nicht am Ziel.

Spektakuläre Fälle wie die Verurteilung des ehemaligen Ministerpräsidenten Ivo Sanader 2012 und die Verfahren gegen den früheren Wirtschaftsminister Damir Polančec haben zwar Zeichen gesetzt, aber auch gezeigt, wie tief die Korruption selbst in höchste Regierungskreise reichte.

Von Beitrittseuphorie ist die kroatische Bevölkerung ebensoweit entfernt wie die der EU. So erwarten nach einer Umfrage der Internetseite Šibenskiportal 84 Prozent der Kroaten durch den Beitritt einen Anstiegäder Lebenshaltungskosten. Erhebliche Skepsis zeichnete sich schon bei der Volksabstimmung 2012 ab, als trotz Werbung aller Parteien lediglich rund 44 Prozent der Bevölkerung den Weg zur Wahlurne fanden und immerhin ein Drittel davon gegen den Beitritt stimmte.

Entsprechend vorsichtig kommentierte der kroatische Präsident Ivo Josipović den EU-Beitritt. „Sicher, wir haben Probleme“ bilanzierte er. Vor allem für arme Leute sei „alles dramatischer“. Auch Nataša Srdoč, Vorsitzende des Adriatic Institute for Public Policy in Rijeka, faßte ihre Skepsis in die Worte: „Der EU-Vertrag ist schlecht für Kroatien.“ Anders als die Eliten erwarten die Normalbürger durch das komplexe Regelwerk der EU unerwünschte Einschnitte in den Alltag – sei es auch nur die Tatsache, daß der für manche Kroaten wichtige Handel mit privatproduzierten Lebensmitteln auf den Märkten reglementiert werden könnte. Schinken, Käse, Wein, Pflaumen- und Tresterschnaps – all das kommt bislang zum Großteil aus Klein- und Kleinstunternehmen. Die fürchten sich vor den strengen Auflagen aus Brüssel. So der Käseerzeuger Ivan Gligora von der Insel Pag. Doch er zeigt sich kämpferisch:  „Unser Käse hat kein offizielles Zeugnis, weil uns der Papierkrieg stört. Aber wir werden auch die neuen Hürden überwinden.“

Foto: Kroatiens Außenministerin Vesna Pusić und ihr deutscher Amtskollege Guido Westerwelle sowie kroatische Fußballfans bei der Europameisterschaft in Polen 2012 (r.): Was sich in der Politik lange hinzog, ist beim Fußball gang und gäbe – Kroatien zählt zu Europa

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