© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Schäubles gefährlicher Unsinn
Euro-Krise: Die Bankenunion erlaubt dem Rettungsfonds ESM direkte Milliardenzahlungen an Finanzinstitute
Jörg Fischer

Kann der vom Steuerzahler verbürgte Euro-Rettungsfonds ESM seine Milliarden an private Banken vergeben? „Nein, die ESM-Statuten sehen eine direkte Rekapitalisierung von Banken nicht vor. Der Vertrag sieht die ESM-Mitgliedstaaten als Hilfeempfänger vor“, heißt es auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums in den „Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)“. Auch in der Beantwortung der Frage „Wie funktioniert der ESM?“ steht unmißverständlich: „Die Hilfen des ESM können nur seinen Mitgliedstaaten gewährt werden.“

Vergangene Woche vereinbarten die Euro-Finanzminister allerdings genau das, was ESM-Kritiker schon immer befürchteten und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück am 17. November 2012 im Berliner Hotel Adlon auf einem Wirtschaftskongreß der Süddeutschen Zeitung bereits unverblümt ausgesprochen hatte: Nicht nur insolvente Euro-Staaten, auch Pleite-Banken erhalten Zugriff auf den 700 Milliarden Euro schweren ESM-Fonds. „Wir haben eine politische Übereinkunft über die direkte Rekapitalisierung durch den ESM erzielt. Dies ist ein wichtiger Baustein der Bankenunion“, erklärte voriges Wochenende der niederländische Finanzminister und Sozialdemokrat Jeroen Dijsselbloem.

Direkte Rekapitalisierung von Banken ermöglicht

Den Grundstein zur Bankenunion legte der Bundestag bereits vor zwei Wochen (JF 26/13) mit seiner Zustimmung zum Gemeinschaftlichen Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism/SSM). Damit übertrugen die Abgeordneten – mit Ausnahme der Linksfraktion und Euro-Kritikern wie Klaus-Peter Willsch (CDU) oder Frank Schäffler (FDP) – die Aufsicht über die großen europäischen Finanzkonzerne an die Europäische Zentralbank (EZB). Da vorerst nur Institute mit einer Bilanzsumme von mehr als 30 Milliarden Euro oder über 20 Prozent der Wirtschaftsleistung des Standortlandes davon betroffen sind, können zumindest deutsche Sparkassen und Volksbanken aufatmen. Doch die SSM-Verordnung und das so installierte Aufsichtsgremium ist der Schlüssel zum ESM-Geld: „Die Entscheidungen werden mit Mehrheit getroffen“, warnt Schäffler, „damit können nämlich die Südländer mit Mehrheit beschließen, was mit den ESM-Milliarden geschieht.“

Dijsselbloems Vorgänger als Chef der Euro-Gruppe, der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker hatte die Ausweitung des ESM-Empfängerkreises auf Banken bereits im Januar dieses Jahres angekündigt: „Beim ESM laufen die Dinge in die richtige Richtung. Jetzt müssen wir sicherstellen, daß der ESM alle Aufgaben erfüllen kann, die wir angedacht haben. Das schließt auch die direkte Rekapitalisierung von Banken ein“, sagte der Christdemokrat vor EU-Abgeordneten.

Bundesfinanzmister Wolfgang Schäuble versuchte dennoch die jüngste Vereinbarung mit seinen 16 Amtskollegen der Euro-Zone kleinzureden: „Wenn manche die Erwartung haben, wenn eine Bank in Zukunft Kapital braucht, geht sie zum ESM, dann ist das natürlich Unsinn.“ Zudem sei der ESM-Betrag für Bankenunterstützungen auf 60 Milliarden Euro gedeckelt. Direkte ESM-Bankenhilfen würden nur „unter engen Voraussetzungen“ als „letzte Station“ bewilligt, beteuerte der CDU-Politiker.

Selbstverständlich müsse der Bundestag dem neuen „ESM-Instrument“ noch zustimmen. Dies werde nicht mehr vor der Bundestagswahl geschehen, erklärte Hans Michelbach, Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuß des Bundestages. Die Bankenhilfe soll frühestens im zweiten Halbjahr 2014 starten. Der ESM übernehme auch keine Altlasten der Banken: „Das ist nicht rückwirkend zu installieren. Das haben wir immer gesagt“, betonte der CSU-Politiker. Jean-Claude Juncker forderte jedoch bereits im Januar, daß „es auch eine Art rückwärtige Betrachtung geben muß, sonst würde das Ganze viel von seinem Sinn verlieren“.

Wird Spanien zum ersten Präzedenzfall?

Erster Präzedenzfall droht diesbezüglich Spanien zu werden. 41,5 Milliarden Euro vom ESM flossen bislang über den Umweg Staat an spanische Pleitebanken (JF 20/13). Insgesamt 100 Milliarden wurden vom Rettungsfonds zugesichert. Würden die Gelder rückwirkend direkt auf den ESM umgewidmet, würde der spanische Staatsschuldenstand entsprechend kleiner – allerdings wäre der ESM dann auf fragwürde Zahlungsversprechen spanischer Banken angewiesen. Die Quote der faulen Kredite in deren Bilanzen beträgt laut spanischer Notenbank bereits fast elf Prozent. Etwa 200 Milliarden Euro sind damit akut ausfallgefährdet.

Der Streit, ob ESM- oder Steuergelder zur Euro-Rettung an Banken fließen, ist ohnehin nur ein politischer und juristischer. Ökonomisch betrachtet war immer klar, daß ein Großteil der sogenannten Rettungsmilliarden letztendlich nicht den Staaten, sondern deren Gläubigern zugute kommt. Für die seit 2010 anhaltende „Griechenland-Rettung“ hat das die globalisierungskritsche Organisation Attac Österreich kürzlich detailliert aufgelistet: Von den bislang 206,9 Milliarden Euro landeten mindestens 77 Prozent direkt oder indirekt im Finanzsektor. Nur 46,6 Milliarden flossen in den griechischen Staatshaushalt, 900.000 Millionen gingen als Mitgliedsbeitrag an den ESM.

Attac-Studie zu den Griechenland-Hilfen: www.attac.at/uploads/media/hintergrundmaterial_bailout_deutsch.pdf

Foto: Filiale der spanischen Banco Santander: Alle Großbanken unter formaler EZB-Aufsicht können künftig im Notfall auf ESM-Milliarden hoffen

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