© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Pankraz,
A. Merkel und die Sorgen des Nichts

Angela Merkel“, schrieb neulich ein politischer Kommentator und Bewunderer der Kanzlerin an prominenter Stelle, „trifft offenbar sogar dann noch den richtigen Ton, wenn sie nichts sagt.“ Das klang drollig, hat jedoch einiges für sich. An sich gilt Schweigen in der modernen Politik, die ja fast gänzlich aus Geschwätz besteht, als Ausweis völliger Machtlosigkeit. Wer aber von Amts wegen die Macht hat, bei jeder sich bietenden Gelegenheit laut und auf allen Kanälen das Wort zu erheben – und trotzdem schweigt, an dem muß etwas dran sein.

Ähnlich steht es mit dem Tun, dem Handeln. Das Nichtstun, das Sichheraushalten und Nichtmitmachen, gilt üblicherweise als Beleg von Ohnmacht. Doch wenn ganze starke Staaten ihr Mittun verweigern, auch wenn via medialem Geheul und diplomatischer Ränke enormer Druck auf sie ausgeübt wird, beeinflußt das die Politik oft stärker als sämtliche hektischen Aktivitäten, die vorstellbar sind. Daß Deutschland sich seinerzeit in Libyen ausdrücklich militärischem Eingreifen verweigerte wie vorher schon dem Krieg der Alliierten gegen den Irak, war ein starkes Symbol für neuartige Allianzen und Strategien.

Nichtstun und Schweigen als Instrumente großer Politik – das Thema ist unbequem und wurde bisher von der Politologie weitgehend ignoriert. Einzig Robert Spaemann hat es, wenn Pankraz richtig informiert ist, einmal in einem größeren Essay zur Sprache gebracht, indem er es gleich auch moralisch anschärfte. „Rechtfertigen gute Zwecke schlechte Mittel?“ fragte er damals, um die Frage entschieden zu verneinen. Gewisse Handlungen, über deren absoluten Bosheitsgrad jedermann genau Bescheid wisse, seien in jedem Fall abzulehnen, selbst wenn die betreffende Handlung mit höchster Wahrscheinlichkeit zu guten Konstellationen führe.

Nun gibt es in der Politik äußerst selten (wenn überhaupt) absolute Bosheitsgrade. Verfeindete Kräfte lassen sich kaum je reinlich in „hier die Guten, dort die Bösen“ aufteilen. Das vielerorts übliche Geschrei, daß man doch „im Namen des Guten“ handle und deshalb bei der Bekämpfung „des Bösen“ zu den drastischsten Mitteln greifen dürfe, etwa zu Tötungen ohne Prozeß und Urteil mitten im Frieden, zur Verletzung staatlicher Souveränitäten nach Belieben oder zur Einführung von Foltermethoden – solches Geschwätz spricht gegen sich selbst, und jeder, der sich aus dem Chor heraushält und schweigt, verbessert die Politik.

Doch prominentes Schweigen in der Politik verschafft auch eigene praktische Vorteile, wie nicht zuletzt die periodischen Schweigespiralen der Bundeskanzlerin Merkel deutlich machen. Dort, wo halbwegs rechtsstaatliche Zustände herrschen und viele Dinge gleichsam von allein laufen, wirkt es ungemein sympathisch und verschafft Pluspunkte, wenn sich mächtige Politiker im tagtäglichen Medienzirkus rar machen, besonders wenn ihre Konkurrenten jeden Abend komisch in der Tagesschau herumzappeln.

Merkels beredtes Schweigen hingegen wirkt nirgends komisch; diese Politikerin mag in vielem verhängnisvoll und angreifbar sein, politisch zu schweigen aber versteht sie gut, sie hat es in ihrer Jugend in der DDR von Grund auf gelernt. Sie kann zustimmend schweigen oder ablehnend, bedeutsam oder heiter-nebensächlich, diskret oder heimtückisch-denunzierend. Und sie weiß auch, daß es – auch und gerade im sogenannten Medienzeitalter – eine Schweigepflicht gibt, für Beichtväter, Ärzte, Rechtsanwälte, nicht zuletzt für Diplomaten und einflußreiche Politiker.

Sie weiß auch, daß Schweigen und Nichtstun, gerade in der Außenpolitik, Hand in Hand gehen, sich gegenseitig ergänzen, selbst dann, wenn manchmal faktische Handlungslosigkeit von offiziösen Redeschwaden begleitet, nämlich zugehängt wird, oder wenn umgekehrt wichtigste und folgenhaltigste Handlungen unter tiefstem Schweigen vonstatten gehen, so daß viele Verantwortliche die Sache gar nicht merken oder erst von ihr Kenntnis nehmen, wenn es zu spät ist, die von Merkel angepeilten Ziele längst unter Dach und Fach gebracht sind.

Kürzlich brachte der Londoner Economist einen Aufsatz unter dem Titel „Vormacht ohne Mumm“ heraus, in dem es um die (angebliche oder tatsächliche) Hegemonie Deutschlands im neuen Europa ging. Die Bundesrepublik Deutschland, so der Economist, habe Angst vor ihrer Hegemonenrolle. Weder ihre politischen Handlungen noch ihre politische Rhetorik seien der Lage angemessen, und das werde sich langfristig zum Schaden Europas auswirken. Düstere Töne! Aber Pankraz vermutet, daß die britische Zeitschrift da voll auf die Schweige- und Nichtstun-Politik der Angela Merkel hereingefallen ist.

Diese ist bekanntermaßen ein ausgesprochener Machtmensch.Sie hat gewiß keine Angst vor Machtzuwächsen, ob nun auf nationaler oder internationaler Ebene. Doch warum von eigener Macht sprechen oder sie gar durch auffällige politische Handlungen forcieren, wenn die Dinge von ganz allein in die richtige Richtung laufen? Man würde doch nur große schlafende Hunde wecken, zusätzlich zu den vielen kleineren Keifern, die ohnehin schon unterwegs sind. Also verordnet sie sich und ihrer Regierung beredtes Schweigen und abwartendes Nichtstun. Ist es bisher gutgegangen, wird es wohl auch noch in Zukunft gutgehen.

Freilich ist genau dies die Frage. Wer sich allzusehr auf den „natürlichen Lauf der Dinge“, auf geopolitische Gegebenheiten und wirtschaftliche Potentiale verläßt, der unterschätzt am Ende vielleicht doch die Macht des Geschwätzes, der ideologischen Konstruktionen und des rhetorischen Überschwangs, mit dem sie unter die Leute gebracht werden. Das Regime des absichtlichen Schweigens und Nichtstuns ist letztlich wohl doch eher geeignet für Schönwettertage.

Wenn es wirklich ernst wird, wollen wir doch alle lieber aufrüttelnde Worte hören und handfeste Taten sehen. Gelegentliches Herumstapfen in Gummistiefeln vor hochwasserfeuchten Sandsäcken reicht nicht aus.

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