© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

CD: Gustav Mahler
Symphonische Einzelhappen
Jens Knorr

Er hat Gustav Mahlers neun Symphonien eingespielt, der Tradition des Begegnungskonzerts folgend jeweils gekoppelt mit komplementären Kompositionen. Er hat nach langem Zögern das Fragment der Zehnten und das „Lied von der Erde“ nachgereicht, und 2009 und 2011 hat Michael Gielen seinen interpretatorischen Nachlaß zu Lebzeiten mit den „Gesängen aus Des Knaben Wunderhorn“ vervollständigt, ohne „Es sungen drei Engel“, der als fünfter Satz in die Dritte Eingang fand, aber ergänzt durch den aus der Ersten ausgeschiedenen zweiten Satz, die „Blumine“.

Die Lieder sind – mit Mathias Hansen – zugleich Wegbereiter und Wegbegleiter der Symphonien Mahlers, aber durchaus auch tastende Versuche einer „musique informelle“, wie sie Adorno in seinem berühmten Vortrag von 1961 umrissen hat. Gielen interpretiert sie aus der Erfahrung der Symphonien heraus retrospektiv. Trotz dramaturgisch absichtsvoller Gruppierung formt er aus der Sammlung keinen Zyklus, sondern mehr oder weniger leicht konsumierbare symphonische Einzelhappen. Die allerdings sind in sich durchformt, ohne Jugendstilschwüle und Schmierenexpressivität, in Tempi, die auch schon einmal an den gehobenen Zeigefinger des Musikpädagogen gemahnen. Doch so schön wie hier, und nicht nur in der „Blumine“, hört man die Trompeten selten blasen.

In den Liedern erkundet Mahler das Verhältnis zwischen Laut und Klang, zwischen Vokalem und Instrumentalem. Darum steht und fällt diese wie jede Aufnahme mit den Sängern. Die Besetzung mit Bariton und Sopran ist tradiert, die von Mahler vorgeschlagene Aufteilung der Parts in den Rollenliedern auch dort strikt eingehalten, wo sie den Hörer vom Kern des Liedes eher weg- denn zu ihm hinführt, namentlich in „Wo die schönen Trompeten blasen“. Überraschend, daß Gielen „Rheinlegendchen“ und „Des Antonius zu Padua Fischpredigt“ nicht von dem Sopran, sondern von dem Bariton singen läßt, zumal von diesem.

Hanno Müller-Brachmann scheint zur Zeit der Aufnahmen nicht in bester stimmlicher Verfassung gewesen zu sein: In das Jahr 2011 fiel sein Bruch mit der Berliner Staatsoper unter ihrem neuen Intendanten Flimm. Müller-Brachmann läßt hinterhalsige, ausgetrocknete, in Lagen über dem Passaggio weit aufgerissene Töne hören, die sich keinesfalls aus dem Wahrheitsanspruch des Komponisten an die Interpreten, vom Dirigenten rigoros eingefordert, begründen lassen. Und falls rhetorisches Grimmassieren auf das Grotesk-Komische der Lieder abgezielt haben sollte, so verfehlt es das zu Interpretierende und trifft als Querschläger den Interpreten.

Christiane Iven verfügt über all das, worum Müller-Brachmann kämpfen muß, zuvorderst eine technisch kontrollierte Stimme, schlanke Tongebung mit nicht immer ganz kontrolliertem Vibrato. Mit Leichtigkeit verwandelt sie Ton in Ausdruck und Ausdruck in Ton, und wenn sie Urlicht singt, dann verwandelt sie Laut in Klang.

So steht die Aufnahme, was die instrumentalen Qualitäten betrifft, ganz und steht und fällt, was die vokalen Qualitäten betrifft, zu halben. Aber der Durchbruch im Blumenstück, Bezugspunkt allen Geschehens, versöhnt mit allen und allem.

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