© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Die Musik perlt auf wie Champagner
Staatskapelle Dresden: Die erste Spielzeit unter ihrem neuen Chefdirigenten Christian Thielemann geht zu Ende / Bilanz und Ausblick
Sebastian Hennig

Die Festivalzeit hat begonnen, während die Opern- und Konzertsaison langsam ausklingt. In Dresden war beides ineinander verflochten, als während der Musikfestspiele die Dresdner Staatskapelle unter ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann in Frauenkirche und Semperoper zwei Geburtstagskonzerte zum Richard-Wagner-Jubiläum ausrichtete.

Wochen danach hatte das Elbehochwasser die Stadt wieder einmal erreicht. Die Pumpen liefen auf Hochtouren vor dem Theaterplatz. Einige Aufführungen mußten darum mit szenischen Einschränkungen ablaufen. Das paßte recht gut zur derzeit etwas provisorisch wirkenden Verfassung der Einrichtung. Kurz vor Beginn der ersten Spielzeit von Christian Thielemann in Dresden verstarb die Intendantin Ulrike Hessler. Seither wird die Semperoper kommissarisch vom kaufmännischen Geschäftsführer geleitet. Zu Beginn dieses Jahres wurden Oper und Schauspielhaus zu den „Sächsischen Staatstheatern“ in eine Verwaltung überführt, wie weiland das Königliche Hoftheater.

Vor hundert Jahren entstand das elegante Schauspielhaus gegenüber dem Zwinger. Die Dresdner Bürgerschaft hatte den Theaterbau finanziert. Nach fünfzig Jahren sollte der über Abschreibungen der Krone übereignet sein. Es kam anders. Das nach Kriegsende rasch wiederhergestellte Haus mußte von 1948 bis zur Wiedereröffnung der Semperoper 1985 den Gesamtbetrieb in sich aufnehmen.

Ein Vergleich der künstlerischen Erträge in den Jahren der Entbehrungen mit den heutigen technischen und räumlichen Möglichkeiten fällt für unsere Zeit beschämend aus. Ein Monatsspielplan der frühen fünfziger Jahre zeigt jeden Abend eine andere Vorstellung. In jüngster Zeit erweist der Betrieb seine Potenz nicht durch neue Unternehmungen, sondern vor allem durch den bewahrten Bestand. Auch das Wirken des neuen Chefdirigenten Thielemann, der im September vorigen Jahres sein Amt antrat (JF 36/12), hat ihn bislang nicht aus dieser matten Stimmung herausreißen können.

Es waren mit ihm im Graben drei Erstbegehungen zu erleben, unter denen sich allerdings nicht eine echte Premiere befand. Im November dirigierte Christian Thielemann die erste Oper an seiner neuen Wirkungsstätte. Der „Rosenkavalier“ von Richard Strauss ist Wappenschild und Tafelsilber der Semperoper. Im ausverkauften Haus des Uraufführungstriumphs erhob sich ein sehr lebendiges Denkmal bewahrter Bedeutsamkeit.

Auf dieses berauschende Déjà-vu-Erlebnis folgte die erste Wagner-Oper unter Thielemanns Leitung. In Frage kam dafür nur „Lohengrin“ in der zweifellos schönen Inszenierung, die aus der Zeit stammt, da die Semperoper noch Nachkriegsbaustelle war.

 „Manon Lescaut“ paßt zur Stimmung in Dresden

Die einzige Premiere der Saison mit dem Chef am Dresdner Pult galt im März Giacomo Puccini. Allerdings handelte es sich bei dieser „Manon Lescaut“ um eine Inszenierung, die vor Jahren bereits für das Grazer Opernhaus erarbeitet wurde. Und nach drei Vorstellungen übergibt Thielemann die Leitung von sechs weiteren Aufführungen in andere Hände.

Das Stück selbst paßt zu der anhaltenden Fin-de-siècle-Stimmung in Dresden. Wie sich Manon erst unter Qualen und zu spät von Putz und Prunk losreißt, scheinbar zugunsten einer Liebe, in Wirklichkeit nur um des Geliebt-werdens: Puccini gibt kein Gran der schmerzlichen Schönheit seiner üppig sprudelnden Musik her für eine menschlich nahegehende Dramatik.

Hier wird wie im „Rosenkavalier“ die Äußerlichkeit verzweifelt ernst genommen. Und wie bei sehr schönen Frauen führt diese Hingabe an die Fassade zu einer rätselhaften Würde. Die Musik perlt auf wie Champagner. „Eine junge Dame, die sich langweilt, ist etwas Fürchterliches“, heißt es. Wir genießen unsere eigene Frivolität, während wir einer wohltönend verscheidenden Koketten auf der Bühne bei ihrem Ableben zusehen. Der Entschluß, inmitten einer großen Vergeblichkeit in sinnloser Schönheit geordnete Töne zu entfesseln, hat selbst etwas tragisch Heroisches. Das war bei Puccini und Strauss nicht anders als es heute bei Thielemann ist.

Bekräftigt wird diese Vermutung dadurch, daß es diesem Dirigenten, ob er Operette oder Wagner aufführt, stets gelingt, in der Musik allein das Muskelfleisch des Musiktheaters erlebbar zu machen. Bei „Manon Lescaut“ ließ er diese Muskeln wieder mächtig spielen und in der äußersten momentanen Stabilisierung des flüchtigen Wohlklangs wird die Stärke dieser Kunst deutlich. Einmal mehr heißt die Primadonna assoluta des Opernabends: Staatskapelle Dresden.

Neuinszenierung von Verdis „Simon Boccanegra“

Die Sänger haben sich nach Vermögen als vokale Stimmen dieser Orgel einzufügen. Dabei überraschen immer wieder die guten Ensemblemitglieder, sofern sie sich einmal bewähren dürfen. Dagegen bleiben manche der vollmundig angekündigten Gäste hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Das Bühnenbild ist sperrig, perfektionistisch und auf überdeutliche Weise dekorativ.

Christian Thielemann ist tatsächlich angekommen, wie es die Plakate zu Beginn der Saison stadtweit verhießen haben. Dabei war die einzig wirkliche Neuproduktion der Staatskapelle mit ihm der „Parsifal“ zu den Salzburger Osterfestspielen, der aber in absehbarer Zeit nicht am Koproduktionsort Dresden erscheinen wird. Wagner soll neben den zwei Jubiläumskonzerten in den Premieren vor allem als der Nicht-Wagner der Wagner-Epoche bemerkbar werden, durch Halévys „La juive“ (Inszenierungsübernahme aus Stuttgart) und mit einer konzertanten Aufführung von Gaspare Spontinis „La vestale“. Die Premiere des Dresdner Uraufführungswerks Wagners, „Der fliegende Holländer“, wird von Constantin Trinks dirigiert.

Im Herbst kommen aus dem Repertoire „Tannhäuser“ und „Tristan und Isolde“ wieder zur Aufführung, ebenfalls ohne Christian Thielemann, der unter den fünf Strauss-Werken der kommenden Saison allein eine „Elektra“ zur Premiere bringen wird und den „Rosenkavalier“ weiterbetreut. Dann wird es eine Neuinszenierung von Guiseppe Verdis „Simon Boccanegra“ unter seiner musikalischen Leitung geben. Zu den hervorragenden Taten seiner Dresdner Tätigkeit zählen bislang vor allem die drei Konzerte des Brahms-Zyklus (JF 15/13).

Christian Thielemann: Der Dirigent läßt in Dresden die Muskeln des Musiktheaters mächtig spielen

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