© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Der pubertierende Backfisch
Warten auf das Weib der Zukunft: „Der Fliegende Holländer“ an der Semperoper Dresden
Sebastian Hennig

Gerade hat sich die Elbe in ihr Bett zurückgezogen, da durchwogt eine Sturmflut das Innere der Semperoper. „Der Fliegende Holländer“ ist die einzige Premiere eines Werkes von Richard Wagner, die im Jubiläumsjahr auf die Bretter seiner frühen Wirkungsstätte gelangt. In dem Stück verbindet er literarische und naturgewaltige Eindrücke. Auf ihrer Flucht von Riga nach London umtosten Seestürme den kleinen Segler mit Wagner und seine ersten Frau an Bord.

In der 1843 in Dresden uraufgeführten Oper drängt diese Erfahrung zu einem klangmalerischen Ausbruch. Die Wechselrufe der Bläser schmettern da schon so einzigartig wie später in der „Walküre“, und doch haben sie noch nicht die Trockenheit, mit der das Wasser im „Rheingold“ rauschen wird. Daß ein so lauer Eindruck entsteht, muß wohl an der in jeder Hinsicht verfehlten Inszenierung liegen. Florentine Klepper macht aus den weitgereisten Seefahrern ein tumbes Pack von Küstenfischern in gelben Wathosen, die sich an einer Bar betrinken, um dann kleine Mädchen zu bedrängen. Vielleicht kommt darum in Dresden bereits die Ouvertüre etwas tranig daher.

Gleich danach tönt minutenlang vom Tonband Meeresrauschen und Seevogelgekreisch. Gemeinsam mit Musikern und Sängern wartet das Publikum, daß den Einfällen der Inszenierung Genüge getan ist und das Musiktheater fortgesetzt werden kann. Doch der Abend geht weiter, indem alle mitwirken und zugleich seltsam unbeteiligt und unbeschwingt bleiben. Es scheint etwas nicht zu stimmen zwischen den Musikern und dem Dirigenten Constantin Trinks.

Marjorie Owens erweist sich vom Stimmvermögen und in technischer Hinsicht als eine fähige Senta, und doch erfüllt sie die Figur nicht mit Leben, bewirkt keinen Eindruck. Markus Marquardt als Holländer findet manche schöne Wendungen, wenn auch nicht mühelos.

Wagner sieht seine Senta als „das noch unvorhandene, ersehnte, geahnte, unendlich weibliche Weib, (…) das Weib der Zukunft“ und schreibt: „... wie norwegische Mädchen mit so starker Gewalt empfanden, daß der Tod durch plötzliche Erstarrung des Herzens bei ihnen vorkam. So ungefähr möge es sich auch mit dem scheinbar ‘Krankhaften’ bei der bleichen Senta verhalten.“

Das Weibliche hat Wagner zeitlebens beschäftigt. Im „Tannhäuser“ steht Aphrodite gegen Maria, und in „Lohengrin“ zerfällt das Weib in die haltlos- verschwebende Elsa und die schrecklich starre Ortrud. In der Kundry des „Parsifal“ sind beide Aspekte emulgiert. Was bei der eigentlich anspruchslosen Schauerromantik des „Holländers“ in der Gestalt der Senta bereits aufblitzt, ist das zugleich bewußte wie naturhafte Opfer, das Brünnhilde später bringen wird, und dadurch die Götter vergehen läßt und das Weltgeheimnis erneuert. Die Regisseurin Klepper ähnelt an politischer Erstarrung der selbständigen Ortrud, und mit der Neigung zu Kinobildern von süßlicher Klebrigkeit erweist sie sich zugleich als elsahaft albern und unreif.

So wie der ruhelose Mann durch die weibliche Hingabe erlöst wird, wird die Frau vom Mann erkannt. Wir brauchen einander. Doch der Frauen-Truppe, die diese Inszenierung verantwortet, mangelt der naheliegende Abstand, der die Balance zwischen den Geschlechtern zugleich rettet und klärt. Diese Oper könnte nicht „Der Fliegende Holländer“, sondern eher „Der pubertierende Backfisch“ heißen. Denn für diese Regie existiert die Titelfigur nur als eine Art Therapeut für den Selbstbestimmungswillen einer Heranwachsenden: „Der Holländer ist Begleiter in der kritischen Phase (…) als es darum ging, sich von der eigenen Familie abzunabeln.“

Beeindruckend ist allein die Darbietung des verstärkten Opernchors im 3. Akt. Dieser Beginn des Schlusses tilgt etwas von dem vorangegangenen Verdruß, der letztlich aber vorherrschend bleibt. Denn das Finale verkommt durch die unmotivierten Bewegungen von Senta und Holländer zu einem Gezänk auf dem Korridor. Der Holländer geht zunächst empört ab. Als Senta sich rechtfertigt, tappelt der Mann über den Steg wieder zurück, um schließlich abermals zu verschwinden. Das Mädchen greift den Koffer und rüstet sich zu einer Reise mit unbestimmtem Ziel.

Die Inszenierung gebärdet sich als Zensierung

Tröstlich bleibt daran allein, daß diese Art von uninspiriertem und zerstreutem Regie-Wirrwarr einen Zenit voller Zerstörungsglut lange überschritten hat. Die giftige Denunziation einer angeblich repressiven Gemeinschaft, wie sie durch die Gebärmaschinerie der Spinnstubenszene dargestellt wird, weist in der Formlosigkeit und Unverbindlichkeit unserer Tage ebenso ins Leere wie der vulgäre Psychologismus der stummen Kinderrolle der kleinen Senta. Diese Art der Kniffe in der Art von Konwitschny und Kupfer haben längst ihren Platz in der Rumpelkammer gefunden und werden inzwischen wahllos mit weiteren Unarten des Opernbetriebs der letzten zwei Jahrhunderte kombiniert, zum Beispiel dem unmotivierten An-der-Rampe-Stehen, albernem Mummenschanz und schwülstigen Schaubildern ohne Sinn.

Nun ist nach Leipzig (JF 24/13) auch das Dresdner Operhaus an der Herausforderung des Wagner-Jahres elend gescheitert. Hier wie dort erweist sich: Nur mit Willenskraft läßt sich das Außergewöhnliche nicht leisten. Es muß Hingabe dazukommen. Gerade die durfte aber nicht sein. Die Inszenierung gebärdet sich vielmehr als Zensierung des Grundgedankens des Stückes. Die Regisseurin und ihre Bühnenbildnerin verkünden: „Ich persönlich weigere mich, von Erlösung zu sprechen, wenn eine Frau dafür sterben muß. (…) Daran haben wir uns sehr gebissen! Wir haben diese Bedingung nicht als heutig empfunden.“ Natürlich ist sie es nicht und war das genausowenig 1843. Es geht hier schließlich um das „Weib der Zukunft“.

Die nächsten Vorstellungen„Der Fliegende Holländer“ an der Semperoper Dresden, Theaterplatz 2, finden am 28. Juni sowie am 1. und 7. Juli statt. Telefon: 03 51 / 49 11 705 www.semperoper.de

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