© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Scharnhorsts letzte Mission
Vor zweihundert Jahren starb der preußische Militärreformer Gerhard von Scharnhorst an einer Kriegsverletzung
Klaus Hornung

Europa hielt den Atem an, als sich die Nachricht von dem flucht-artigen Rückzug der Grande Armee Napoleons aus Rußland im Spätherbst 1812 verbreitete. In Preußen wuchs die Hoffnung auf die Befreiung von der französischen Herrschaft. Die Entscheidung General Yorcks am 30. Dezember in Tauroggen, sein Korps von den Franzosen zu lösen, sollte zum Startsignal werden (JF 51/12). Die ostpreußischen Landstände forderten den König im Februar zum Kampf gegen Napoleon auf (JF 6/13).

Friedrich Wilhelm III. war im Januar nach Breslau gegangen mit der Begründung, hier zur Unterstützung Napoleons neue preußische Truppen aufzustellen, tatsächlich jedoch, um im besatzungsfreien Schlesien Handlungsfreiheit zu gewinnen. Noch gab es im preußischen Establishment eine „Franzosenpartei“, die vor dem Bruch mit dem Korsen und dem Bündnis mit Rußland warnte. Doch die „Patriotenpartei“ mit Scharnhorst, Gneisenau, Blücher an der Spitze, die die antifranzösische Stimmung im Volk hinter sich wußte, gewann an Einfluß. Der Aufruf des Königs „An mein Volk“ vom 17. März 1813 (JF 12/13) ließ keinen Zweifel mehr, daß die Stunde der Befreiung von den Bedrückern geschlagen hatte. Die Kriegserklärung an Frankreich folgte am 27. März.

Freilich hatten die führenden Protagonisten dieses Kurses allesamt keine preußischen Wurzeln. So wie der im Kurfürstentum Sachsen geborene Gneisenau und der einem mecklenburgischen Geschlecht entstammende Blücher war auch Gerhard von Scharnhorst kein Preuße. 1755 in Bordenau nördlich von Hannover geboren, trat der Sohn eines nichtadligen hannoverschen Dragoneroffiziers 1773 in die Dienste des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe, wo er eine ausgezeichnete militärische Ausbildung erhielt und besonders durch die Herder-Lektüre aufklärerische Ideen kennenlernte.

Erst 1801 trat Scharnhorst in die Dienste Preußens, nachdem er sich im Koalitionskrieg gegen Frankreich Meriten erworben hatte. In den Adelsstand erhoben, leitete er die Akademie für junge Offiziere in Berlin, wo er sich neben Taktik und Strategie auch mit der Weiterentwicklung militärischer Strukturen beschäftigte. Seine Reformvorschläge für die preußische Armee, die er nicht mehr für die moderne Kriegsführung gerüstet sah, wurden noch im Frühjahr 1806 in den Wind geschlagen.

Nach Jena und Auerstedt fand Scharnhorst Gehör

Erst die Katastrophe von Jena und Auerstedt sollte dazu führen, daß Scharnhorsts Ideen einer Militärreform nach 1807 in die Praxis umgesetzt wurden. Die Prügelstrafe wurde aus der Truppe verbannt, ebenso wie angeworbene ausländische Söldner. Die Offizierslaufbahn sollte durch das Leistungsprinzip bestimmt werden, was auch Bürgerlichen den Zugang eröffnete. Doch seine Tätigkeit weckte den Argwohn der Franzosen. Auf Napoleons Druck wurde Scharnhorst 1810 als Kriegsminister abgelöst, insgeheim blieb er jedoch für die preußische Rüstung verantwortlich, zudem blieb er Chef des Generalstabs. Die Früchte seiner Arbeit sollten sich schon bald zeigen.

Am 2. Mai 1813 kam es bei Großgörschen in der Nähe von Lützen, wo 1632 der Schwedenkönig Gustav Adolf gesiegt hatte, zur ersten Schlacht des Befreiungskrieges, und Napoleon mußte erkennen, daß „die Tiere“, die Preußen, seit Jena und Auerstedt einiges gelernt hatten und es ihnen gelang, das Schlachtfeld zu behaupten.

Trotz des im Mai folgenden Sieges Napoleons über die Preußen und Russen bei Bautzen mußte dieser am 4. Juni einen Waffenstillstand für die Dauer von acht Wochen schließen. Der Korse gedachte, ihn zur Verstärkung seiner Truppen zu nutzen, Preußen und Russen wollten in dieser Zeit Österreich für die Koalition und die Fortsetzung des Krieges gewinnen. Als eine Art Vermittler traf sich der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich am 26. Juli 1813 in Dresden mit Napoleon zu einem denkwürdigen neunstündigen Gespräch (JF 26/13) und bot ihm einen Friedensschluß an, den Napoleon rundherum ablehnte. Am 10. August lief das von Metternich gestellte Ultimatum ab, zwei Tage später erklärte Österreich Frankreich den Krieg und trat der Koalition bei.

Scharnhorst, der Generalstabschef der preußischen („schlesischen“) Armee des Feldmarschalls Blücher geworden war, hatte bei Großgörschen eine feindliche Kugel im Bein getroffen. Sie wurde herausgeschnitten und eine baldige Heilung schien zu erwarten. Der General sollte nun während des Waffenstillstandes in Wien mit Metternich über den Beitritt Österreichs zur Koalition verhandeln.

Am 11. Mai brach er im Militärlazarett Zittau auf und erreichte am 21. Mai Znaim. Offensichtlich paßte Metternich diese Verhandlung nicht in das politische Kalkül, stand doch das Treffen mit Napoleon noch bevor. Scharnhorst wurde deshalb aufgefordert, statt dessen in Prag Militärgespräche mit dem österreichischen Oberbefehlshaber, dem Fürsten Schwarzenberg, und seinem Stabschef, General Radetzky, zu führen. Die beschwerliche Reise trug das ihre zur Verschlechterung der Wunde bei. Doch noch am 18. Juni schrieb Scharnhorst seiner Tochter Julie mit zitternder Hand, er hoffe, „mit den edelsten Streitern beim Wiederausbruch des Krieges sein zu können“. Am Vormittag des 28. Juni versagte das Schicksal ihm seinen „schönsten Lohn“, den preußischen Sieg noch zu erleben.

Traditionspflege in allen deutschen Armeen

Am 30. Juni wurde Scharnhorst nach einem feierlichen militärischen Leichenbegängnis unter großer Anteilnahme in der Kapelle des Prager Militärfriedhofs vorläufig beigesetzt. 1819 ergriffen Gneisenau, Clausewitz, Boyen und Wilhelm von Humboldt die Initiative zur endgültigen Bestattung auf dem Berliner Invalidenfriedhof, die 1826 stattfand. Seit dem 2. Mai 1834, dem Jahrestag der Schlacht von Großgörschen, ruht General Gerhard von Scharnhorst dort unter dem Marmordenkmal des schlafenden Löwen, das Schinkel entworfen und Christian Daniel Rauch ausgeführt hatte.

Andenken und Erbe des großen Militärreformers wurden später in allen deutschen Armeen des 20. Jahrhunderts gepflegt. Die Marine unter Kaiser Wilhelm II. ehrte Scharnhorst 1906 mit der Benennung eines seiner Flaggschiffe, desgleichen erfolgte 1936 unter Hitler mit der Taufe eines der vier Schlachtschiffe der Kriegsmarine. In der DDR pries man den „Bauernsohn“, der die feudalistischen Strukturen der Armee aufbrach, und benannte später gar die höchste Auszeichnung der NVA nach dem preußischen General. Die Bundeswehr ging bei der Traditionspflege sogar noch einen Schritt weiter: Als Gründungsdatum der neuen Armee wählte man 1955 bewußt den 12. November – Scharnhorsts 200. Geburtstag.

Die preußischen Reformer Scharnhorst, Hardenberg und Stein, Holzstich von 1807: „Mit den edelsten Streitern sein zu können“

Klaus Hornung: Scharnhorst. Soldat, Reformer, Staatsmann. Ein Lebens- und Zeitbild. Druffel & Vowinckel, Gilching 2013, gebunden, 340 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

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