© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Wahnsinn eskaliert
Ein Mahnruf aus der unternehmerischen Praxis zur Bildungsmisere in technischen Berufen
Julius Lange

Kennt ihr noch diese herrlichen Slapstickfilme mit Dick und Doof? In typischen Szenen versucht Olli Stan etwas zu erklären, die Reaktion von Stan besteht aus absolutem Unverständnis, und das wiederum treibt Olli in den Wahnsinn. In den Bewerbungsgesprächen versuche ich, die Eskalationsstufe des Wahnsinns zu vermeiden, aber ich fühle mich oft, als wäre ich Olli.“ Dieses bittere Fazit zieht Dieter Schäufler aus seinen Gesprächs­erfahrungen mit dem Berufsnachswuchs.

Der Mittvierziger ist allerdings kein „Headhunter“ oder Chef eines „Assessment-Centers“, das theatralische Rollenspiele abverlangt, sondern Diplom-Ingenieur für Maschinenbau. Ausgebildet an der TH Darmstadt, arbeitete er zunächst bei Hochtief, es folgten Tunnelprojekte in Südafrika und der Flughafenbau in Athen. Seit drei Jahren leitet er eine Industrieofen-Firma in Düren. Schon die Vorauswahl der Bewerbungen ende „in der Regel mit einer Ausschußquote von etwa 90 Prozent“, klagt Schäufler in seinem Praxisbericht über die „deutsche Bildungswüste“ in den Akademischen Monatsblättern (4/13). Doch selbst unter den restlichen zehn Prozent fänden sich immer weniger brauchbare Nachwuchsingenieure.

Dabei bestehe der typische Eingangs-test für Maschinenbauingenieure – heute Master in Mechanical Engineering genannt – in der simplen Aufforderung, eine Welle mit zwei Lagern zu konstruieren. Eine „Erstsemesteraufgabe Mechanik und Zweitsemesterübung Konstruktion“, erläutert Schäufler. Erwartet werde nur „absolutes Basiswissen“. Ergänze er das Ganze noch mit der Frage, „wie eine Schraubenverbindung berechnet wird, sind die Grenzen jeglichen Wissens überschritten. Ich hatte in den letzten sieben Jahren einen einzigen Kandidaten (von schätzungsweise über hundert), der mir eine saubere Konstruktionszeichnung erstellte“, klagt Schäufler. Welch ein Abstieg vom Ausbildungsniveau zu Schäuflers Studienzeit Ende der achtziger Jahre. Von seinen damaligen Kommilitonen konnte jeder solche Aufgaben „im Schlaf“ lösen.

Bei den Lehrlingen im technischen Sektor sehe es allerdings nicht rosiger aus. Immerhin ließen sich, wie Schäufler anmerkt, durch simple Fragen Anwärter ermitteln, die berechtigte Hoffnung weckten, daß sie wüßten, „wie ein Schraubenzieher aussieht“. Seine Firma schickt ihre „Azubis“ während der gesamten Ausbildung zu Ergänzungskursen in Mathematik und Deutsch, da das Schulwissen zum Bestehen der Gesellenprüfung nicht mehr ausreiche.

Suche nach Qualifizierten, Fleißigen, Pflichtbewußten

Als Vater zweier Kinder im Alter von 16 und 17 Jahren erlebte er mit, daß die Misere schon im Kindergarten beginne. Dort erziehe man die Kleinen nicht zur Einschulungsreife, sondern zur „Null Bock“-Mentalität, ist Schäufler überzeugt. An den weiterführenden Schulen sehe es nicht besser aus. Speziell die Gesamtschule fällt bei ihm komplett durch: „Wenn ich das richtig verstanden habe, besteht das Konzept aus der Hoffnung, daß die Besseren die Schlechteren nach vorne ziehen. Ich selbst kenne keine Kolonne, die schneller fährt als ihr langsamstes Mitglied“, so der Ingenieur.

Durch seine langen Auslandsaufenthalte wisse er, wie „hochgeachtet dort der deutsche Ingenieur und der deutsche Meister sind“. Aber er müsse nun tagtäglich erleben, wie hierzulande die Grundlagen dieses Ansehen zerstört würden: „von der Politik, von den Medien, von den Lobbyisten, von den fortschrittlichen Eltern, von den Lehrern der antiautoritären oder antikonservativen oder antitraditionellen oder sonst irgendwelchen Anti-Richtungen“.

Gleichzeitig formierten sich in Schwellen- und Entwicklungsländern Bevölkerungen, die mit einst „typisch deutschen oder gar preußischen Werten“ vorankommen wollen. Dort setze die Bildungspolitik auf die Erziehung von „qualifizierten, fleißigen, pflichtbewußten und ehrgeizigen Menschen“. China versuche dahin zu kommen, wo Deutschland heute noch ist – und das Reich der Mitte habe schon viel erreicht. Chinesische Ingenieure hätten teilweise bessere Qualifikationen als deutsche Studienabgänger. Derzeit melde China allein in einer Spezialbranche wie der Metallurgie im Bereich Pulvermetalle jährlich 150 neue Diplom-Ingenieure. Ganz Europa komme hingegen auf kümmerliche zwei bis zehn Absolventen im Jahr. Daß auch osteuropäische Ingenieure inzwischen bessere Qualifikationen als deutsche Studienabgänger auswiesen, liege nicht an „der immer besser werdenden Ausbildung in den genannten Staaten, sondern fast ausschließlich an unseren hausinternen Entwicklungen“.

Dieter Schäufler: „Fünf Jeremiaden – Die deutsche Bildungswüste“ (Akademische Monatsblätter 4/13) www.kartellverband.de/?id=145

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen