© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Verharren am Rande der Zivilisation
Der russische Umgang mit dem Umweltschutz erinnert an dunkle Sowjetzeiten / Staatlicher Kampf gegen Naturschützer
Christoph Keller

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 nahm die Führung in der geschockten Sowjetunion zum Anlaß für tiefgreifende Veränderungen. So wurde 1988 beispielsweise eine Umweltprüfung für Pläne, Programme und Projekte gesetzlich vorgeschrieben. Eine ökologische Wende bewirkte diese Bestimmung in dem seit 1991 auf Rußland reduzierten Riesenreich aber nicht. Diesen ernüchternden Befund weist eine an der TU Berlin erstellte Studie über „Direkte Demokratie und Umweltverträglichkeitsprüfung in Rußland“ aus.

Nach kurzer Blütezeit zwischen 1997 und 2002, als sich die Partizipationschancen der Öffentlichkeit bei umweltrelevanten Projekten verbesserten, knüpfte man in der Ära Putin wieder an intransparente Sowjettraditionen an. Das Publikum habe wenig bis nichts zu sagen in diesem geschlossenen Entscheidungssystem. Die Umweltprüfung erfolge aufgrund staatlicher Expertise, so daß in betrugsanfälligen Verfahren Vorhabenträger und Bürokraten abgeschirmt von der „Zivilgesellschaft“ entscheiden.

„Ökologisches Katastrophengebiet“

Musterbeispiel dafür sei der Bau des St. Petersburger Autobahnrings. Die Anwohner hätten von der Genehmigung praktisch erst mit Beginn der Bauarbeiten vor ihren Wohnungen erfahren. Zwar stehe den Bürgern stets das Instrument der Volksbefragung zur Verfügung, um potentiell umweltschädliche Großprojekte zu verhindern. Doch die vom Gesetzgeber mit vielen Hürden versehenen Referenden spielen seit der großen Schlappe, die die russische Umweltbewegung 2001 erlitt, kaum noch eine Rolle. Damals wollte man mit einem nationalen Referendum die Wiedereinsetzung einer gerade abgeschafften eigenständigen Umwelt- und Forstbehörde erreichen und zugleich die Einfuhr von Atommüll unterbinden. Doch von den 2,5 Millionen Unterschriften erklärte die Wahlkommission 600.000 für ungültig, so daß das Quorum verfehlt wurde. Von diesem Fiasko hätten sich Rußlands Umweltaktivisten bis heute nicht erholt. Seitdem schränkte der Staat die Mitwirkungsoptionen sogar weiter ein. Die ökologische Bewegung agiert daher nicht mehr in wenigen geschlossenen Organisationen, sondern sie zerfiel in viele Aktivistennetzwerke.

Deren Engagement stoße im Zeichen der „Ökologie à la Putin“ zunehmend auf staatliche Repression, wie der Moskauer Journalist Grigori Pasko beklagt (Natur, 6/13). Pasko sorgte 1994 mit einem Film über illegale Verklappungen radioaktiver Abfälle durch die russische Pazifikflotte international für Furore. Putins Sicherheitsapparate kämpften inzwischen auf breiter Front gegen Naturschützer. Der voranschreitende Prozeß der Naturzerstörung sei beängstigend, klagt Pasko. In Rußland gelten bereits 15 Prozent des Bodens als „ökologisches Katastrophengebiet“. Daß auf russischen Deponien 30 Milliarden Tonnen Müll liegen und 135 Städte unter „extremer“ Luftverschmutzung litten, bleibe der Öffentlichkeit verborgen, da Meinungsfreiheit nur noch in den Blogs im Internet existiere. Ändere sich nichts, verharre Rußland – ökologisch gesehen – „am Rande der Zivilisation“, so Pasko.

Johann Köppel u.a.: „Direkte Demokratie und Umweltverträglichkeitsprüfung in Russland: gestern und heute“ (UVP-Report 5/13) www.komup.de/de/uvp-report

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