© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

„Bargeld schafft Freiheit“
Die Krise hat unsere Währung vom Bürgergeld zum Staatszahlungsmittel deklassiert. Nun droht auch noch die Verdrängung aus dem Alltag durch ”Mobile Payment“. Das könnte das Ende der freien Gesellschaft sein, fürchtet der Ökonom und Geldtheoretiker Hans-Joachim Stadermann
Moritz Schwarz

Herr Professor Stadermann, wird ernstlich darüber nachgedacht, das Bargeld abzuschaffen?

Stadermann: Diskutiert wird die Abschaffung von Münzen und Banknoten als Zahlungsmittel, nicht die Abschaffung von Bargeld.

Ist das nicht das gleiche?

Stadermann: Nein, Irrtum. Banknoten und Münzen sind nur die aktuelle Form des Bargeldes.

Was bedeutet das?

Stadermann: Zum Beispiel war im deutschen Kaiserreich bis August 1914 die Reichsmünze das Bargeld. Banknoten galten nur als ein – das bare Geld vertretendes – „Umlaufmittel“, das man bei den Zentralbanken in vollgewichtige Edelmetallmünzen einlösen konnte.

Also noch mal, was genau ist nun Bargeld?

Stadermann: Bargeld ist das Mittel, mit dem Verbindlichkeiten endgültig aufgelöst werden. Also nicht nur, wie bei Kreditkarteneinsätzen oder Überweisungen, Forderungen gegen einen Schuldner auf einen anderen übertragen werden. Denn der Gläubiger erhält in den beiden letztgenannten Fällen, eine Forderung gegen die Bank im Austausch zu der gegen seinen Schuldner. Seine Leistung ist streng betrachtet noch nicht bezahlt. Sie sehen, Bargeld hat also nicht notwendigerweise etwas mit Münzen und Scheinen zu tun. Und so, wie es möglich war, Gold und Silber durch Papier zu ersetzen, wird eines Tages auch die Banknote aufhören Bargeld zu sein.

„Die Zukunft:  elektronisches Bargeld“

Was kommt dann?

Stadermann: Viele hoffen auf elektronisches Bargeld. Im Grunde ist es doch ziemlich altmodisch, immer noch mit Münzen und Scheinen zu bezahlen.

Elektronisches Bargeld ist aber nicht zu verwechseln mit der Kreditkarte?

Stadermann: Nein, elektronisches Bargeld funktioniert nicht nach dem Kreditkartenprinzip, sondern wie heutiges Notengeld. Nur, daß Sie weder Bank noch Geldautomaten brauchen. Statt dessen haben Sie eine elektronische Geldbörse mit einem Chip mit ihrem Bankguthaben, den Sie über den eigenen Computer aufladen können. Ähnlich geschieht es bisher beim Prepaid-Mobiltelefon. Statt einer klassischen Geldbörse tragen Sie also eine elektronische mit sich und können mit ihr, wenn Ihr Vertragspartner auch eine hat, bezahlen.

Was ist der Unterschied zur Kreditkarte?

Stadermann: Mit Ihrer elektronischen Geldbörse bezahlen Sie jetzt endgültig und sofort. Ihre Börse wird wie eine Kasse geleert, die des Partners gefüllt. Das Ganze geschieht Offline, also von Chip zu Chip, ohne daß bei diesem Schritt zu einer Bank Kontakt aufgenommen wird. Da also kein Konto im Spiel ist, verrät der Bezahlvorgang nicht Ihre Identität. Keiner weiß, wer Käufer und Verkäufer sind. Alles bleibt ebenso privat wie beim Bezahlen mit Geldscheinen.

Aber ist das System denn sicher?

Stadermann: Bisher nicht, deshalb ist es auch noch nicht eingeführt. Das Sicherheitsproblem ist größer als bei den Banknoten: Auch Papiergeld kann gefälscht werden, aber Blüten kann man von Banknoten unterscheiden. Elektronisches Geld dagegen besteht aus einem Datensatz. Wenn ein Fälscher den Code knackt, kann er Duplikate in beliebiger Menge erstellen, die sich vom Original nicht unterscheiden lassen.

E-Geld ist also nicht fälschungssicher?

Stadermann: Nicht einmal die Zentralbank kann erkennen, daß es sich um Falschgeld handelt. So könnten Schäden entstehen, die eine Aufrechterhaltung dieser Art von Bargeld unmöglich machen: Die Fälscher bringen ihr „Geld“ endlos über den Handel in die Zirkulation, von dort gelangt es unerkannt in das Bankensystem und fließt dann früher oder später der Zentralbank zu, die es gegen Vermögenswerte einlösen muß, obwohl sie es nicht emittiert hat und deswegen keine Vermögenswerte bei der Ausgabe erhielt. Sie verliert also ihre Währungsreserve und das Eigenkapital und ist damit irgendwann zahlungsunfähig. Die Steuerzahler müssen die Zentralbank dann mit neuem Kapital und Reserven als Haftungsmittel ausstatten.

Angeblich kann es in der digitalen Welt kein endgültig sicheres System geben.

Stadermann: Ja, jeder Code kann früher oder später geknackt werden.

Also kommt das elektronische Bargeld nie?

Stadermann: Nicht in nächster Zeit. Aber das ist keine Frage für einen Ökonomen, sondern für einen Informatiker.

Die EZB will die Cent-Münzen abschaffen. Ist das ein erster Schritt hin zum Ende des Banknotenzeitalters?

Stadermann: Das ist eher ein Problem der Inflation. Die Cent-Münzen kosten inzwischen mehr, als sie an Wert darstellen. Das ist der Gang der Geldgeschichte. Daß Groschen das deutsche Wort für „grossi“ ist, signalisiert, daß er einst eine „große“ Münze war. Allerdings, sollten die technischen Probleme je gelöst sein, ist es vorbei mit Münzen und Scheinen.

Könnten die Bürger denn sicher sein, daß die elektronische Geldbörse nicht doch auch Personendaten überträgt?

Stadermann: Natürlich könnte jemand ihre Chipkarte manipulieren, ebenso wie er Ihr Telefon anzapfen, Ihre Briefe heimlich öffnen oder Ihr Haus mit einem Richtmikrofon abhören kann. Die Gefahr besteht – ungeachtet der Behauptung, der Chip in der Börse sei unveränderbar. Das ist aber kein exklusives Problem der elektronischen Geldbörse.

Eher wahrscheinlich ist jedoch, daß Münz- und Papiergeld nicht vom E-Geld, sondern vom sogenannten Mobilen Bezahlen – „Mobile Payment“ – verdrängt werden.

Stadermann: Stimmt, unter mobilem Bezahlen versteht man das Abbuchen per Mobiltelefon. Statt beim Busfahrer, an der Supermarktkasse oder für den Eintritt ins Kino Bargeld oder Kreditkarte zu zücken, bezahlt man mit einer Applikation auf dem Mobiltelefon. Das Prinzip ist das gleiche wie bei der Kreditkarte, der Vorgang ist also nachvollziehbar, rückabwickelbar und nicht anonym.

„Zahlen per Handy bedroht Demokratie und Freiheit“

Wenn Läden, Ämter, Dienstleister etc. künftig der Einfachheit halber kein Bargeld mehr akzeptieren, was dann?

Stadermann: Das hieße, daß wir vollends gläserne Konsumenten würden. Banken und Interessenten, die auf diese Daten zugreifen können, könnten anhand unserer Bezahlvorgänge nicht nur feststellen, wieviel Geld wir ausgeben, sondern auch in jedem Einzelfall, was wir kaufen, wann wir es kaufen und wo wir wann waren, um es zu kaufen. Haben wir Alkohol, Zigaretten oder ungesunde Nahrung erworben? Das wüßten Krankenkassen und Lebensversicherer gern. Welche Zeitungen konsumieren wir, welche kann man uns noch verkaufen? An welche Organisationen spenden wir Geld? Mit wem machen wir Geschäfte? Nicht nur detaillierte Konsum-, auch genaue Bewegungs- und Sozialprofile ließen sich für jeden einzelnen erstellen. Das hört sich im Einzelfall lächerlich an. Wen interessiert, ob wir Zahnpasta kaufen? Aber durch die enorme Menge der Informationen können per Filterung Profile erstellt werden, die Demokratie und bürgerliche Freiheiten bedrohen. Eine Horrorvorstellung! Ich habe noch nicht einmal eine Payback-Rabattkarte.

Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Bargeld und Freiheit?

Stadermann: Unbedingt. Tatsächlich war ja auch Bargeld das Mittel, mit dem sich die Bürger in Europa während der Aufklärung aus dem Zwang der feudalen Gesellschaft befreit haben.

Inwiefern?

Stadermann: Ursprünglich gab der adelige Herrscher das Geld in Form von Kurantmünzen aus, das sind Münzen deren Geldwert – anders als heute – ihrem Materialwert entspricht. Um seine wachsenden Finanzprobleme zu lösen, verschlechterte er aber ihren Edelmetallgehalt: Er prägte mehr Münzen mit verringertem Gewicht oder verminderter Feinheit. Das konnte der adelige Herrscher sich deshalb erlauben, weil seine Stellung nicht auf der Stabilität der Währung beruhte, sondern auf Herrschaft durch physische Gewalt. Die Stellung des Bürgers dagegen beruhte auf erfolgreichem Wirtschaften. Dazu mußte der Bürger auch langfristige Verträge abschließen. Deren Ergebnisse waren aber unbestimmt, wenn sich der Wert des Geldes unvorhersehbar änderte. So gründeten die Bürger Banken. In dem Ausmaß, das durch ihre Beteiligung am Eigenkapital bestimmt war, konnten sie mit Wechseln und Überweisungen ihre Zahlungen abwickeln. Das Eigenkapital war die Währungsgrundlage und sicherte die Stabilität dieses Bürgergeldes. Mit dem wachsenden Warenangebot stieg die Konsumlust – auch die der adeligen Grundherren. Kredit schien dieses Problem auf angenehme Weise zu lösen. Aber die Verschuldung machte den Adel mehr und mehr von seinen bürgerlichen Gläubigern abhängig. Wem der Wandel zum Unternehmer nicht gelang, der wurde politisch entmachtet.

Gemeinhin gilt die Freiheit als Produkt der Revolutions-, nicht der Geldgeschichte.

Stadermann: Die politischen Revolutionen kommen immer am Schluß. Erst verändern sich die Strukturen, erodiert die Stellung der Mächtigen und dann, wenn sie immer noch auf ihren Posten sitzen, aber ihre eigentliche Macht eingebüßt haben, werden sie durch Revolutionen ausgetauscht. Alexis de Tocqueville hat das auf brillante Weise für die Revolution von 1789 gezeigt. Revolutionen sind Sichtbarmachungen dessen, was tatsächlich schon stattgefunden hat.

Unsere Freiheit beruht also auf der Stabilität unseres Geldes?

Stadermann: Natürlich, auch. Echtes Bargeld, also stabiles Geld, kennt keine Ländergrenzen. Das heißt, der Bürger, der ausreichend darüber verfügt, kann sich dem Landesherrn entziehen. Verfügt man dagegen nur über Staatszahlungsmittel steht es schlecht um Freiheit und Demokratie. Der Unterschied zwischen Bargeld, sprich Zentralbankgeld, und Staatszahlungsmittel – zum Beispiel die Mark der DDR – ist, daß hinter letzterem kein marktbewerteter Vermögenswert steht, sondern nur ein Zahlungsversprechen des Finanzministers. Vermögenswerte kann man nicht beliebig vermehren, während Zahlungsversprechen beliebig gegeben werden können. Die Regierung, die sich selbst aus ihrer Staatsbank mit Zahlungsmittelen bedient, braucht keine Rücksicht auf ein die Ausgaben bewilligendes Parlament zu nehmen. Devisenbewirtschaftung unterbindet den freien Handel, freie Konvertierbarkeit wird aufgehoben. Devisen werden auf Antrag zugeteilt oder verweigert, Auslandsreisen gibt es dann kaum.

Diktatorische Systeme sind folglich bestrebt, das Bargeld auszuschalten?

Stadermann: Für Diktaturen ist echtes Bargeld in den Händen der Bürger ein Problem. Im Dritten Reich etwa wurden der Zinssatz, Güterpreise, Wechselkurse und vor allem Löhne gesetzlich festgesetzt, um die Zinssteuerung der Wirtschaft aufzuheben und durch staatliche Steuerung zu ersetzen. Am Ende war Finanzminister Walther Funk auch Reichsbankpräsident und die Reichsmark im Ausland viel weniger Wert als im Reich. Die Nationalsozialisten beließen den Noten der Reichsbank zwar ihr vertrautes Gesicht, aber tatsächlich waren sie ein überbewertetes Staatszahlungsmittel geworden, mit dem man sich nicht, wie mit Bargeld, der Staatsmacht ohne bedeutenden Verlust entziehen konnte. Und auch in der DDR war Geld nicht die Beschränkung für wirtschaftliche Aktivität, es hieß dort: „Am Geld soll’s nicht scheitern!“ Beide Systeme beseitigten durch die Aufhebung des Bargeldes die Grundlage der Bürger für ökonomische und so auch politische Unabhängigkeit vom Staat.

Und heute?

Stadermann: Meine Meinung ist, daß unser Bargeldsystem bereits wieder zerstört ist. Seit der „Euro-Rettung“ können die Regierungen der Euro-Zone die Geldmenge mit Zahlungsversprechen ausweiten. Eine Zentralbank, die wertlose Aktiva in der Bilanz hat, kann keine auf dem Markt stabile Währung emittieren. Ihr auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesenes Geldangebot, hat den Wert ihrer Aktiva. Schneller als man glaubt, wird es den Nullwert haben, weil solange sie noch gute Aktiva besitzt, ihre Geschäftspartner sie durch nominal gleiche, aber am Markt nullwertige „Wertpapiere“ austauschen werden.

Also ist das Bargeld doch, nur auf andere Weise abgeschafft?

Stadermann: So kann man das sagen.

„Eine Situation wie vor der Französischen Revolution“

Aber der Staat ist nicht der Nutznießer?

Stadermann: Nein, übermäßige Verschuldung hat den demokratischen Staat in hohe Abhängigkeit von den Banken gebracht. Ihren Kredit nicht zu verlieren, ist Hauptsorge der Finanzminister. Wer kein Ohr für die Sorgen der Banken hat, steht vor unüberwindbaren Haushaltsproblemen. Seine Anleihen werden am Sekundärmarkt in „Notverkäufen“ verschleudert, weil die Banken sonst illiquide wären, heißt es. Kursstürze würden die Zinsen für Neuverschuldungen erhöhen, bis die Regierung wehrlos geworden ist. Fazit: Im Grunde spielen unsere Politiker nur noch Politik. Wie vor der Französischen Revolution sind die Institutionen ausgehöhlt. Gesetze werden mit Ausnahmen und Ignoranz entkräftet. Die „Wirtschaft“ wird den Staat abschaffen, wie der Staat der Nationalsozialisten die Wirtschaft abgeschafft hat.

Die Lösung?

Stadermann: Ein Ausweg könnte der Untergang der Schulden durch Einführung einer neuen Währung sein. Die US-Besatzungsmacht gab 1948 diesem Vorgang, der ein klassischer Staatsbankrott ist, den Namen Währungsreform. Man hört, sie sei erfolgreich gewesen.

Also eine neue D-Mark?

Stadermann: Es muß nicht die D-Mark sein. Wenn aber eine Währungsunion dabei bestehen bleibt, muß die Geldpolitik und die Finanzpolitik Gemeinschaftspolitik werden, was bedeutet, nationale Souveränität aufzugeben.

 

Prof. Dr. Hans-Joachim Stadermann: Der Berliner Wirtschaftstheoretiker ist Autor zahlreicher Werke zur Geldtheorie, wie „Monetäre Theorie der Weltwirtschaft“, „Herausforderung der Geldwirtschaft“ oder „Die Fesselung des Midas. Aufstieg und Verfall der Zentralbankkunst“, außerdem betreibt er den Blog unser-geld.com. Bis 2007 lehrte er Theorie der Wirtschafts- und Geldpolitik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er war außerdem Mitarbeiter am Institute for the International Education in Chicago. Hans-Joachim Stadermann gilt als Experte für Zentralbankpolitik, Allgemeine Theorie der Wirtschaft und ihre Theoriegeschichte. Als sein jüngstes Werk publizierte er 2006 die „Allgemeine Theorie der Wirtschaft“ in zwei Bänden. Im Herbst erscheint sein neues Buch zum Thema Euro-Rettung. Geboren wurde der Volkswirtschaftler 1942 in Berlin.

 

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