© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Zustände wie auf hoher See
Abhöraffäre: Während die Empörung über die amerikanische NSA wächst, rüstet der Bundesnachrichtendienst auf
Christian Schreiber

Die Empörung ist groß. „Wenn die Medienberichte zutreffen, erinnert das an das Vorgehen unter Feinden während des Kalten Krieges. Es sprengt jede Vorstellung, daß unsere Freunde in den USA die Europäer als Feinde ansehen“, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Das Befremden Deutschlands, so Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag, sei dem Weißen Haus übermittelt worden

Der amerikanische Geheimdienst NSA und sein britisches Pendant GCHQ stehen in der Kritik, weil sie massenweise Daten aus dem internationalen Internettransfer abgegriffen haben. Am Wochenende wurde bekannt, daß die Dimension des Lauschangriffs sogar größer ist, als ursprünglich angenommen. Der Spiegel berichtete, daß in der Bundesrepublik monatlich rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen überwacht werden. Darunter versteht die NSA sowohl Telefonate als auch Mails, SMS oder Chatbeiträge.

Auffallend wortkarg wurden vor diesem Hintergrund die verantwortlichen Politiker, wenn in den vergangenen Tagen das Thema auf den deutschen Auslandsgeheimdienst, den Bundesnachrichtendienst (BND) kommt. Denn dieser geht mit ähnlichen Mitteln vor, arbeitet allerdings nicht so flächendeckend, was allerdings vor allem finanziellen und strukturellen Gegebenheiten geschuldet ist. Der BND hat sich in den vergangenen Jahren neu organisiert und sich dabei weniger am amerikanischen Modell der NSA orientiert. Vom Prinzip her gehen die Geheimdienste ähnlich vor: Sie beschaffen, sammeln Datensätze und werten diese aus. Die amerikanischen und britischen Behörden setzen dazu Technologien namens Prisma und Tempora ein. Das System ist mit am anschaulichsten mit dem Fischfang zu vergleichen. Riesige Netze sammeln alles ein, was ihnen in die Maschen gerät. Danach wird gefiltert und ausgewertet. Der BND hat jahrelang ähnliches versucht, konnte den hohen Aufwand allerdings nicht mehr stemmen.

Seit 2011 geht man nun nach dem sogenannten Harpunen-System vor. Die Jagd auf brisante Daten soll zielgerichteter stattfinden. Zunächst wird zwischen „harten“ und „weichen“ Suchkriterien unterschieden. Dabei spielt beispielsweise die Herkunft eines E-Mail-Schreibers ebenso eine Rolle wie bestimmte Signalwörter. Das Wort Bombe gehört entgegen zahlreicher Gerüchte offenbar nicht zu diesen Begriffen, es würde eine nicht mehr kontrollierbare Datenmenge produzieren. Stattdessen wird nach Fachbegriffen gesucht. Die Behörde spricht von „einem zielorientierten Ansatz“. Tatsächlich ist die Menge des vom BND abgefangenen Materials in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. 2009 waren es noch 6,8 Millionen Datenverkehre, 2010 stieg die Zahl sogar auf 37 Millionen. 2011 hingegen waren es nur noch 2,9 Millionen und ein Jahr später rund 800.000.

Allerdings investiert der BND, der gerade seine riesige Zentrale in der Mitte Berlins errichtet, kräftig weiter. Waren früher vor allem Telefongespräche das Ziel der Geheimdienste, so legt man den Fokus seit einigen Jahren auf das Internet. Dort sieht BND-Präsident Gerhard Schindler seine Behörde offenbar noch schlecht gerüstet. Mit 100 Millionen Euro soll daher in den kommenden fünf Jahren die Abteilung „Technische Aufklärung“ personell und technisch ausgebaut werden. Mit den geplanten 100 Millionen Euro sollen rund 100 neue Stellen geschaffen und neue Rechnerkapazitäten geschaffen werden. Der Staat müsse dafür sorgen, „daß wir Kontrollverluste über die Kommunikation von Kriminellen durch neue rechtliche und technologische Mittel ausgleichen“, sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) der Rheinischen Post.

Die öffentliche Empörung über das Vorgehen der amerikanischen und britischen Behörden kann Friedrich nicht nachvollziehen: „Es geht um Sicherheit und Frieden.“ Diese vornehme Zurückhaltung könnte aber auch damit zusammenhängen, daß der deutsche Auslandsgeheimdienst ganz ähnlich agiert. Der ehemalige BND-Chef Hans-Georg Wieck hat dies dem TV-Sender Phoenix bestätigt. Für alle drei Behörden gelte, daß sie nur nach besonderer Genehmigung und wenn ein Anfangsverdacht bestehe, die Bewohner des eigenen Landes überwachen dürften: „Wenn es sich aber um Verknüpfungen im Ausland handelt, kann jeder Dienst sammeln. Das nennt sich dann die Wahrnehmung von Informationssammlung im Ausland. Das gilt natürlich auch für den BND.“ Im Ausland sei es „gleichsam wie auf hoher See. Jeder hat das Zugriffsrecht und die Zugriffsmöglichkeit.“

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