© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Klonfleisch, Hormonmilch, Chlorhühnchen
Freihandelsabkommen EU-USA: Zusätzliche Milliardenumsätze in Aussicht gestellt / Warnung vor „großindustriellem US-Agrarmodell“
Christian Baumann

Der Agrarhandelsstreit zwischen Washington und Brüssel währt seit Jahren. Schuld sind aus US-Sicht die Europäer, die den Import von Fleisch hormonbehandelter oder geklonter Rinder, von Milch gedopter Kühe oder von genmanipulierten Futtermitteln vereitelten. Die EU argumentiert mit Verbraucherschutz und Wettbewerbsgleichheit in der Landwirtschaft. Die USA antworteten jüngst mit Strafzöllen auf Agrarprodukte oder erhöhten Einfuhrzöllen auf Fleisch und Getreide. EU-Ökoprodukten wurde der Biostandard aberkannt, Sicherheitsauflagen bei Milcherzeugnissen werden angezweifelt.

Hunderttausende neue Arbeitsplätze?

Doch nun soll Schluß sein. Auf dem G8-Gipfel in Nordirland wurde der offizielle Start der Verhandlungen über das seit einem Jahrzehnt debattierte transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP, früher Tafta genannt) verkündet. Der umstrittene Lebensmittelsektor soll Verhandlungsmasse sein. Mitte Juli starten Unterhändler in Wa­shington ihre ersten Verhandlungsrunden. Im Sommer 2014, so der Wunsch von EU-Handelskommissar Karel De Gucht, sollen die TTIP-Verhandlungen abgeschlossen sein. Die Drohung von Justizkommissarin Viviane Reding, die Gespräche wegen des US-Lauschangriffs auf EU-Büros ruhen zu lassen, dürfte nur verbaler Art sein, denn bei den Großen in Wirtschaft und Politik herrscht grenzenlose Euphorie (JF 9/13). Alle würden profitieren, behauptet EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: Jeder Privathaushalt werde im Schnitt um 545 Euro jährlich entlastet.

Derzeit verbuchen die beiden Großräume mit 17,6 Billionen (EU) und 15 Billionen Dollar (USA) fast die Hälfte des weltweiten Wirtschaftsvolumens – erarbeitet von 504 Millionen bzw. 312 Millionen Einwohnern, also nur zwölf Prozent der Weltbevölkerung. Beide Blöcke tragen mit einem Drittel zum globalen Handel bei.

Das TTIP könnte 120 Milliarden Euro zusätzliche Wirtschaftsleistung bedeuten – bei einem momentanen Handelsvolumen von etwa 450 Milliarden Euro. Das Ifo-Institut prophezeit etwa, daß sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – derzeit bei 32.590 Dollar in der EU und 48.820 in den USA – langfristig um fünf bzw. 13 Prozent erhöht. Schon 2012 standen den deutschen Ausfuhren in Höhe von fast 87 Milliarden Euro Einfuhren von gut 50 Milliarden gegenüber. Für die deutsche Ernährungsindustrie sind die USA mit einem Absatzvolumen von 1,4 Milliarden Euro der zweitwichtigste Exportmarkt außerhalb der EU.

Aktuell profitieren etwa 13 Millionen Amerikaner und Europäer unmittelbar vom transatlantischen Handel, mit dem TTIP kommen angeblich jährlich 400.000 neue Stellen pro Jahr hinzu – 100.000 davon in Deutschland. Doch schon die unterschiedlichen Rechtssysteme, technischen Normen (Zoll statt Meter), Umwelt- und Sicherheitsstandards sowie Wettbewerbsklauseln haben es in sich. Die bilaterale TTIP-Achse könnte auch den Handel mit nichtbeteiligten Drittländern erschweren. China ist mit bald 70 Milliarden Euro Exportvolumen inzwischen fast genauso wichtig wie die USA. Und was ist mit dem Rest Asiens oder Südamerika? Bestimmen künftig nicht nur Brüsseler Kommissare, sondern auch US-Senatoren über Wohl und Wehe deutscher Ex- und Importe?

Dramatische Umwälzungen drohen im Agrarsektor. Die Auffassungen zur Stützung der Landwirtschaft, zur Biotechnologie, zu den Herkunftsangaben oder den Exportsubventionen unterscheiden sich fundamental. Die mit dem Energy Policy Act (2005) und dem Energy Independence and Security Act (2007) in den USA eingeführte Zwangsbeimischung von Bioäthanol (E10) hat beispielsweie offiziell nichts mit Agrarsubventionen zu tun – in der Praxis war es ein Wahlgeschenk an die US-Farmerlobby. Hilfszahlungen an Bergbauern in den Alpen dürften hingegen ein Fall für die geplanten TTIP-Schiedsgerichte werden, deren Urteile dann EU- und nationales Recht aushebeln können.

„Mit der geplanten Marktöffnung für Produkte der amerikanischen Agrarindustrie sind alle Errungenschaften des europäischen Verbraucherschutzes in Gefahr“, warnt Bernd Voß, Milchbauer und Chef der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). „Dadurch drohen Klonfleisch, Hormonmilch, Chlorhühnchen und noch mehr Gentechniklebensmittel auf den Tellern zu landen.“ Die bäuerliche und qualitätsorientierte Landwirtschaft in Deutschland gerate massiv unter Druck.

„Wir wollen durch so ein Abkommen nicht das dominierende rückständige und großindustrielle Agrarmodell der USA aufgezwängt bekommen“, so Voß. Doch der Zwang könnte schneller kommen als gedacht. Angesichts der sich bietenden Milliarden-Umsatzchancen für andere Branchen werden Blessuren im Agrarbereich von den EU-Verhandlern sicher in Kauf genommen.

Positionspapier von 21 Agrar,- Umwelt- und Verbraucherverbänden gegen das TTIP:

www.forumue.de/fileadmin/userupload/AG_Handel/pospap_ttip_fin.pdf

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