© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Pankraz,
A. U. Sommer und das Lob der Lauheit

Es spricht der Herr: Du bist lau, nicht heiß und nicht kalt, und darum will ich Dich ausspeien aus meinem Munde.“ Heiß oder kalt, Ja oder Nein also, Entweder-Oder – alles andere ist tief verächtlich, taugt nur zum Ausspucken und Angespucktwerden. Ein entschiedenes Bibelwort ist das (Offenbarung des Johannes, 3/16), welches sowohl Christen wie erklärte Antichristen, von Sören Kierkegaard bis Michel Onfray, denn auch immer gern ins Feld geführt haben.

Jetzt aber kommt entschiedener Einspruch von seriöser Seite: Andreas Urs Sommer (40), Direktor der Friedrich-Nietzsche-Stiftung in Naumburg, unternimmt in der jüngsten Ausgabe von Information Philosophie (Lörrach, Juni 2013) eine ausgedehnte Ehrenrettung des Begriffs der Lauheit, speziell in religiösen Angelegenheiten. „Religionsverzicht“ lautet der Titel seines Textes, der als „Memorandum“ aufgezäumt ist und in dem interessanterweise vorrangig den immer zahlreicher hervortretenden kämpferischen Atheisten vom Schlage Onfray, Dawkins oder Dennett ins Gewissen geredet wird.

Nichts Überflüssigeres, so Sommer, als „mit lautem Getöse geführte Kreuzzüge“ gegen das Christentum. Dieses sei doch gerade dabei (siehe vor allem die Vorgänge in den europäischen protestantischen Kirchen), sich in voller Breite und völlig freiwillig von seinen sämtlichen Glaubensinhalten zu verabschieden. „Erlösung durch die Ankunft Jesu Christi“? Es gehe doch hierzulande, wenn überhaupt, nur noch um irgendwelche „innerweltlichen“ Erlösungen. „Verleihung von Lebenssinn durch Glauben an Gott“? Man sei doch gerade dabei, jegliche „hypertrophen Sinnansprüche“ zu beerdigen.

Als Resümee stimmt Sommer ein ausdrückliches, empathisches Lob der Lauheit an. „Die Lauheit der Seelen, die viele Religionsvertreter brandmarken, erscheint unter leicht justierter Perspektive als eine schwer erkämpfte, interkulturelle Errungenschaft der Moderne. Diese Lauheit bedeutet Freiheit von aufs Ganze gehenden Entscheidungszumutungen – auch von den Zumutungen einer als lebensbestimmend mißverstandenen Religion.“

Den Onfray, Dawkins & Co. aber rät Professor Sommer, sie sollten sich endlich als Religionskritiker aus der Öffentlichkeit verabschieden und statt dessen zu Kunstkritikern werden. „Kunstkritik trägt normalerweise nicht die Vernichtung der Kunst im Sinn“, es gehe ihr nicht um Entweder-Oder, nicht um Totalkritik, sondern um die Bewertung von Gestalt- und Farbnuancen auf Ornamenten. Und auch die Religionen seien in der Moderne eben nur noch „Ornamente eines multizentrischen Lebens“. Zumindest für das europäische Christentum gelte das.

Indes, wer heutzutage ein Memorandum über Religionsverzicht und Religionskritikverzicht veröffentlicht und dabei in Wirklichkeit immer nur das abendländische Christentum ins Auge faßt, der justiert keine Perspektiven, sondern bringt sie völlig durcheinander. Darüber müßte sich eigentlich auch ein Nietzsche-Forscher und Nietzsche-Archivar im klaren sein. Die hiesigen eingetragenen Christen, wie multizentrisch und ornamental sie mittlerweile auch geworden sein mögen, leben nicht auf glücklichen Inseln, sie sind global gründlich vernetzt, und das gilt nicht zuletzt in religiösen Dingen.

Muslime, aber auch amerikanische Evangelikale, indische Schiwa-Anbeter, chinesische Konfuzianer strömen ein und/oder machen sich medial intensiv bemerkbar, und diese Formationen sind keineswegs gewillt, sich existentiell auf ein laues, verächtliches Wischiwaschi einzulassen. Sie finden ihren Halt und ihr Selbstbewußtsein eindeutig primär in ihrer angestammten Religion, deren Sätze und Bilder sie rein und unterscheidbar im Munde spüren wollen. Ob heiß oder kalt, spielt bei ihnen sehr wohl eine Rolle, gerade wenn es um wichtige Entscheidungen geht.

Wer am Ende der Stärkere sein wird, der existentiell Religiöse oder der multizentrische Ornamententräger, ist durchaus unentschieden. Zur Zeit fühlen sich die Ornamententräger wieder einmal obenauf und verweisen auf die vielen jungen Leute in Ägypten und anderswo, die – angeblich affiziert durch die lässig-multizentristische Lebensweise des Westens – die fundamentalistischen Islamisten über kurz oder lang besiegen würden. Aber die Perspektive ist mehr als trügerisch, wie nicht zuletzt die fatalen Folgen der sogenannten „Arabellion“ gezeigt haben.

Was seinerseits den Westen betrifft, so sind seine Überlebenschancen höchst ungewiß, was sichtlich an seiner Lauheit liegt, die immer lauer wird. Wenn es so weitergeht wie bisher, wird es bald überhaupt nichts mehr zu schmecken geben, alles ist dann nur noch ein Einheitsbrei ohne Saft und Kraft, der sich nicht einmal ordentlich hinunterschlucken, sondern tatsächlich nur noch ausspeien läßt.

Oder (um es mit den beschönigenden Worten von Andreas Urs Sommer zu sagen): „Die Nötigung zu Letztentscheidungen entfällt. Wir müssen keine Wahl mehr treffen, die uns in die Religion komplimentiert (…) Die Kosten eines so verstandenen Religionsverzichts hielten sich dabei vermutlich in Grenzen. Sie bestünden nur in einer gewissen Ehrlichkeit, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.“

Die Kosten, möchte Pankraz dagegenhalten, wären im Gegenteil außerordentlich hoch. Sie bestünden just in der Preisgabe dessen, was Herrn Sommer so teuer ist: der wahren Freiheit, die nämlich das Gegenteil von Lauheit ist. Freiheit will es keineswegs gemütlich haben, sie liebt es kalt oder warm. Sie realisiert sich nicht im beflissenen Zusammenrühren von Gegensätzen, sondern in deren diskursivem Anschärfen und Auseinanderfalten. Denn nur so läßt sich lernen, was richtig und praktisch einsetzbar ist, nur so läßt sich der Wahrheit näherkommen.

Lauheit hingegen hat höchstens böse Schlauheit, Dummschlauheit im Gefolge, im übrigen verführt sie zu Feigheit, ungenauem Sprechen und fataler Untertanengesinnung. Davor behüte uns Gott!

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