© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Sein Werk spricht für sich
Der andere Arno Breker: In einem Sammelband bieten Rainer Hackel und Rudolf Conrades neue Perspektiven auf den verfemten großen Bildhauer
Baal Müller

Während Ernst Jünger längst im Literaturkanon etabliert ist und Leni Riefenstahl mittlerweile als Jahrhundertregisseurin betrachtet werden darf, gilt Arno Breker noch immer weithin als Unperson. So verfestigt sind die Bilder vom „Staatsbildhauer des Dritten Reiches“, der mit „seinem Führer“ das besetzte Paris besichtigt, vom Schöpfer der Skulpturen für das Olympiastadion und anderer Figuren eines „heroischen Klassizismus“, daß er nach 1945 einer damnatio memoriae verfiel, einer Verdammung seines Andenkens.

Da ein „NS-Künstler“ nicht bedeutend sein darf, wurde sein Werk als in Bronze gegossene Propaganda abgetan. Leider haben auch die Anhänger Brekers mit ihren Hagiographien sehr dazu beigetragen, diese Klischees zu verfestigen. Da jedoch weder Brekers Gesamtwerk noch seine Freundschaft mit Max Liebermann, Jean Cocteau, Salvador Dalí und Ernst Fuchs oder sein riskanter Einsatz für Pablo Picasso, Peter Suhrkamp und andere politisch Verfolgte in die volkspädagogische Schublade passen, wurden Breker-Ausstellungen immer wieder zum Politikum.

Breker aus der Schmuddelecke ziehen

Paradoxerweise fürchtet der Kunstbetrieb die Faszination, die von dem angeblich epigonalen und ausdrucksarmen Werk ausgehen könnte, argumentiert abwechselnd moralisch und ästhetisch, duckt sich vor der Faschismuskeule und würde Brekers Skulpturen am liebsten ganz verstecken. Währenddessen mehren sich die Stimmen, die der Öffentlichkeit eine gewisse Mündigkeit zutrauen.

Ein neuer Weg in der Bewertung des Bildhauers wurde nun in dem von Rainer Hackel im Verlag Büchse der Pandora herausgegebenen Band „Im Irrlicht – Arno Breker und seine Skulpturen“ eingeschlagen; wird er weiterverfolgt, könnte Breker endlich die Anerkennung finden, die sein Werk verdient hätte. Bereits die eher an einen Ausstellungskatalog als an einen Sammelband erinnernde Gestaltung des Buches zeigt an, daß man keine „kultischen“ Absichten im Schilde führt: Auf einem weißen Cover prangt unter roter und blauer Schrift Brekers Dalí-Porträt, und der Großmeister der modernen Kunst wurde von der Fotografin Alla Poppersoni noch mit grünen Strahlen, die von seinem spitzgezwirbelten Bart ausgehen, verfremdet.

Auch dem Klappentext merkt man an, daß es dem Verleger Peter Grosshaus, der ein persönlich gehaltenes Vorwort beigesteuert hat, darum geht, Breker durch eine offensive Modernisierung aus der Schmuddelecke zu ziehen: Mehr als von dem Bildhauer selbst ist von einer Breker-Installation des Schweizer Konzeptkünstlers Christoph Büchel die Rede, die durch eine Tätigkeit Behinderter in einer „atelierähnlichen Werkstattsituation“ – anscheinend als Korrektiv zu Brekers makellosen „Herrenmenschen“ – flankiert wurde, sowie von den im Band dokumentierten Aufnahmen Poppersonis. Ihnen gingen „photographische Studien während der Paralympics 2012 in London“ voraus.

Wirken diese Konzessionen an durchaus nicht provokante Antidiskriminierungsdiskurse etwas überflüssig – hatte Breker denn etwas gegen Behinderte? –, so dienen sie letztlich doch nur zur Einrahmung der Hauptbeiträge von Rainer Hackel und Rudolf Conrades. Sie stellen implizit klar, daß es solcher Manöver gar nicht bedarf, um Brekers Rang als „größter Bildhauer des zwanzigsten Jahrhunderts“ (Dalí) hervortreten zu lassen. Sein Werk spricht für sich.

Vor allem der Aufsatz „Arno Breker – Annäherungen“ des Literaturwissenschaftlers Hackel läßt den Leser in gefühlvollen Einzelanalysen einen anderen Breker als den scheinbar bekannten sehen: In einem großen Bogen lenkt Hackel den Blick von den subtilen Schöpfungen des Frühwerks, in dem zarte, fragile, traumverlorene Gestalten dominieren („Flehende“, „Matthäus“, „Romanichel“) und der Mensch versehrt oder von Entsetzen ergriffen erscheint („Verwundeter“), zu den späteren Charakterdarstellungen, etwa zu dem Porträt eines zynisch-pessimistischen Cocteau oder zum zerrissenen Antlitz des in visionäres Schweigen versunkenen Ezra Pound.

Kampagnen sollten eine Diskussion verhindern

Dazwischen werden auch die Auftragsarbeiten, mit denen sich Breker zum „Dekorateur der Barbarei“ (Klaus Staeck) gemacht habe, einer neuen Interpretation zugänglich: Schien aus ihnen bislang nur „eine Armut des inneren Erlebens“ zu sprechen, „die der Bildhauer mit pathetischen und heroischen Gebärden zu kompensieren“ gesucht habe, so wagt Hackel nun den Gedanken, „daß Brekers Kunst nie innovativer war als in den uns so fremden Gottmenschen, in denen das Heroische zum Traumhaft-Entrückten transzendiert wird.“

Überhaupt nicht gottmenschlich wirken hingegen die Politiker, bei deren Porträtierung Breker jegliches Pathos vermieden hat: Ein versteinerter Adolf Hitler ist ganz von sich selbst besessen, und von der Büste Albert Speers hat Alfred Hrdlicka zu Recht gesagt, daß Breker hier „den Charakter des modernen Technokraten meisterhaft“ zum Ausdruck gebracht habe. Was die Politik betrifft, sah sich Breker zeitlebens „im Strahlungsfeld der Ereignisse“ – so der Titel seiner Autobiographie –; sie war für ihn ein Schicksal, auf dessen vorgezeichneten Bahnen er versuchte, sein metaphysisch verstandenes Künstlertum, die Nachschöpfung menschlicher Schönheit, zu verwirklichen.

Breker und der Politik, genauer gesagt, einer politisierten Kunstkritik, widmet sich Rudolf Conrades in seinem Aufsatz über „Arno Breker – Die deutsche Kunstmoral“. Akribisch zeichnet der Kurator der Schweriner Breker-Ausstellung (2006) die Kampagnen nach, mit denen eine Diskussion immer wieder verhindert werden sollte. Besondere Aufmerksamkeit widmet er Jürgen Trimborns tendenziöser Biographie von 2011, die Breker unter Auslassung entlastender Stellen und bei weitgehendem Desinteresse an seiner Kunst zum NS-Bildhauer stempelt, und der Wendehals-Karriere von Volker G. Probst, der vom Breker-Beweihräucherer zum moralisch besorgten Geschäftsführer der Barlach-Stiftung mutierte.

Der Band vermag zwar, aus Furcht vor dem Vorwurf der Affirmation, gestalterisch nicht ganz zu überzeugen – zudem hätten die Abbildungen zum Teil näher an den entsprechenden Textstellen präsentiert und um weitere Fotos ergänzt werden können –, aber insgesamt läßt er den Künstler in einem bemerkenswert neuen Licht erscheinen. Und das ist wahrhaftig kein „Irrlicht“.

Romanichel, Skuptur eines Jünglings von Arno Breker (1928)

Im Irrlicht – Arno Breker und seine Skulpturen. Redaktion Rainer Hackel. Büchse der Pandora, Wetzlar 2013, broschiert, 153 Seiten,
17,80 Euro

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