© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Radau im Totenland
Eine Klagenfurter Dissertation offenbart ein gigantisches Kriegsverbrechen: Die Massenmorde der Tito-Partisanen in Kärnten und Slowenien vom Mai 1945
Heinz Magenheimer

Was sich in den Tagen kurz nach dem Kriegsende in Kärnten an Greueltaten ereignete, war bisher nur in groben Zügen bekannt, wobei die jugoslawische Seite die Untaten entweder beschönigte oder mit Stillschweigen überging. Erst vor wenigen Jahren begannen offizielle Kommissionen in Slowenien, sich mit den Nachkriegsverbrechen zu beschäftigen. Es handelt sich um Massenmorde an kroatischen und slowenischen Kriegsgefangenen sowie an Zivilisten, die knapp nach Kriegsende von Tito-Partisanen begangen wurden.

Nun nimmt der junge Historiker Florian Thomas Rulitz die verworrenen Vorgänge ins Visier und fördert Schreckliches zutage. Er setzt sich zum Ziel, mit akribischer wissenschaftlicher Forschung der Wahrheit in diesem verdunkelten Winkel nachzuspüren. In einer äußerst gründlichen Abhandlung, deren Aussagen mit fast 1.300 Fußnoten belegt werden, stellt er die Ereignisse dar, die bisher von jugoslawischer Seite als „Endkesselschlachten“ hingestellt wurden.

Die damals herrschenden Verhältnisse in dem Nachkriegschaos südlich der Karawanken verwirren heute wegen ihrer Vielgestaltigkeit ebenso wie durch die kaum vorstellbare Grausamkeit. Die Partisanen Titos hatten gegen die deutsche Besatzungsmacht, aber auch gegen die mit ihr verbündeten kroatischen „Ustascha“-Verbände gekämpft. Gleichzeitig fügten sich Kroaten und serbische „Tschetniks“ (Scharen) tiefe Wunden zu. In Slowenien formierten sich sowohl Partisanen als auch antikommunistische Landeswehren, die „Domobranzen“. Ab Ende 1942 herrschte einerseits ein Krieg gegen die Besatzungstruppen, andererseits ein haßerfüllter Bürgerkrieg.

Anfang Mai 1945 flüchteten alle diejenigen Verbände, die von den Tito-Partisanen Schreckliches zu befürchten hatten, gemeinsam mit den zurückweichenden Wehrmachtssoldaten in Richtung Kärnten und Steiermark. Bevor noch das britische V. Korps zur Stelle war, drangen Voraustruppen der Tito-Armee in Kärnten ein, besetzten die Brücken entlang der Drau und verwehrten Zehntausenden von Kroaten und Slowenen den Weg nach Norden. Während die Deutschen nach dem 8. Mai die Waffen streckten, wurden Kroaten und Slowenen, die sich durchschlagen wollten, weiter bekämpft. Schwere Gefechte fanden in Ferlach und in Dravograd, 50 Kilometer östlich von Klagenfurt, statt. Die Masse der kroati-schen Verbände und Zivilisten wurde auf dem Bleiburger Feld, 35 Kilometer südöstlich von Klagenfurt, von britischen Truppen und Partisanenverbänden bis zum 15. Mai eingeschlossen.

Massenexekutionen unter den Augen der Briten

Im Zuge der Verhandlungen mit den Briten erklärten die Vertreter der etwa 100.000 Flüchtlinge, daß sie allen Zusagen auf humanitäre Behandlung der Tito-Partisanen mißtrauten und im Zweifel lieber auswandern wollten. Doch der britische Brigadekommandeur lehnte ab, und so ergaben sich die Flüchtlinge im Vertrauen auf die Zusagen der Gegner. Dann begann das Massaker. Vor allem serbische Partisanen gingen grausam gegen die Kroaten vor. Die Kämpfe in Südkärnten dauerten an, denn viele Flüchtlinge versuchten zu entkommen, was aber nur wenigen gelang.

Die zweite große Tragödie ereignete sich bei Viktring am Südrand Klagenfurts. Am 15. Mai erhielten die 8. britische Armee und das V. Korps, unter dessen Kontrolle die Flüchtlinge standen, vom Hauptquartier des britischen Oberbefehlshabers in Caserta die Weisung, diese an die jugoslawischen Behörden auszuliefern.

Die Initiative dazu ging offenbar vom zuständigen Minister Harold Macmillan aus, der von Tito unter Druck gesetzt wurde. Dessen Vertreter argumentierten, daß Kärnten kein Bestandteil Österreichs wäre und somit nicht unter die bisherigen Vereinbarungen fiele. Die Briten entledigten sich der Peinlichkeit, indem sie bis zum 31. Mai etwa 100.000 Flüchtlinge auslieferten, während die jugoslawische Armee als „Gegenleistung“ Kärnten räumte. Dann begannen die Massenexekutionen, gefolgt von den sogenannten Todesmärschen. Vielfach wurden unterschiedslos Soldaten, Frauen und Kinder ermordet und in Massengräbern verscharrt. Auch deutsche Soldaten zählten zu den Opfern.

Der Autor hat jahrelang ausführliche Informationen über die Schicksale der Flüchtlinge gesammelt. Die Tötungsstätten liegen in Südkärnten, vor allem aber in Slowenien. Allein dort fand man 600 Massengräber unterschiedlicher Größe, in denen Schätzungen zufolge bis zu 100.000 Leichen liegen. Nicht zu Unrecht wurde Slowenien als das größte Massengrab Europas bezeichnet. In Kroatien spricht man von 900 Tötungsstätten mit etwa 90.000 Opfern. Somit kann der Mythos von den „Endschlach-ten des Volksbefreiungskrieges“ als widerlegt gelten.

Rulitz kann in Anspruch nehmen, einen wissenschaftlichen Durchbruch geschafft zu haben. Allein seine Materialsammlung im Anhang erweist sich als Fundgrube. Er fand großen Zuspruch, mußte aber auch heftige Anfeindungen von jenen hinnehmen, die sein Buch nicht anerkennen wollten. So stellte man seinen Namen und seine Forschungsergebnisse unter „Nazi-Listen“ ins Internet. An der Klagenfurter Universität kursierten sogar Flugzettel mit „Nazis-raus!“-Listen, die sich gegen Rulitz, seine Befürworter und den Klagenfurter Hermagoras-Verlag richteten. Die Kampagne schreckte selbst vor Psychoterror gegen den Autor nicht zurück. Auch die Tagespresse übernahm Diffamierungen ohne kritische Auseinandersetzung.

Hingegen erfuhr die Arbeit des Autors in Slowenien starken Widerhall, wobei Regierungsbehörden, Institute und Historiker die Forschungsergebnisse dankbar aufgriffen und erweiterten. Schließlich ging es um die Revision eines Geschichtsbildes, das jahrzehntelang nicht angetastet werden durfte. In Kroatien waren vor allem kirchliche Stellen an der Aufklärung der Massenmorde interessiert, aber auch Exilkroaten fühlten sich in ihrer Einstellung zum Tito-Regime bestärkt. Die Grundhaltung lautete: Endlich liegt nun eine um Objektivität bemühte, fern von politischer Einflußnahme gestaltete und gründlich belegte Darstellung über ein sehr dunkles Kapitel unserer Geschichte vor.

Auf keinen Fall kann man dem Verfasser vorwerfen, eine Aufrechnung der Verbrechen unter den verfeindeten Parteien zu präsentieren. Er sah sich aufgrund des Echos veranlaßt, 2012 eine neue, stark erweiterte Auflage zu publizieren. Es sei erwähnt, daß etwas später das Buch „Die offenen Wunden der Untersteiermark“ von Roman Leljak in Graz erschienen ist, das als Ergänzung der Thematik dienen kann.

Aufgrund des großen Interesses, das die Forschungsergebnisse hervorriefen, fand am 11. Mai dieses Jahres im Stift Viktring ein Symposium statt, das vom bekannten Balkan-Spezialisten des Österreichischen Fernsehens, Christian Wehrschütz, geleitet wurde. Florian Thomas Rulitz hielt den zentralen Vortrag über die beiden Massaker in Südkärnten, während der namhafte Wiener Sprachwissenschaftler Heinz-Dieter Pohl über die gleichberechtige Aufarbeitung von NS- und kommunistischen Verbrechen im Alpen-Adria-Raum sprach.

Auch kroatische und slowenische Experten nahmen an der Veranstaltung teil, darunter Jože Dežman, der an der Aufdeckung der Existenz von Massengräbern in Slowenien an leitender Stelle beteiligt war. Die überregionale Bedeutung der Veranstaltung wurde durch die Grußworte unterstrichen, die der EU-Sonderbeauftragte für Bosnien und Herzegowina, Valentin Inzko, überbrachte.

Am gleichen Tag fand auf dem Bleiburger Feld eine Gedenkfeier für die Opfer des Massakers von Bleiburg statt. Diese Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft der katholischen Kirche Kroatiens sowie der kroatischen Bischofskonferenz. Welche Bedeutung diese Feier für das offizielle Kroatien hatte, ging schon daraus hervor, daß der Erzbischof von Split, Marin Barisic, als Hauptzelebrant auftrat und daß sie vom kroatischen Fernsehen übertragen wurde. Es wurde auch angekündigt, für die kroatischen Opfer eine würdige Gedenkstätte auf dem Bleiburger Feld zu errichten.

Studie erregt in Kroatien große Aufmerksamkeit

Das überregionale Echo, das die Aufdeckung der Massenmorde fand, förderte noch etwas anderes zutage: Eine Geschichtsschreibung, die Jahrzehnte hindurch in vorgeschriebene Signaturen gepreßt wird, entwickelt ein unheilvolles Eigenleben, und eine Korrektur wird um so schmerzhafter, je länger dieses Scheinleben andauert. Wer will schon eingestehen, daß er einem falschen Geschichtsbild gefolgt ist? Wer hat schon den Mut zur geistigen Wende? Immerhin hat der Autor mit seinem Werk diesen Mut bewiesen.

Britische Soldaten im Mai 1945 mit Tito-Partisanen in Völkermarkt, Kärnten (o.); Karstschlot bei Jama pod Krenom (Slowenien) als Massengrab (r.): Ungesühnte Greueltaten

Florian Thomas Rulitz: Die Tragödie von Bleiburg und Viktring. 2., erweiterte Auflage, Hermagoras- Verlag, Klagenfurt 2012, gebunden 450 Seiten, Abbildungen, 34 Euro

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