© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

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Abhöraffäre: Berlin tritt bei der Aufklärung der NSA-Machenschaften auf der Stelle
Lion Edler / Marcus Schmidt

Hans-Peter Friedrich (CSU) angelt sein Blackberry aus der Jackettasche. „Das benutze ich nur für Gespräche mit meiner Frau", sagt der Bundesinnenminister zu den umstehenden Journalisten und läßt das Telefon wieder in der Tasche verschwinden. Für dienstliche Telefonate verwende er wie alle Regierungsmitglieder ein anderes Handy als das Blackberry, dessen Verbindungen über einen Server in den Vereinigten Staaten laufen. Was Friedrich damit sagen will: Jeder sollte sich genau überlegen, auf welchem Wege er vertrauliche Informationen weitergibt.

Schon bevor Friedrich Ende dieser Woche wegen der Spionagevorwürfe gegen den amerikanischen Geheimdienst NSA nach Washington reist, hat das Thema den Bundestagswahlkampf erreicht. Insbesondere seitdem am Wochenende der Spiegel berichtet hatte, daß die deutschen Geheimdienste möglicherweise eng mit der NSA zusammenarbeiten, wittert die Opposition ihre Chance: Was hat die Bundesregierung, was hat Bundeskanzlerin Angela Merkel von den Abhöraktionen gewußt? lautet die Frage.

Friedrich hatte bereits in der vergangenen Woche die Verteidigungslinie der Koalition klargemacht: Es gebe derzeit keine Erkenntnisse, daß die Amerikaner in Deutschland Datenleitungen angezapft haben: „Stand Mittwoch 3. Juli 11.13 Uhr". Offiziell hat sich seitdem daran nichts geändert. Dennoch forderte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Aufnahme von Ermittlungen gegen amerikanische und britische Geheimdienste, und der Grünen-Politiker Volker Beck drängte auf eine Aufenthaltserlaubnis für den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der immer neue Details über die Überwachungspraxis der NSA veröffentlicht.

Auch die Union scheint zu ahnen, daß ihr wegen der Diskussion um die Speicherung von Telefon- und Internetdaten durch die NSA ein Problem im Wahlkampf drohen könnte. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer schlägt ganz neue Töne an und zeigt sich zur allgemeinen Überraschung plötzlich ablehnend gegenüber der Vorratsdatenspeicherung. Der bayerische Ministerpräsident drängt offenbar sogar darauf, mit der Europäischen Union über die entsprechende EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 erneut zu verhandeln. Nach dieser Richtlinie sollen Telekommunikationsfirmen verpflichtet werden, vorsorglich Internet-Verkehrsdaten zu Fahndungszwecken für die Dauer von mindestens sechs Monaten zu speichern. Die Nachverhandlungen könnten beispielsweise dazu führen, daß man sich für kürzere Speicherfristen einsetzt, obwohl einige Unionspolitiker bislang für eine Verlängerung auf den Zeitraum von zwei Jahren eintraten.

Daß die Union dem Thema eine wachsende Relevanz beimißt, spiegelt sich auch im Wahlprogramm. Bereits vor Wochen ersetzte man dort das Reizwort „Vorratsdatenspeicherung", das noch im Koalitionsvertrag von 2009 auftauchte, durch den Begriff „Mindestspeicherfrist". Von einem Kurswechsel will die CDU-Führung allerdings nichts wissen. Da der Begriff der Vorratsdatenspeicherung „häufig mißverstanden" werde, habe man ihn „gegen den präziseren und die Sache erklärenden Begriff der Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten ausgetauscht", erklärte Generalsekretär Hermann Gröhe. „Inhaltlich und substantiell gibt es keinen Unterschied", beteuerte der CDU-Mann.

Welches erhebliche politische Mobilisierungspotential das Thema hat, zeigt unterdessen eine Internet-Petition, die dafür eintritt, Edward Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren. Dem für Geheimnisverrat verantwortlich gemachten Snowden drohten in den Vereinigten Staaten schließlich „schwere Strafen", heißt es in der Begründung der Petition, die innerhalb von fünf Tagen mehr als 9.000 Unterzeichner gewinnen konnte. Wenn bis Ende des Monats 50.000 Unterzeichner erreicht werden sollten, folgt eine Anhörung im Petitionsausschuß des Bundestages.

Bis dahin hat die Bundesregierung vielleicht auch schon Antworten auf ihre Fragen an die amerikanische Regierung im Zusammenhang mit der Abhörpraxis der NSA erhalten. Auf der Bundespressekonferenz am Montag war deutlich geworden, daß die Erkenntnisse der Bundesregierung bislang äußerst dürftig sind. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat von ihrem amerikanischen Amtskollegen nicht einmal eine Antwort auf einen entsprechenden Brief mit Fragen erhalten.

Viele Experten in den Vereinigten Staaten blicken überdies mit Spott oder Unverständnis auf die deutsche Empörung. „Jedes Land schickt seine Schnüffler aus, und jedes Land regt sich darüber auf, daß andere es auch tun", zitiert der Focus den ehemaligen Staatsanwalt Andrew McCarthy. Und der Fernsehsender CBS vermeldet unter Berufung auf ehemalige Geheimdienstmitarbeiter, daß deutsche Agenten „bereits seit Jahren regelmäßig führende US-Repräsentanten bespitzeln". Die Empörung, „die wir im Moment beobachten, ist in erster Linie als Futter fürs eigene Volk gedacht", ist sich McCarthy daher sicher.

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