© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

„Die Wirtschaft geht noch immer nach unten"
Krisentherapie: EZB beläßt die Leitzinsen auf niedrigem Niveau / Das japanische Beispiel schreckt Zentralbankchef Draghi nicht ab
Arnulf Rall

Als US-Notenbankchef Ben Ber-nanke am 19. Juni nebulös andeutete, die Fed könnte ihren lockeren Kurs in der Geldpolitik verlassen, brachen weltweit die Börsenkurse kurzfristig ein. Daß die expansive Geldpolitik tatsächlich beendet wird, darf jedoch bezweifelt werden. Denn der Glaube, mittels Niedrigzinsen, Anleihenkäufen sowie Schulden- und Haftungsübernahme die krisengeplagte Wirtschaft zu stützen, ist weltweit verbreitet.

Kein Ausstieg aus der monetären Lockerung

In der Euro-Zone addiert sich noch das Debakel der Währungsunion hinzu. In der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde die Frage diskutiert, den Leitzins von 0,5 Prozent erneut zu senken. EZB-Chef Mario Draghi und die Vertreter der Euro-Krisenstaaten konnten sich mit ihrem Ansinnen zwar nicht durchsetzen, aber „die Wirtschaft geht noch immer nach unten", klagte der Italiener. Die wichtigsten EZB-Leitzinsen würden noch „für längere Zeit auf den gegenwärtigen oder noch niedrigeren Niveaus bleiben", erklärte Draghi vergangenen Donnerstag bei der EZB-Pressekonferenz. Der Ausstieg aus der monetären Lockerung sei „noch sehr weit entfernt".

Draghi steht im globalen Vergleich keineswegs einsam da. Die weltweite Währungspolitik ähnele einem „ugly men’s contest", dem Wettbewerb der häßlichsten Männer, meinte ein dänischer Experte in Tokio. Und Haruhiko Kuroda, Chef der Bank of Japan (BoJ), macht das, wovon Draghi träumt: Die BoJ schaffte es binnen fünf Monaten, den Yen gegenüber Dollar und Euro um 30 Prozent herunterzureden. Schon unter Kurodas Vorgänger Masaaki Shirakawa wurden die japanischen Geldmärkte mit Billionen geflutet. Auch Südkorea, Australien und Neuseeland versuchen, ihre Währungen zu schwächen.

Chinas Yuan gilt seit Jahrzehnten als künstlich unterbewertet. Zugleich ist der Bankensektor gigantisch verschuldet (JF 40/12). In Brasilien stieg die Inflation auf über sieben Prozent, der Außenwert des Real sank innerhalb eines Jahres um 15 Prozent. Doch einen Abwertungswettlauf soll es dennoch nicht geben, so die offiziellen Schwüre des G-20-Gipfels. Eine billige Währung beflügelt Exporte und verteuert Importe. Japans Premier Shinzo Abe versucht so, die Konjunktur anzuheizen. Mit zusätzlichen Schulden – neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), dem dreifachen der Euro-Maastricht-Grenze – werden neue Bau- und Ausgabenprogramme aufgelegt.

Die Staatsschulden summieren sich auf bald 245 Prozent des BIP. Die Leitzinsen liegen bei 0,1 bis 0,3 Prozent. Die BoJ will den Geldumlauf verdoppeln und 70 Prozent aller neuen Staatspapiere kaufen – das sind Dimensionen, bei denen selbst die Fed verblaßt. Abe versucht damit die Deflation zu besiegen, binnen zwei Jahren wird wie bei der EZB ein „Inflationsziel" von zwei Prozent angestrebt. Privatbanken sollen durch die Verdrängung vom Staatsanleihenmarkt gezwungen werden, riskantere Kredite zu vergeben und andere Geldanlagen zu suchen. Der Nikkei stieg seit Jahresbeginn um 70 Prozent auf über 15.000 Punkte, Ende Mai begann der jähe Absturz. Inzwischen hat sich der Aktienmarkt aber wieder erholt. Die Exporte steigen, doch die Verbraucher ließen sich kaum anstecken, auch die Industrieinvestitionen blieben weiter flach.

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent ab Frühjahr 2014 könnte den Konsum erneut einbrechen lassen. Der Yen hat seit Abes Amtsantritt im Dezember 2012 im Vergleich zu Dollar und Euro etwa ein Viertel an Wert verloren – das freut Exporteure wie Toyota, doch die höheren Importkosten und Energiepreise bringen zusätzliche Inflation. Die Löhne stagnieren, schlecht bezahlte Teilzeitjobs nehmen zu. Wie in der Euro-Zone werden Sparkonten praktisch nicht verzinst. Wegen der Inflationserwartung steigen die langfristigen Zinsen. Damit verlieren die riesigen Pakete von Staatsanleihen im Besitz von Banken, Versicherungen und Privathaushalten entsprechend an Wert.

Die Flucht in vermeintlich sichere Sachwerte (Aktien und Immobilien) pumpt jedoch wie in Europa Spekulationsblasen auf, die irgendwann unweigerlich einmal platzen. Dabei wird die durch hohe Öl- und Gasimporte bereits angeschlagene Zahlungsbilanz in die roten Zahlen kippen. Die schrumpfende Sparquote – ein Ergebnis der demographischen Krise und des Verarmungsprozesses – könnte das Finanzministerium zwingen, Auslandsinvestoren für seine Staatsanleihen zu suchen. Doch die lassen sich nicht mit Nullzinsen abspeisen.

Die Alternative hieße Inflationsraten von zehn Prozent oder Teilkonkurs des Staates mit einem drastischen Schuldenschnitt, bei dem die Japaner die Hälfte ihres Volksvermögens – Sparguthaben, Anleihen, Pensionen, Lebensversicherungen, Bankaktien – einbüßen. Der Blick nach Japan scheint Draghi nicht zu ängstigen. Ernsthafte Risiken für die Finanzstabilität gebe es nicht, bekräftigte er vorige Woche. Auch das umstrittene Anleihekaufprogramm OMT (JF 24/13), über das das Bundesverfassungsgericht urteilen muß, bleibe aktuell.

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