© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Offene Beziehungen
Kintopp der verkehrten Wünsche: Franziska Buchs Film „Adieu Paris" handelt von schicksalhaften Begegnungen und Sterbehilfe
Sebastian Hennig

Was hat es mit diesem Film auf sich? Ist er von feiner Ironie oder bar allen Humors, sehr raffiniert oder furchtbar platt? Wir sind eingeladen, die Katastrophen zu besichtigen, die in der vorgestellten Gefühlswelt der Bestsellerautorin Patrizia Munz (Jessica Schwarz) und des zufällig ihren Weg kreuzenden Bankkaufmanns Frank Berendssen (Hans-Werner Meyer) angerichtet werden.

Die junge Schriftstellerin ist mit oberflächlicher Beziehungsprosa sehr erfolgreich. Auf einer Lesung folgt ihr der gutaussehende Pariser Architekt Jean-Jacques (Jean-Yves Berteloot) ins Hotelzimmer. Bis in die Morgenstunden liest sie ihm vor. Daraus ergibt sich mehr. Doch die verantwortungslose Liebelei endet im tödlichen Aufprall, auf den ein von funktionserhaltender Medizintechnik gedehntes Sterben einsetzt. Denn während und weil sie aus ihrem Düsseldorfer Loft mit ihm in Paris telefoniert, verliert er die Kontrolle über sein Fahrzeug und rauscht mit Vollgas in ein Straßencafé.

Auf dem Luftweg zum Krankenbett in Paris, das ein uneingestandenes Totenbett ist, kommt sie dem Geschäftsmann Berendssen in die Quere, der ungeduldig zu einem Triumph strebt, der sich bald als die Pleite seines ganzen bisherigen Lebens erweisen wird. Die Mätresse trifft im Hospital mit der charismatischen Ehepartnerin (Sandrine Bonnaire) ihres Geliebten zusammen. Die ist eine Zahnärztin und gibt vor, an Wurzeln auch in dieser Beziehung interessiert zu sein. Doch bei aller Schonung ist die Behandlung zu schmerzhaft für sie: operative Eingriffe an der „offenen Beziehung". Der schmerzlichste Punkt wird eröffnet. Auf die Frage: „Haben Sie mit ihm über Kinder gesprochen?" verschweigt die Jüngere, daß das letzte Telefonat gerade diesem Gedanken galt. Auch sie verliert den Geliebten auf einen Schlag doppelt, einmal an den Tod und dann an seine Gattin.

Wieder daheim stürzt sie sich in eine haltlose Kopulationsserie mit dem nächstbesten jungen Mann. Doch was als Antidepressiva gedacht war, bringt sie im Detail immer wieder zurück an den kritischen Punkt. Sie wird von der Erstfrau zur Mitverantwortung gezwungen für den unlebendigen Überlebenden. Und fährt nach Paris, um durch die Ärztin per Touchscreen die Löschung der Lebensfunktionen zu veranlassen. Damit geht auch eine Phase der Frivolität in ihrem Leben zu Ende. So wie sie zuvor bereits den Gespielen ihrer Ablenkungsbeziehung unvermittelt verabschiedete: „Wir hatten wirklich Spaß."

Als Gestrandete begegnen sich dann die Autorin und der Geldhändler wieder. Auch er hat alles eingebüßt, weil er seinen eigenen Träumen auf den Leim gegangen ist. Berendssen hat sich von dem sympathischen Metzger (Gérard Jugnot), den er zu übervorteilen gedachte, fast schon adoptieren lassen, bis dieser schließlich seinerseits als Insolvenzverschlepper und Bilanzfälscher entlarvt wird und ihn mit in seinen Ruin zieht.

Es ist ein Strindbergscher Totentanz erfolgsverwöhnter Gespenster. Der stets agile, aber nun ratlose Frank Berendssen wird von seiner Frau für einen ebensolchen dicklichen Gemütstypen verlassen, wie er selbst einem aufgesessen ist. Was er nun für berechnetes sentimentales Gewäsch halten will, geht ihm langsam nahe. Denn auch der patriarchalische Unternehmer Moinsieur Albert hat Gründe für sein Verhalten. Er ist nicht nur ein Lügner – oder jedenfalls ist er es kaum mehr als alle anderen, die hier zur Geisel ihrer eigenen Erlösungsphantasien werden und schließlich recht hoffnungslos dastehen. Die verletzte Gattin leidet nachträglich an der Tyrannei der verordneten Libertinage einer „offenen Beziehung", von deren Freiheiten sie wenig Gebrauch machte, und bedauert: „Wenn wir wenigstens Kinder hätten."

Am Grab ihres Mannes trifft die Pariser Witwe dann auf einen früheren Kunden ihres Mannes, der einen schwereren Verlust zu tragen hat. Er kündet von der beklemmenden Trauer, die nur langsam der Einsicht wieder Raum läßt, daß das Leben mysteriös und wunderbar sei. Eine Einsicht, die sich schließlich zum Entschluß verdichtet, „... das Leben zu führen, diese wundervolle Geschichte. Damit es nicht abhanden kommt."

Regisseurin Franziska Buch berichtet von der „Erzählstruktur des Drehbuches, das (…) in stark verschränkten Strängen erzählt". Und hält es für „ein Verfahren, das in der Literatur einfacher funktioniert als im Film. Da haben wir beim Drehen und vor allem im Schnitt viel experimentiert." Die Drehbuch-Funktionalität ist in literarischer Hinsicht so unerträglich, wie es vermutlich ein Patrizia-Munz-Roman wäre. Doch was auf dem Papier vorhersehbaren Kitsch ergäbe, ist einem Kinofilm verhältnismäßig angemessen, zumal wenn es kurzweilig gemacht ist.

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