© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Widerstand am Scheideweg
Weder Patrioten noch Verräter, sondern „Antifaschisten": Vor 70 Jahren hob Stalin das Nationalkomitee Freies Deutschland aus der Taufe
Stefan Briese

Nachdem es der Roten Armee am 11. Juli 1943 gelungen war, im „Kursker Bogen" die letzte Großoffensive der Wehrmacht scheitern zu lassen, schien für Josef Stalin der Zeitpunkt günstig, mit einem schon länger vorbereiteten Propagandacoup die sowjetische Deutschlandpolitik in Schwung zu bringen.

Am 12. Juli 1943 konstituierte sich daher im Lager Krasnogorsk bei Moskau ein „Nationalkomitee Freies Deutschland" (NKFD), ein Zusammenschluß von deutschen Exil-Kommunisten und Wehrmachtssoldaten, die sich in russischer Kriegsgefangenschaft befanden. Unter den 38 Gründungsmitgliedern schienen mit 25 Offizieren und Soldaten die Militärs die Exilanten aus dem Kreis von Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht sogar zu dominieren. Tatsächlich bestimmte aber die kommunistische Minderheit den politischen Kurs des NKFD. Aber auch dies nur vordergründig, denn Präsident Erich Weinert, ein schriftstellernder KPD-Kämpe, und seine Genossen agierten nur als Marionetten Stalins und Befehlsempfänger der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee.

Das NKFD, als Nukleus einer „Exilregierung" angetreten zum Sturz Adolf Hitlers, zur Beseitigung des NS-Regimes und zum Aufbau einer „demokratischen Staatsmacht" in Deutschland, erhielt im September 1943 Verstärkung durch den „Bund Deutscher Offiziere" (BDO), als dessen Galionsfigur sich der in Stalingrad in Gefangenschaft geratene General Walther von Seydlitz-Kurzbach hatte anwerben lassen. Vage sowjetische Versprechungen, den Großmachtstatus des Deutschen Reiches nach der Beseitigung Hitlers erhalten zu wollen, bewogen den nationalkonservativen Offizier mit dem klangvollen preußischen Namen sowie eine Reihe weiterer Generale, am propagandistischen Kampf gegen die „Nazityrannei" teilzunehmen.

DDR-Widerstandsbild nach 1989 übernommen

Als Ende 1943, auf der Konferenz von Teheran, Stalin eine Westverschiebung Polens zu Lasten Deutschlands durchsetzte, zerplatzte für Seydlitz, der schon, als eine Art Neuauflage der 1812 in Tauroggen begründeten preußisch-russischen Waffenbrüderschaft, den Aufbau einer „Befreiungsarmee" plante, der Traum vom Erhalt des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937.

Eine politische Rolle konnte der BDO seitdem nicht mehr spielen. In Kooperation mit dem NKFD beschränkten sich seine Aktivitäten auf Agitation und Propaganda an der Ostfront. Die Auflösung beider Organisationen bald nach Kriegsende war deshalb reine Formsache. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sich die zivile Exilantenfraktion des Nationalkomitees, die „Gruppe Ulbricht", in der Sowjetzone, der nachmaligen DDR, bereits damit, eine zweite deutsche Diktatur zu errichten.

Seydlitz, der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hatte, erhielt nach der üblichen Gerichtsfarce 1950 wegen angeblicher „Kriegsverbrechen" 25 Jahre Haft aufgebrummt. Im Urteil der großen Mehrheit deutscher Kriegsgefangener, die den Verlockungen von BDO und NKFD nicht gefolgt waren, rehabilitierte ihn diese Verurteilung nicht. Als Seydlitz 1955 freikam und im Heimkehrerzug das Offiziersabteil betreten wollte, verwehrten die Kameraden ihm dies: für „Landesverräter" sei dort kein Platz. Mit dem Vorwurf des Verrats sah sich der zurückgezogen in Bremen lebende General bis zu seinem Tod 1976 konfrontiert. Erst danach, im Zuge der „Entspannung" des West-Ost-Konflikts, setzte in der westdeutschen Öffentlichkeit langsam eine Neubewertung des „Verrätergenerals" und seines Umfeldes ein.

Wieviel Zeit dieser Bewußtseinswandel benötigte, bewies ein Eklat in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wenige Monate vor dem Mauerfall 1989. Damals stellte dessen Leiter, der Historiker Peter Steinbach, seinen Posten zur Verfügung. Er wollte im einstigen „Bendlerblock", wo der letzte Akt des gescheiterten Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 spielte, die „volle Breite" des Widerstands gegen den Nationalsozialismus dokumentieren. Dazu zählten für ihn Deserteure und Homosexuelle, Wehrkraftzersetzer und „Meckerer" jeglicher Couleur, vor allem aber der kommunistische Untergrund, die berüchtigte „Rote Kapelle", das „Nationalkomitee" samt BDO.

Der Zeitgeist kam Steinbach bei seiner großen Umarmung durchaus entgegen. Franz Josef Strauß vermittelte 1982 dem SED-Regime einen Milliardenkredit, Bundeskanzler Helmut Kohl rollte für Erich Honecker 1987 den roten Teppich aus und überantwortete die letzten Anwälte der Wiedervereinigung der Klapsmühle. Die „Grundwerte"-Prediger der SPD um Erhard Eppler trafen sich regelmäßig mit den SED-Genossen, um sich gegenseitig zu bestätigen, auf dem Boden des „Humanismus" zu stehen.

Und im Schlagschatten dieser christ- und sozialdemokratischen Kollaboration mit den Repräsentanten des „Arbeiter- und Mauerstaates" brachte auch Steinbach seine Schäfchen ins trockene. Aus Ost-Berliner Archiven erhielt er plötzlich Material in Hülle und Fülle, um in seiner Ausstellung KPD- und NKFD-Aktivitäten hinreichend glorifizieren zu können. In „voller Breite", nämlich als ideologischen Flankenschutz zur Zementierung der deutschen Zweistaatlichkeit, lernte der Besucher der Gedenkstätte den Widerstand dann seit 1987 tatsächlich kennen.

Anders als zehn Jahre später, als Massen in Reemtsmas Anti-Wehrmachtschau strömten, stießen zeithistorische Umdeutungen größeren Kalibers in den 1980ern noch auf die heftige Gegenwehr von Zeitzeugen. So machte gegen Steinbachs Konzeption der Bund der Stalingradkämpfer unter seinem Vorsitzenden Horst Zank genauso mobil wie die in der Stiftung 20. Juli vereinten Nachkommen der Opposition gegen Hitler, allen voran Franz von Stauffenberg.

Man war gut vernetzt, und aus dem Milieu der alten Zentrumspartei erreichte der Protest gegen die NKFD-Präsentation schließlich auch den CDU-Parteivorsitzenden Kohl, der den Parteifreund Eberhard Diepgen bat, als Regierender Bürgermeister Berlins bei Steinbach doch etwas auf die Bremse zu treten. Das dürfte wenig ernst gemeint gewesen sein, und genützt hat es natürlich nichts. Denn der Professor erklärte bald seinen Rücktritt vom Rücktritt und fuhr unverdrossen fort, die DDR-Erinnerungspolitik nach West-Berlin zu importieren.

Als Widerstand gilt heute nur, was antifaschistisch war

Heute wirkt Steinbachs eigenwillige Implementierung von Kernthesen der SED-Historiographie wie ein Türöffner für die in wahrhaft „voller Breite", auf allen akademischen und medialen Ebenen nach 1990 perzipierte „antifaschistische" Geschichtsideologie, die zum Legitimationskitt der Berliner Republik wurde. Für den Bundeswehr-Nachwuchs, der allwöchentlich vor dem Bendlerblock aus den Bussen steigt, um in der Gedenkstätte staatsbürgerlichen Unterricht zu erhalten, ist daher der dort zelebrierte Mythos des „Deserteurs" inzwischen ebenso gewohnte Hausmannskost wie die museumspädagogische NKFD-Huldigung.

Konsequenz kann man der Ausstellungskonzeption indes schwerlich absprechen. Entzieht doch Steinbachs extrem weit gefaßter Widerstandsbegriff der in der Nachkriegszeit festgezurrten Alternative „Verräter oder Patrioten" die Berechtigung. Wenn alles Widerstand ist, was sich als aktive oder passive Ablehnung des NS-Regimes äußert, wird irrelevant, was oder wer diese Ablehnung motiviert. Walter Ulbricht und seine Gefolgschaft, die auch auf der NKFD-Plattform nie das orthodoxe Ziel der deutschen „Diktatur des Proletariats" aus den Augen verloren, stehen deshalb auf einer Stufe mit der Militäropposition des 20. Juli und den BDO-Patrioten.

Ähnlich dehnbar wie der Gummibegriff „Antifaschismus" ist Steinbachs heute fest etabliertes „Widerstands"-Passepartout vorzüglich geeignet, primär die politischen und weltanschaulichen Positionen der konservativen Opposition in der Nacht, in der alle Katzen grau sind, verschwinden zu lassen. Wenn davon trotzdem die Rede sein muß, sind seit den Ausführungen der Historiker Hans Mommsen und Christof Dipper der Phantasie keine Grenzen gesetzt, die Männer des 20. Juli etwa als „antisemitisch" zu diffamieren. So fehlt selbst in der weitgehend fairen Seydlitz-Biographie von Julia Warth („Verräter oder Widerstandskämpfer", München 2006) nicht die Polemik gegen den General als „Träger des Vernichtungskrieges" und typischen Protagonisten „grundsätzlicher Systemloyalität".

 

Foto: Erich Weinert, Präsident des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD), bei der Gründung am 13. Juli 1943, im Hintergrund sitzend Walter Ulbricht: Im Heimkehrerzug das Offiziersabteil verwehrt

Foto: Mitgliedsausweis eines NKFD-Angehörigen: Traum von Tauroggen

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