© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Friedrich bekommt den Schwarzen Peter
Überwachung: Die Bundesregierung rechtfertigt US-Spitzelprogramme und beschert der Opposition so ein Wahlkampfthema
Lion Edler

Jürgen Trittin schlägt neue Töne an. Deutschland müsse etwas tun gegen die Ausspähpraktiken des US-Geheimdienstes NSA. Es gehe schließlich „um die Verteidigung unserer Wirtschaft und unserer Interessen“, sagte der Grünen-Fraktionschef. Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden müsse eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommen, „weil das dem politischen Interesse Deutschlands entspricht“. Trittins vehemente Bezugnahme auf nationale Interessen überrascht, hatte er doch einst als Bundesumweltminister das Wort „Deutschen“ aus dem Briefbogen seines Ministeriums entfernt, wo eigentlich „Mitglied des Deutschen Bundestages“ hätte stehen müssen. Doch in Zeiten des Wahlkampfs lassen sich ganz neue Seiten von Politikern entdecken – und in diesem Wahlkampf ist die Diskussion um die Datenspeicherungen durch die NSA längst angekommen.

Die Oppositionsparteien überboten sich in der Kritik am Besuch von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in Washington. Der Minister sprach dort mit Vertretern der US-Regierung über die NSA-Praktiken und verteidigte anschließend das US-Spähprogramm Prism. Dabei handle es sich um ein Werkzeug, „das ganz gezielt nach Begriffen im Bereich Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und organisierte Kriminalität sucht“.

Durch Informationen des Geheimdienstes seien 45 Anschläge verhindert worden, davon fünf in Deutschland. Später muß das Innenministerium Friedrich korrigieren: „Es geht eben darum, daß in fünf Fällen entsprechende Informationen von Prism hilfreich dabei gewesen sind, überhaupt und möglicherweise auch schon in einem sehr frühen Stadium entsprechende Ausführungen zu verhindern.“ Daß es eine flächendeckende Überwachung deutscher Bürger durch US-Dienste gebe, sei ihm auf seiner USA-Reise nicht bestätigt worden, sagte Friedrich. Ergebnis der Zusammenkunft in Washington ist, daß die USA ein Abkommen von 1968 über die Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten der früheren Westalliierten aufheben wollen.

Dieses sah vor, daß der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz als Dienstleister für ausländische Dienste fungieren müssen. Die Vereinigten Staaten konnten „im Interesse der Sicherheit ihrer Streitkräfte“ ihre deutschen Kollegen um Brief-, Post- und Fernmeldekontrolle „ersuchen“. Doch während Friedrich die Streichung dieses Abkommens als Erfolg der Reise verkaufen wollte, meinen Kritiker, daß das Abkommen ohnehin obsolet sei und die Streichung an den eigentlichen Problemen vorbeigehe. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann bezeichnete Friedrichs Reise als „Desaster“, bei dem der CSU-Politiker „mit leeren Händen“ und ohne konkrete Ergebnisse zurückgekehrt sei. „Ein Innenminister, der nichts gegen diesen Datenklau, gegen einen fortwährenden Rechtsbruch unternimmt, hat seine Aufgabe nicht verstanden“, sagte auch der Linken-Politiker Steffen Bockhahn, der zusammen mit Oppermann im Parlamentarischen Kontrollgremium sitzt und somit für die Überwachung der Geheimdienste zuständig ist.

Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Rebecca Harms, mahnte mehr politisches Selbstbewußtsein gegenüber den USA an: „Schon die Richtung der Reise, also daß die Ausspionierten und diejenigen, die die Bürger vertreten, deren Rechte verletzt worden sind, daß diejenigen nach Wash-ington reisen und nicht umgekehrt, zeigt diese ja geradezu demütige Haltung, die wir als deutsche Bürger jetzt unserer Regierung vorwerfen müssen.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltete sich in die Debatte ein und warf der Opposition politische Doppelzüngigkeit vor. ,,Alle Bundesregierungen – ob SPD- oder CDU-geführt – haben mit Nachrichtendiensten anderer Länder zusammengearbeitet.“

Derzeit werde „überprüft“, ob amerikanische Dienste sich in Deutschland an deutsches Recht gehalten hätten. Die Kanzlerin sprach sich zudem für ein europäisches Datenschutzabkommen aus, das Unternehmen wie Google oder Facebook dazu verpflichtet, der Europäischen Union Auskunft zu erteilen, an wen sie Daten weitergeben. Auf Spekulationen über die Überwachung deutscher Regierungskreise angesprochen, winkt Merkel ab. Ihr sei davon nichts bekannt.

Scharfe Kritik kam daraufhin von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. „Der Geheimdienst wird vom Kanzleramt koordiniert. Wer hinter dem Steuer sitzt, trägt die Verantwortung – und zwar egal, ob er wach oder eingepennt ist“..Merkel habe als Kanzlerin „den Amtseid geschworen, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“, kritisierte Steinbrück. Nun habe sich herausgestellt, daß die Grundrechte der Bürger durch die Spähaktionen „massiv verletzt“ worden seien. „Also: Schaden vom Volke abzuwenden – das stelle ich mir anders vor.“ Selbst wenn der von Grünen und Linkspartei geforderte Untersuchungsausschuß im Bundestag wirklich kommen sollte, vor der Bundestagswahl ist mit Ergebnissen nicht zu rechnen.

Foto: Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit US-Vizepräsident Joe Biden: Wie viele Anschläge wurden durch die NSA wirklich verhindert?

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