© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Pankraz,
E. Snowden und der Schaden der Daten

Info-Brocken aller Art aus der NSA-Datenklauaffäre liegen mittlerweile wahrhaftig genug herum, es wird Zeit zum Aufräumen. Wer hat wem am meisten geschadet? Welche Wunden wurden geschlagen, und welche davon sind heilbar?

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück weiß es schon ganz genau. Generalverliererin sei die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), verkündet er in der Bild am Sonntag, denn die habe in schier unglaublicher Weise die Verfassung gebrochen, wonach ihre Aufgabe vorrangig darin bestehe, „Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“. „Der Geheimdienst wird vom Kanzleramt koordiniert“, so Steinbrück. „Unter Merkel (…) ist ein riesiger Schaden fürs deutsche Volk entstanden.“

Nun, der Wahlkämpfer Steinbrück kann natürlich gar nicht anders, als seiner direkten Konkurrentin Merkel auch in Sachen NSA-Skandal mächtig am Zeug zu flicken. Eine gute Wahlkampf-Steilvorlage für ihn ist die Affäre trotzdem nicht. Pankraz wagt sogar die Voraussage, daß die Vorgänge der deutschen Regierung und somit auch der Kanzlerin eher nützen werden. Sie bieten gute Handhabe, letzte Reste von Souveränitätsmangel aus der Besatzungszeit stillschweigend zu beerdigen und dadurch Machtzuwachs und zusätzlichen politischen Spielraum zu erlangen.

Verlierer hingegen werden zwei andere Instanzen sein: erstens das Weiße Haus in Wa-shington und die geopolitische Position der USA insgesamt, zweitens sämtliche digitale Netzwerk-Enthusiasten überall in der Welt, die bisher unverdrossen vom Internet als dem Vehikel zur Eröffnung eines neuen gloriosen Zeitalters der freien Information schwärmten und nun zur Kenntnis nehmen müssen, daß dieses Internet vor allem zu allumfassender Kontrolle des einzelnen und zur endgültigen Zerstörung jeglicher Privatsphäre führt.

Was die Lage Washingtons betrifft: Wirklich bemerkenswert war nicht das materielle Ausmaß der von der NSA betriebenen Ausspähung, wie sie der Whistleblower Edward Snowden offenlegte, sondern die ungeheure Welle der internationalen, nicht zuletzt deutschen, Empörung, die sich nach Snowdens Auftritt öffentlich entlud. Daß „CIA & Co.“ nicht das geringste Bedenken tragen, auch Verbündete und „Freunde“ systematisch auszuspähen – das war ja auch schon vor Snowden hinreichend bekannt, man nahm es in allen Lagern achselzuckend hin; so seien Geheimdienste nun einmal, hieß es.

Doch die Zeiten ändern sich eben. Und der Auftritt des so sympathischen, rührend-jungenhaften Whistleblowers aus Hawaii war gewissermaßen der Funke, der ins Pulverfaß der geänderten geopolitischen Lage geworfen wurde und es explodieren ließ. Die Botschaft, die sich im Flammenschein der Explosion abzeichnete, lautete etwa, an die USA gerichtet: „Wir haben die Nase gründlich voll von euren frechen Weltmachtallüren, euren unverfrorenen Einmischungspraktiken, wir werden sie uns nicht länger gefallen lassen. Von nun an verkehren wir mit euch nur noch auf Augenhöhe, macht euch das endlich klar!“

Für Washington ist die Situation sehr viel heikler, als sie in der dortigen Presse oder in offiziellen oder halboffiziellen Verlautbarungen zum Ausdruck kommt. Es geht keineswegs nur um „Mißverständisse“ oder um bloße „Übertreibungen“ untergeordneter Stellen. Zur Disposition steht das ganze, spätestens seit der Ära von Bush junior dominierende System der „absoluten Sicherheit“, der staatlichen Tötungen verdächtiger Personen ohne Prozeß und Urteil, des Guantanamo-Betriebs, der unerklärten Drohnenkriege, der bis zum Exzeß vorgetriebenen digitalen Datenspeicherungen und Datenverknüpfungen.

Absolute Sicherheit ist weder möglich noch auch nur unter allen Umständen erstrebenswert. Sicherheit hat ihren Preis, und die Kosten müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Einhaltung fundamentaler moralischer Grundsätze geht auf jeden Fall vor ungeniertem Ausnutzen technischer Möglichkeiten. Bei weitem nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch moralisch erlaubt. In der genetischen Biologie oder beim Ausprobieren neuer Medikamente versteht sich das längst von selbst; es gilt aber auch für das Kontrollieren privater Daten und ihrer spekulativen Verknüpfung.

Und Politiker sind von diesem Gebot selbstverständlich nicht ausgenommen, fast im Gegenteil. Einige von ihnen berufen sich zur Rechtfertigung ihrer Benutzung des Internets zum Zwecke gigantischer Datenspeicherung und Datenverknüpfung auf dessen angeblich „demokratische“ Struktur. Im Internet, so hört man dann, komme es immer auf die Vielzahl der Klicks an, es sei stets die große Zahl, welche hier den Ausschlag gebe, also die demokratische Mehrheit. Und so könne es doch nicht ganz schlecht sein, seine Möglichkeiten für Abgleiche auszunutzen.

Hier ist es, wo es den Netzwerk-Enthusiasten ungemütlich wird und sie am Status ihres geliebten Internets zu zweifeln anfangen. Pure Quantität muß ja mit Qualität, auch mit politischer Qualität, nicht unbedingt im Bunde stehen. Wer Politik macht, indem er stur der großen Zahl folgt, mag sich für einen lupenreinen Demokraten halten – ob er auch gute oder zumindest akzeptable Politik macht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Enthüllungen des Edward Snowden haben jedenfalls den Verdacht sehr verstärkt, daß es per Internet keinen Schub in Richtung Freiheit geben wird, sondern eher einen Schub in Richtung Gängelei.

Seine Rückseite ist letztlich die totale Offenlegung des Inneren der Netznutzer. Mit jedem Klick machen wir uns gleichsam weltweit öffentlich und verfügbar, und es war völlig geschichtswidrig zu glauben, daß die herrschenden Mächte sich das nicht zunutze machen würden. Via Internet wachsen Überwachungs- und Gängelei-Instanzen heran, im Vergleich zu denen jedes Stasi-Regime wie ein harmloser Schrebergarten wirken würde.

Zur Panik ist trotzdem kein Anlaß. Man muß aber illusionslos und realistisch an die Dinge herangehen.

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