© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

In der Welt zu Hause
König, Vater, Gott: René Pape und die Dresdner Philharmonie feiern Wagner und sich selbst / Umbau des Konzertsaals zieht sich bis 2017 hin
Sebastian Hennig

Mit dem zwölften und letzten Konzert dieser Saison verabschiedete sich die Dresdner Philharmonie in ihre Sommerpause. Sie prägte noch einmal mächtig das Siegel ihrer Leistungsfähigkeit in das weiche Gemüt eines treuen Publikums. Da diesem neuerdings einiges an Leidensfähigkeit zugemutet wird, ist dieses Werben durchaus notwendig.

Wie in Hamburg gibt es auch am oberen Lauf der Elbe widersprüchliche Nachrichten um eine Philharmonie. Im hanseatischen Stadtstaat wurden gerade die Bauarbeiten zur sündhaft teuren Elbphilharmonie wieder aufgenommen. Im deutschen Florenz dagegen haben Planungsschwierigkeiten und Haushaltsvorbehalte den (Um)baubeginn verschoben. Die Fertigstellung des neuen Konzertsaals im alten Kulturpalast wird inzwischen nicht mehr 2015 zu erwarten sein, sondern ganze zwei Jahre später. Und die Stadt muß die Kosten alleine tragen. Europäische Fördermittel blieben ihr versagt.

Der baskische Dirigent Juanjo Mena stand nun in Dresden mit einem reinen Wagner-Programm am Pult. Der Baß René Pape setzt die große Dresdner Sängertradition von Theo Adam und Peter Schreier fort. Seit den neunziger Jahren ist Pape an den großen Häusern der Welt präsent. In seiner Geburtsstadt – Pape war Mitglied des Kreuzchors und studierte an der Dresdner Musikhochschule Carl Maria von Weber – bot er jüngst zwei ergreifende Partien aus „Tristan und Isolde“ und „Die Walküre“.

Das Konzert begann zunächst mit dem Tristan-Vorspiel und Isoldes Liebestod. Eines der Ausweichquartiere ist der überdachte Innenhof des Albertinums der staatlichen Kunstsammlungen. Der hohe und plane Raum ist ein riesiges Foyer, keinesfalls ein Konzertsaal, er ist gekennzeichnet durch eine aufdringliche Hallwirkung. Das kleinste Nebengeräusch schießt wie ein akustischer Geysir in die Höhe und breitet sich über den Köpfen der Zuhörer aus. Da aber mit äußerster Sammlung sauber und gefühlsstark musiziert wurde, hat sich immerhin die Anzahl dieser Störungen an der Quelle vermindert, weil dem Publikum eine große Spannung auferlegt wurde. Allerdings vermag die verbindende Kraft der Musik nicht voll umfänglich bis ins hinterste Drittel der ebenen Halle durchzudringen.

Der erschütterte König Marke ist für René Papes weichen Baß eine Paraderolle. Wunderbar wandelt sich der majestätisch Grollende beim „Mir dies?“ leise zum väterlichen Freund eines jungen Verräters. Und wenn er von „der Ehren Ruhm, der Größe Macht“ singt, dann ist er wieder durch und durch König. Der wandlungsfähige Baß bleibt bei allem Schmerz trocken und würdevoll. Die tiefen Streicher begleiten die Klage, während die Violinen lange ungerührt und untätig warten, um erst in den tiefsten Schmerz grell mit hinein zu stechen. Konzertante Aufführungen sind fesselnde Dramen der momentanen Musikerzeugung. Während der letzten Worte „Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund?“ steht der verletzte König allein singend vor dem schweigenden Orchester. Daß ihm darauf kein Tristan antwortet, läßt Markes Bedrängnis noch eindringlicher wirken.

Dieses Konzert war kein Potpourri aus berühmten Arien, sondern präparierte einzelne Züge heraus, die in der Totalität der szenischen Aufführung ineinander verschmelzen. Als die Musiker nach der Pause das Podium wieder betraten, wurden sie mit einem ungewöhnlich langen und starken Beifall bedacht.

Auf das weltlich-feierliche Vorspiel zum dritten Akt des „Lohengrin“ folgte die davon musikalisch sehr verschiedene Rheinfahrt Siegfrieds aus „Götterdämmerung“. Das war ein ganz anderes Wogen und Fluten auch als im „Tristan“. Das Zusammenspiel ließ nichts zu wünschen übrig. All die verzwickten Schwünge und Übergänge kamen aus einem Zug voller Klarheit. Die Blechbläser tönten wohl, rund und voll.

Als Wotan hatte René Pape sich zuletzt gegen diese umfassende Gewalt des Orchesters zu behaupten. Es gelang ihm, und doch war ihm anzumerken, daß er seelisch und vom Charakter der Stimme mehr zum Marke disponiert ist. Für den Gott und Vater Wotan, der sich von seiner Tochter Brünnhilde verabschieden muß, wirkte er da eine Spur zu persönlich berührt, wo doch eine harte selbstverantwortete Tragik für das Geschehen den Ausschlag gibt. Es ist erstaunlich, was so eine Stimme trägt und wie klar er die Worte zu formen versteht.

Den neben der Staatskapelle (JF 27/13 ) zweiten großen Klangkörper Dresdens hält zur Zeit eine Orchesterdämmerung umfangen. Einmal mehr wurde an diesem Abend das erstaunliche Vermögen der Dresdner Philharmonie deutlich. Ihr Problem ist lediglich organisatorischer Art. Die alte Spielstätte des Kulturpalastes mußte wegen eines umstrittenen Umbaus zur Konzerthalle aufgegeben werden, ohne daß in der Stadt überhaupt ein vergleichbarer Saal zum Ausweichen zur Verfügung gestanden hätte. So werden seit dieser Saison und vielleicht auf ungewisse Zeit wechselweise das Schauspielhaus, das Albertinum, die zwei Hauptkirchen der Stadt und nächste Saison sogar wieder der große Saal im Deutschen Hygienemuseum genutzt, die einstige Nachkriegsspielstätte des Orchesters.

Um dem Klangerlebnis wirklich guter Säle nicht ganz entsagen zu müssen, erweiterten die Philharmoniker ihre Gastspieltätigkeit. Als ein trotziges Motto dieses Zustands im musikalischen Flüchtlingslager und in der temporären Emigration hieß in der vergangen Spielzeit aus der Pressestelle: „Die Philharmonie ist nur noch in der Welt zu Hause.“ Die Philharmonie und ihr Publikum erweisen sich gefaßt und leidensfähig in der Hoffnung, daß die vorübergehenden Entbehrungen durch ein beeindruckendes Ergebnis gerechtfertigt werden.

Der Verkauf von Einzelkarten für die neue Spielzeit 2013/2014 der Dresdner Philharmonie beginnt am 26. August. Telefon: 03 51 / 48 66 866

www.dresdnerphilharmonie.de

 

René Pape singt in München

René Pape tritt am 27. und 28. Juli bei den Münchner Opernfestspielen im Nationaltheater am Max-Joseph-Platz auf. Am 27. Juli singt er in Verdis „Messa da Requiem“. Der Eintritt für dieses von BMW gesponserte Festspielkonzert „Oper für alle“ ist frei. Einen Tag später ist Pape in der Verdi-Oper „Don Carlos“ an der Seite von Jonas Kaufmann als Philipp II., König von Spanien zu erleben. Beide Aufführungen werden von Zubin Mehta dirigiert.

www.renepape.com

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