© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Die Bespitzelten bleiben gelassen
Überwachung durch US-Geheimdienst: Trotz des Streites über die Ausspähung des Internets kann keine Partei von der Debatte profitieren
Lion Edler

Halina Wawzyniak schien sichtlich schockiert zu sein. „Meine Fresse“, twitterte die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und zielte damit auf den ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Denn für Schily ist die Diskussion um die Datensammlungen durch den amerikanischen Geheimdienst NSA nur unangemessenes „Getöse“. Die Furcht vor dem Staat trage gar „teilweise wahnhafte Züge, auch bei manchen Politikern von FDP und Grünen“, sagte der einst von den Grünen zur SPD gewechselte Politiker. Die größte Gefahr gehe nicht vom Staat, sondern vom internationalen Terrorismus und von der organisierten Kriminalität aus.

Auch seine eigene Partei bekam Kritik ab: Die SPD solle sich nicht auf die NSA-Diskussion als zentrales Wahlkampfthema fixieren, betonte Schily, denn für die großen Parteien gebe es „bei diesem Thema kaum etwas zu gewinnen“. Den Vorschlag von SPD-Chef Sigmar Gabriel, den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden als Zeugen zu vernehmen und unter Umständen in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen, lehnt Schily mit Blick auf die „außenpolitischen Folgen“ ab. Besonders provozierte Schily aber mit seinem Satz „Law and Order sind sozialdemokratische Werte.“ Politiker der rot-grünen Parteien bemühten sich daraufhin, die Bedeutung von Schilys Wortmeldung kleinzureden. Genosse Schily spiele „in der Politik der SPD keine Rolle mehr, er vertritt eine Einzelmeinung“, stellte der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil klar. Außerdem gehe es in der NSA-Diskussion „um einen massiven Eingriff in die Grundrechte der Bürger“, was „nichts mit Paranoia“ zu tun habe.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, Schily komme eben „aus einer anderen Zeit“. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, griff Schily scharf an. „Die einseitige Sicht auf die Sicherheitspolitik trägt pathologische Züge bei Herrn Schily“, sagte Notz. Auf den Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, scheint die Kritik von Schily indessen keinen Eindruck zu machen.

In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau warf Steinbrück Kanzlerin Angela Merkel vor, daß sie in der NSA-Debatte ein „Prinzip der absichtsvollen Ahnungslosigkeit“ verfolge, welches „aus einer parlamentarischen Demokratie eine Bananenrepublik“ mache. Wenn ausländische Nachrichtendienste „seit Jahren die Menschen in Deutschland flächendeckend abhören und die gewonnenen Informationen speichern und analysieren“, warnte Steinbrück, dann habe sich ein „digitales Schattenreich“ entwickelt, welches „die deutsche Souveränität unterminiert.“ Zudem habe Merkel „ein Distanzproblem mit Washington“. Eine Anspielung auf Merkels anfängliche Einstellung zum Irakkrieg. Merkels damaliges Vorgehen habe ihr „merkwürdiges Verständnis“ davon belegt, „welche Interessen ein deutscher Politiker gegenüber Partnern vertreten sollte.“

Indessen wird die These von Otto Schily, daß es für Union und SPD in der NSA-Diskussion nichts zu gewinnen gebe, durch die eher dürftige Beteiligung bei Anti-Überwachungs-Demonstrationen gestützt. In über 30 Städten demonstrierten am vergangenen Samstag etwa 10.000 Teilnehmer. In Frankfurt am Main, wo die Veranstalter zunächst mit etwa 5.000 Demonstranten rechneten, kamen nach Angaben der Polizei nur etwa 1.000 Personen zusammen, in München, Berlin und Karlsruhe jeweils etwa 500. Doch auch die Entwicklung der Umfragewerte spricht für die Auffassung von Schily. Die SPD kann trotz harscher Kritik an der Bundesregierung offenbar nicht von der NSA-Diskussion profitieren und verharrt weiterhin zwischen 25 und 26 Prozent, während die Union mit 40 bis 42 Prozent zufrieden sein kann.

Auch die Piraten, die in einem offenen Brief an die Bundesregierung gegen die NSA-Praktiken protestierten, dümpeln weiter bei zwei bis vier Prozent. „Staatliche Überwachung zu befürworten – auch etwa Vorratsdatenspeicherung oder das Bestandsdatengesetz – ,ist eine Schande“, schrieben die Piraten an Merkel und die Bundesminister. Wenn es der Regierung wirklich darum ginge, Menschenleben zu retten, dann müsse sie sich „stattdessen um deutsche Krankenhaushygiene kümmern (40.000 Tote/Jahr) und dann um die Sicherheit im Straßenverkehr (3.000 Tote/Jahr).“ Ein Grund für das Nicht-profitieren der Piraten von der NSA-Diskussion scheint in einer immer noch erstaunlich geringen Bekanntheit der Problematik zu liegen. „Es sind maximal 40 Prozent, die sagen: Ich habe davon etwas gehört“, sagte Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Das aktuelle Hochwasser oder die Ereignisse in Ägypten hätten bedeutend mehr Aufmerksamkeit erhalten, argumentierte Güllner.

Der Parteivorsitzende der Piraten, Bernd Schlömer, sieht einen weiteren Grund darin, daß die anderen Parteien das Thema bereits ausführlich besetzt hätten. Man sei in „diesem massenhaften Auftreten von Empörung etwas in den Hintergrund getreten“, bilanzierte Schlömer am vergangenen Freitag.

Foto: Anti-NSA-Demonstration in Berlin: Die Deutschen interessieren sich stärker für das Hochwasser und die Lage in Ägypten

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