© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Blutige Beute
Kriminalität: In Berlin verunsichern Diebesbanden Juweliere und Münzhändler mit brutalen Raubüberfällen
Ronald Gläser

Wenn die Berliner Juwelierinnung zu ihrem Stammtisch zusammenkommt, dann schwingt Unsicherheit mit. Die Händler registrieren eine Welle von Übergriffen. Selbst vor Mord schrecken die Täter nicht zurück. Erst kürzlich war ein Kriminalbeamter da und referierte in einem Köpenicker Wirtshaus vor etwa 30 Händlern, wie sie sich bei Überfällen richtig verhalten.

Manchmal nutzen selbst besonnenes Aufreten und ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem nichts. Soljo Delic wurde Ende April tot in seinem Geschäft im Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick aufgefunden. Der 46jährige lag in einer Blutlache. Die Polizei hat bislang nichts Handfestes über den Mord herausgefunden, heißt es aus Polizeikreisen. Nur soviel: Es war nicht der erste Überfall auf den Bosnier. Diesmal kannten der oder die Täter keine Gnade und jagten ihrem Opfer zwei tödliche Kugeln in den Leib.

Mehrere Überfälle hat auch Gerhard Bucksch, Juwelier in Berlin-Pankow, erlebt. Dreimal haben unbekannte Täter bei ihm schon zugeschlagen. Ziemlich oft in nur zwei Jahren. Buckschs kleiner Laden liegt unscheinbar am Stadtrand. Keines von den großen, beleuchteten Juweliergeschäften am Kurfürstendamm, wo Edelmetall den Besucher aus üppigen Glasvitrinen anblitzt. Bei ihm stehen auch Reisewecker und Kuckucksuhren im Regal. An der Decke hängen weiße Plastiklampen. Ein kleines Tischchen wird von einer dreißig Jahre alten Blümchendecke geziert. Herr Bucksch repariert auch Uhren und wechselt Batterien aus – mit Sofortservice.

Der erste Einbruch der jüngsten Welle war im Oktober 2011. Da brachen die Täter nachts in das Geschäft ein. Dazu mußten sie zentimeterdicke Metallgitter vor dem Fenster zur Werkstatt aufbrechen. Die Einbrecher öffneten die Vitrinen und erbeuteten Uhren und Trauringe. „Ob sie daran ihre Freude gehabt haben?“ fragt Bucksch. Die Ringe, die er den Kunden in einer Schachtel präsentiert, sind nur legiert, die Steine aus Glas. Kein Hehler wird ihnen diese Beute abgekauft haben. Das hinderte die gleichen oder andere Täter im Mai 2012 nicht daran, seinem Geschäft wieder einen Besuch abzustatten: In der Nacht kamen drei Männer. Gegen drei Uhr begannen sie mit einer Seilwinde, die sie an dem Baugerüst des sanierungsbedüftigen Hauses befestigten, das Gitter auszuhebeln.

Ein Nachbar wurde durch die Geräusche wach und sah die in Schwarz gekleideten Personen, als sie durch das Loch in das Geschäft kletterten. Er rief die Polizei. Diese traf nach wenigen Minuten ein, die Täter türmten im Schutze der Dunkelheit über mehrere Innenhöfe. Die Besatzungen von drei Funk- und zwei Mannschaftswagen durchkämmten die Umgebung. Sie fanden die Beute, eine Sporttasche voll Schmuck und vierzig bis fünfzig Uhren, aber keine Täter.

Bei der jüngsten Attacke war Bucksch selbst anwesend und schaute den Verbrechern direkt ins Gesicht. Just in dem Moment, als er beginnen will, davon zu berichten, unterbricht eine hereinkommende Kundin seinen Redefluß. „Sagen Sie mal“, fragt sie, „woran liegt das, daß mein Ring immer schwarz wird?“ „Nehmen Sie Tabletten?“ „Ja, muß ick.“ „Sehn Se: Davon kommt dit.“

Die Dame wechselt das Thema und fragt nach den Räubern. „Ich habe gehört, daß Sie überfallen worden sind.“ „Ja, das war ein Ding.“ Er berichtet: Die Täter kamen am hellichten Tage. Sie betraten den Verkaufsraum, den Bucksch mit mehreren Videokameras ausgestattet hat. Die Täter sahen sich kurz um, sprangen dann über den Tresen, zerschlugen die Vitrinen und begannen das Inventar zu plündern. Bucksch verschloß unbemerkt den Verkaufsraum, so daß sie nicht nach hinten gelangen konnten und verließ das Haus durch einen Seiteneingang, um vor dem Geschäft aufzutauchen. Sein erwachsener Sohn, mit dem er das Geschäft zusammen führt, wählte 110.

Die Täter bemerkten Bucksch vor dem Laden und ergriffen die Flucht. Der erste Täter ging ihm durch die Lappen. Der zweite trug die Umhängetasche mit der Beute. „Er hatte eine weiße Pudelmütze tief ins Gesicht gezogen und trug einen weißen Anorak. Ich hab dem die Tasche weggerissen“, erinnert sich Bucksch.

Doch so schnell wollte der Täter nicht aufgeben. Bucksch hielt die Tasche fest, kassierte dafür einen Schlag ins Gesicht. Räuber und Opfer stürzten auf den Bürgersteig, wo sich der 76jährige die Knie und die Stirn aufschlug. Außerdem spürte er einen Schmerz, weil in der Tasche ein spitzer, harter Gegenstand verstaut war. Der Täter gab auf und ergriff die Flucht. Die Umhängetasche blieb zurück. Die Täter, so Bucksch, waren Ende Zwanzig, Anfang Dreißig. Und sie sprachen kein Wort, woraus er schließt, daß es Deutsche gewesen sein könnten, die nicht anhand ihrer Stimmen identifiziert werden wollten. „Dem Burschen habe ich genau ins Gesicht gesehen“, berichtet er. „Sie sind aber mutig“, wendet die Kundin ein, die mit größer werdenden Augen seinen Erzählungen gefolgt ist. „Ich habe früher Judo trainiert und vor niemandem Angst“, sagt er.

In Wirklichkeit hätte Bucksch nach dem gescheiterten Überfall allen Grund gehabt, weiche Knie zu bekommen. In der Tasche der Täter fand sich neben einem Brecheisen, das er sich in den Magen gerammt hatte, ein fünf Zentimenter breites, dunkelbraunes Klebeband. Kein Zweifel: Die Täter hätten ihn damit gefesselt und geknebelt, wenn sie seiner habhaft geworden wären. Welchem anderen Zweck hätte das Klebeband sonst dienen sollen?

Der ganze Überfall dauerte nur eine halbe Minute. Die Polizei kam schnell, aber nicht schnell genug. Als sie nach etwa fünf Minuten eintraf, waren die Täter wieder einmal über alle Berge. Auch die weitere Ermittlungsarbeit war nicht von Erfolg gekrönt. Bucksch wurde keine Verdächtigenkartei präsentiert, und er wurde nicht darum gebeten, Hinweise für die Erstellung einer Phantomzeichnung zu geben. Der Fall wanderte zu den Akten.

War das Trio, das Bucksch überfallen hat, das gleiche, das im Januar einen Juwelier in Tempelhof ausrauben wollte? Damals rannte der Inhaber auf die Straße und rief um Hilfe, die Täter flüchteten. Wieder drei Leute. Wieder ein Überfall am hellichten Tag. Seitdem wird nach einem der Täter anhand einer Phantomzeichnung gefahndet. Niemand ist nach dem Überfall auf die Idee gekommen, Bucksch dieses Phantombild zu zeigen. Warum nicht?

Im Februar dann ein Überfall im Stadtteil Wedding: Insgesamt vier Täter stürmten ein Juweliergeschäft, schlugen die 53 Jahre alte Mutter des Inhabers, besprühten sie mit Reizgas. Passanten nahmen später einen der Täter fest, als sie davonliefen. Der 24jährige wartet jetzt auf seinen Prozeß. Wenig später ein Überfall auf ein Juweliergeschäft ebenfalls im Wedding. Ein vermutlich osteuropäischer Einzeltäter schlug mit Gewalt auf die 68 Jahre alte Inhaberin ein und prügelte sie so brutal, daß sie das Bewußtsein verlor. Er entkam mit wenig Schmuck und einigen hundert Euro Beute. Auch nach ihm wird mit einem Phantomfoto gesucht. Bucksch allerdings wurde es nie gezeigt.

Dann, auch im März, der Überfall auf Gernot Dorau. Der 73jährige wurde erschlagen in seinem Münzhandelsgeschäft in Mitte gefunden. Der Mörder ging den Behörden Anfang Mai in Belgien ins Netz. Dies ist bislang der einzige große Erfolg, den die Polizei in der Bekämpfung der jüngsten Überfallserie vorweisen kann. Der Fall stand wohl in keinem Zusammenhang mit den anderen Verbrechen.

Auch wenn Überfälle und Einbrüche zum Berufsrisiko von Juwelieren gehören: Die Zunahme von solchen Gewalttaten bereitet den Betroffenen große Sorge. Die Polizei mag nicht von einer Welle sprechen. Die Zahl entsprechender Raubüberfälle ist von 2005 bis 2010 um 80 Prozent gestiegen und flaut nur sehr langsam wieder ab. 2012 gab es 656 Überfälle dieser Art in Berlin. Die Aufklärungsrate ist im vergangenen Jahr erstmals unter die 30-Prozent-Marke gefallen. Die Angst sitzt gerade vielen kleinen Ladenbesitzern im Nacken, die allein den ganzen Tag in ihrem Geschäft stehen und bei jedem Neukunden ihre Skepsis hinter einem freundlichen Lächeln verbergen müssen.

Bucksch hat mittlerweile seine eigenen Vorkehrungen getroffen. Die Ringe sind in den Schachteln, in denen er sie präsentiert, fixiert. So können sie nicht einfach in eine Tasche geschüttet werden. „Die müßten sie einzeln rauszupfen“, sagt er nüchtern. Zeit ist Geld, gerade für Räuber. Außerdem hat er einen riesigen Safe („Der wiegt eine Tonne“), an dem sich bislang noch alle Kriminellen die Zähne ausgebissen haben. So ein Panzerschrank ist seit jeher die beste Versicherung.

Foto: Tatort Juweliergeschäft: Gerhard Bucksch ist in nur zwei Jahren dreimal Opfer von schweren Straftaten geworden

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