© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Wenn es ernst wird, lügen sie
Wirtschaftspublizistik: Hans-Olaf Henkel rechnet in seinem neuen Buch zur Euro-Krise mit der deutschen und der EU-Politik ab
Christian Dorn

Solange ich lebe“, versprach die Bundeskanzlerin im Juni 2012 bei einem Besuch der FDP-Bundestagsfraktion, werde es eine gemeinschaftliche Haftung für Schulden europäischer Staaten nicht geben. Angela Merkel tat dies, obwohl damals schon Hunderte Milliarden durch die Griechenlandhilfe, den Rettungsfonds EFSF und Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im Feuer standen. Die Frage wäre also, ob die Kanzlerin nur eine Phantastin ist oder tatsächlich eine Lügnerin, die das Wahlvolk bewußt täuscht. Für den Euro-Kritiker Hans-Olaf Henkel ist dies eine entscheidende Frage, die er aber offenläßt, ja lassen muß, wie er bei der Vorstellung seines neuen Buches „Die Euro-Lügner“ im Haus der Bundespressekonferenz betont.

Schließlich ist der Begriff „Lügner“ justitiabel, weshalb es der Leser entscheide, ob die Protagonisten der Euro-Rettung – gemäß Nietzsche – nur Phantasten seien, die sich selbst etwas vormachen, oder ob die betreffenden Politiker die Öffentlichkeit bewußt hinters Licht führen. Als expliziten Lügner präsentiert Henkel daher nur den einstigen Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, der zu seiner Rechtfertigung während einer Finanztagung in Brüssel im Mai 2011 freiweg bekannte: „Wenn es ernst wird, muß man lügen.“ Damit, so Henkel, habe der mit vielen Zungen sprechende Luxemburger die Lüge salonfähig gemacht.

Nachdem der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) bereits 2010 im Titel „Rettet unser Geld: Deutschland wird ausverkauft“ dargelegt hatte, „wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet“, kritisiert er im neuen Buch die „unsinnigen Rettungspakete“ und „vertuschten Risiken“, durch die das Volk getäuscht werde. Grund für die abermalige Publikation seien seine „Frustration“ und „Enttäuschung“ gewesen. Vor allem habe es Henkel „erbost“, daß die Bild ihn als „Wendehals“ schmähte.

Die eigentlichen Wendehälse seien die handelnden Politiker mit ihren Wort- und Rechtsbrüchen. Darüber hinaus sei auch „das deutsche Volk schizophren, wenn es um den Euro geht“, da es zwar gegen die Euro-Rettung sei, gleichzeitig aber die Weiterexistenz der Währung bejahe. Aufgrund dieser Schizophrenie gäbe es in Deutschland – im Unterschied zu allen anderen europäischen Ländern – auch keine offene Diskussion über Alternativen. In der französischen Nationalversammlung hingegen seien heute 30 Prozent gegen den Euro. Die deutsche Elite versage hier, indem sie eine Debatte hierüber verhindere. Genauso verweigere sie Aussagen über die zwingenden Folgen der „Rettungspolitik“. Deshalb sei seine Veröffentlichung auch als Wahlkampfhilfe für die Alternative für Deutschland (AfD) zu verstehen, die zu Unrecht als „rechtspopulistisch“ oder „rückwärtsgewandt“ verunglimpft werde. Wenn man in die falsche Richtung gefahren sei, gebe es gar keinen anderen Ausweg, als wieder umzukehren.

Doch statt dessen diene die Ideologie des Euro heute – wie einst der Kommunismus – als „goldenes Kalb“. Überhaupt sei es lächerlich, den Euro als „Friedensprojekt“ zu apostrophieren, wenn – wie zuletzt in Griechenland – Merkel von 7.000 Polizisten beschützt werden muß. War Deutschland einst das beliebteste Land bei den Griechen, gelte heute eher das Gegenteil. So verwundere es nicht, daß der politische Selbstbetrug mit „bequemen Unwahrheiten“ einhergehe: So stünden dem Mantra, daß mit dem Euro auch Europa scheitere, elf EU-Länder entgegen, die ohne die Kunstwährung auskämen.

„Quatsch“ sei auch die Gleichsetzung von Euro-Raum und EU-Binnenmarkt. Der Euro sei für Frankreich viel zu stark und behindere dessen Exporte. Seien vor der Euro-Einführung noch 45 Prozent der Exporte in den Euroraum gegangen, liege die Quote heute nur mehr bei 36 Prozent – Tendenz sinkend. Begleitet werde die Euro-Rettung zudem von der höchsten Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Auch sei trotz des „reisenden Schnellgerichts“ Troika der Fiskalpakt noch nicht ein einziges Mal eingehalten worden. Am gefährdetsten sei aber Frankreich, das eine viel zu hohe Beschäftigungsquote im öffentlichen Sektor aufweise. Anders als die kriselnden Südländer verweigere es sich allen Reformen. Die Absurdität der Euro-Rettung zeige sich nicht zuletzt in den jüngsten Einlassungen von François Hollande und Merkel: Während der französische Präsident die Zinsen für Frankreich für zu hoch hält, habe die Kanzlerin auf dem Deutschen Sparkassentag die Zinsen für zu niedrig befunden – recht hätten beide, so Henkel.

Erhellend war hier der Kommentar des britischen Publizisten David Marsh, der Henkels Buch mit vorstellte. Aus seiner Sicht ist der Euro „ausweglos“, eine „griechische Tragödie“. „Alle in Europa“ – die Gläubiger- wie die Schuldner-Länder – „fühlen sich als Opfer“. Allerdings würden Schweden und Dänemark der Euro-Zone nicht mehr beitreten, während Großbritannien in einigen Jahren womöglich sogar aus der EU austrete. Deutschland indes fehle der Mut. Im schwammigen Duktus der Kanzlerin sei „Deutsch eine sehr unpräzise Sprache“, wie die Forderung nach „mehr Europa“ zeige. Daß die Vorstellung einer durch die Euro-Rettung salvierten „Friedenswährung“ sinnlos ist, versuchte Henkel mit Verweis auf den 26. Juli 1943 zu verdeutlichen, als er drei Jahre alt war. Damals brannte das elterliche Haus in Hamburg durch eine englische Brandbombe nieder. Der Vater hatte das Niederbrennen des Hauses mit einer Kamera festgehalten – für den Sohn ein bis heute prägendes Bild: Das direkt angrenzende Nachbarhaus überstand den Brand unbeschädigt, geschützt durch eine Brandmauer.

Mit dem Brechen der eigentlich vertraglich festgeschriebenen No-Bail-Out-Klausel sei 2010 die währungspolitische „Brandmauer“ aufgehoben worden. Hoffnung habe er daher kaum noch: Sollte Frankreich seine Haltung nicht ändern, werde die aktuelle Transfer- zu einer Schuldenunion mutieren, die schließlich in eine Inflationsunion münden werde; danach erst werde die Währungsunion endgültig scheitern.

Die verantwortlichen Politiker, etwa der „Euro-Fanatiker“ Wolfgang Schäuble (CDU), würden dann aber nicht mehr anzutreffen sein. Überdies müsse Schäuble wohl „jedesmal, wenn Draghi mehr Autonomie fordert, in die Hände klatschen“, denn „damit ist er immer weniger verantwortlich“. Der einstige FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher sei – mit Blick auf ein von ihm mitverantwortetes Propagandavideo für den Erhalt der Eurowährung – der „Weltmeister der Angstmacher“.

Vielleicht hatte Henkel hier auch an einen Gastbeitrag Genschers für den Berliner Tagesspiegel gedacht, als dieser die Klagen gegen die Euro-Rettung vor dem Verfassungsgericht als einen „Mißbrauch“ des Rechts denunziert hatte. Bei allem Pessimismus wollte Henkel nicht alle Hoffnung fahren lassen: So erinnerte er – passend zum Gedenken an den 20. Juli 1944 – auch an den Artikel 20 des Grundgesetzes, der die „Rechtfertigung für einen potentiellen Stauffenberg“ in unserer Gegenwart sein könne.

Hans-Olaf Henkel: Die Euro-Lügner – Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken. Heyne Verlag, München 2013, gebunden, 272 Seiten, 19,99 Euro

Foto: Henkel bei Buchvorstellung in Berlin: Bewußte Wahlkampfhilfe für die Partei Alternative für Deutschland

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