© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Suchtfaktor sorgt für regen Absatz
Zigarettenbranche: Trotz aller Anti-Raucher-Kampagnen verdienen Industrie, Handel und Fiskus weiterhin prächtig / Milliardenmarkt China noch verschlossen
Christian Schreiber

Glaubt man den Gesundheitspolitikern in den EU-Ländern, dann ist der Raucher eine aussterbende Spezies. Und das nicht nur, weil der Qualm schädlich ist. Gegen diese Prognose sprechen die Statistiken der Tabakindustrie. In Europa werden in jeder Viertelstunde 17,5 Millionen Zigaretten geraucht – trotz aller aufgedruckten Warnungen. Die vier größten Konzerne machen in diesen 15 Minuten rund 230.000 Euro Gewinn. Auch in Deutschland läuft das Geschäft mit dem Qualm auf hohem Niveau weiter. Hinzu kommt, daß laut Deutschem Zigarettenverband (DZV) inzwischen jeder fünfte Glimmstengel am Fiskus vorbei illegal erworben wird.

Obwohl der US-Konzern Philip Morris, der über seinen deutschen Ableger unter anderem das Flaggschiff Marlboro und die früheren DDR-Marken f6, Juwel und Karo vertreibt, zuletzt leichte Umsatzeinbußen erlitt, ist Zigarettenverkauf für die Hersteller ein höchst lukratives Geschäft. Im zweiten Quartal 2013 machte der Marktführer immer noch einen Gewinn von mehr als zwei Milliarden Euro, in Deutschland hält er mehr als ein Drittel der Marktanteile.

Philip Morris auf den Fersen ist hierzulande aber ein urdeutsches Unternehmen, der Hamburger Zigaretten-hersteller Reemtsma, der mittlerweile mehrheitlich der britischen Imperial Tobacco (IMT) gehört. Reemtsma machte im ersten Halbjahr 2013 unter anderem mit seinen Kernmarken Gauloises, West und John Player Special ein deutliches Umsatzplus von 5,8 Prozent und erzielte mit insgesamt 513 Millionen Euro erstmals einen Halbjahresumsatz von mehr als einer halben Milliarde Euro. Diese Zahlen mögen auf den ersten Blick überaschen, gilt Rauchen zumindest in weiten Teilen der EU mittlerweile als verpönt. In den Industriestaaten sinkt die Zahl der Konsumenten seit Jahren, doch die Gewinne bleiben stabil.

Das liegt vor allem am Suchtfaktor des Rauches. Analysten der Konzerne haben errechnet, daß ein Preisanstieg von zehn Prozent nur einen Umsatzrückgang von vier Prozent verursache. Kostete eine Schachtel Marlboro in Deutschland 2002 noch drei Euro, sind jetzt fünf Euro fällig. Heute wie damals gingen zwar rund drei Viertel des Geldes an den Fiskus. Hersteller und Handel kassierten vor elf Jahren aber auch nur 75 Cent pro Päckchen, inzwischen sind es 1,20 Euro – das ist ein Anstieg von mehr als 60 Prozent. Dank steigender Preise ist es den Unternehmen gelungen, den Umsatz in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt bei rund 19,2 Milliarden Euro stabil zu halten, obwohl der legale Zigarettenabsatz von 140 auf 84 Milliarden Stück zurückging.

Zudem schauen sich die Konzerne nach neuen Absatzmärkten um. Mit Spannung und großen Hoffnungen wird die Öffnung des chinesischen Marktes erwartet. Denn im Land des Lächelns ist Rauchen sozusagen Volkssport. Dort leben 40 Prozent aller Raucher weltweit. Noch schirmt das kommunistische Regime den Markt rigoros ab. Denn der ist eine Goldgrube: 350 Millionen der 1,3 Milliarden Chinesen rauchen. Für die China National Tobacco Corporation (CNTC) ist dies ein Eldorado. Der staatliche Tabakriese stellt nahezu jede Zigarette her, die im Reich der Mitte geraucht wird. Ausländische Unternehmen kommen bisher nur über Kooperationen mit CNTC auf den chinesischen Markt, die ihrerseits nur in China aktiv ist. Dennoch ist sie der größte Tabakkonzern der Welt, macht derzeit rund elf Milliarden Dollar Gewinn pro Jahr. Sehnsüchtig warten die westlichen Marktführer darauf, daß sich in China ein neues Geschäftsfeld erschließt.

Bis dahin toben sich die Hersteller in anderen asiatischen Ländern aus. Dort gilt Rauchen immer noch als Inbegriff für Selbständigkeit und Kultur. Vor allem auf junge Menschen haben es die Konzerne abgesehen – für die Industrie am lukrativsten, wenn Jugendliche früh mit dem Rauchen beginnen. Die treuen Raucher, die bis ins mittlere und hohe Alter Tabak konsumieren, haben früh angefangen – mit zwölf bis 15 Jahren. Sie machen die Tabakfirmen durch tägliche Zuwendungen reich.

Zwar geht der Anteil der Raucher an der Gesamtbevölkerung weltweit zurück, aber in absoluten Zahlen steigt die Zahl der Tabakkunden dennoch an, weil die Weltbevölkerung rasant wächst. Derzeit beherbergt die Erde über 7,1 Milliarden Menschen, für das Jahr 2050 prognostizieren Demographen elf Milliarden. In den EU-Ländern geht es hingegen nur noch darum, Marktanteile zu halten. Einflußreiche Lobbygruppen kämpfen in Brüssel gegen immer schärfere Nichtraucherschutzmaßnahmen. Doch die Gewinnspanne dürfte nicht mehr groß nach oben gehen.

So schauen Philip Morris, BAT (Pall Mall, Lucky Strike), Japan Tobacco (Camel) & Co. gebannt in die Entwicklungs- und Schwellenländer. Fast 80 Prozent der Raucher leben in diesen Ländern, deren Bevölkerungszahl weiter ansteigt. In Asien verbucht Philip Morris seit Jahren Umsatzzuwächse von mehr als 20 Prozent. Im aufstrebenden Indonesien wächst nicht nur die Zahl der Raucher, mit steigenden Einkommen leisten sie sich auch mehr teure Markenzigaretten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert daher ein globales Werbeverbot. Experten aus ihren Reihen monieren, daß die Tabakindustrie zwar viel Geld für Lobbyarbeit ausgibt, aber vergleichsweise wenig für Forschungsprojekte, um Tabakgenuß weniger schädlich und süchtig zu machen. „Die Konzerne haben gerade daran vermutlich kein Interesse“, heißt es bei der WHO.

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