© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Aufbruch in andere Welten
Bodenlos: Eine Ausstellung im Naturkundemuseum Karlsruhe zeigt, wie sich Lebewesen und technische Erfindungen in der Luft und unter Wasser bewegen
Hans-Georg Meier-Stein

Die erste große Landesausstellung des Naturkundemuseums in Karlsruhe zeigt unter dem Titel „Bodenlos – durch die Luft und unter Wasser“, welche erstaunlich vielfältigen, raffinierten und verfeinerten Bewegungsmechanismen die unterschiedlichen Lebewesen im Laufe der biologischen Evolution in Räumen und Zonen ohne festen Grund entwickelt haben und was der Mensch selbst bei seinem Aufbruch in andere Welten davon kopiert hat.

Die ersten Insekten entstanden bereits vor 300 Millionen Jahren, waren libellenartig und entwickelten sich zu enormer Größe, weil es die Vögel als Freßfeinde noch nicht gab. Einige brachten es bis zu einer Spannweite von 70 Zentimetern; es waren die größten Insekten der Erdgeschichte.

Vor 200 Millionen Jahren eroberten die Flugsaurier in einer überraschenden Formenvielfalt die Luft. Ihr bevorzugter Lebensraum war in der Nähe größerer Gewässer, an Küsten und Seen, wo sie Jagd auf Beutetiere machten, wobei ihnen ihr außerordentliches Sehvermögen zustatten kam. Ihre Blütezeit erlebten sie zwischen der oberen Trias und der Kreide.

Das größte Exemplar mit einer Spannweite von zwölf Metern war Quetzalcoatlus, der vor 65 Millionen Jahren lebte und dessen behaarter Körper uns vor die Frage stellt, ob dieses größte flugfähige Tier, das es je gegeben hat, möglicherweise schon warmblütig war. Eine imposante Nachbildung schwebt ehrfurchtgebietend im weiten Treppenhaus des Museums über den Köpfen der Besucher. Vorfahren der Flugsaurier in der unteren Trias oder vielleicht schon im Perm könnten vierbeinige kletternde Baumreptilien gewesen sein, deren Hautfalten an den Seiten dem Gleitflug dienten.

Aus den landbewohnenden und kriechenden Reptilien, nicht aus den Flugsauriern, haben sich die Vögel entwickelt. Als Urvogel ist der Archaeopteryx bekannt, der im Jurakalk von Selnhofen in Franken gefunden wurde und von dem in der Ausstellung ein fossiler Skelettabdruck gezeigt wird. Dieser bekannteste Vogel der Urzeit hatte zwar tatsächlich ein sehr vogelähnliches Aussehen, war aber wohl eher ein gefiedertes Reptil. Das zeigen deutlich der Reptilienschädel, die Bezahnung, der knöcherne Schwanz, die Wirbelsäule, die Bauchrippen, das Becken und die bekrallten Finger an den Flügeln. Die Ahnen dieses seltsamen Tieres, das als Bindeglied zwischen Reptilien und Vögeln anzusehen ist und das vor 150 Millionen Jahren von den Bäumen flatternd herunterglitt, waren wahrscheinlich kleine, zweibeinig laufende Reptilien mit und ohne Federn. Die Ausstellung bietet dazu eine interessante fossile Dokumentation.

Und dann ist da noch die faszinierende Bewegungstechnik der Arten, die im Meer leben. Die meisten Fische verdanken ihre Gewandtheit einem komplizierten Flossenbau. Andere Tiere bewegen sich mit gleichmäßig schlagenden Wimpern, mit Armen oder paddelnden Beinen, wie die Schildkröten, oder mit Hilfe von Rückstoßantrieb. Die Rochen benutzen ihre seitlichen Körperanhänge wie elastisch schwingende Flügel, erreichen dabei aber nicht die großen Geschwindigkeiten jagender Arten mit schlagendem Schwanz. Die lebhaften Tintenfische und Kalmare haben einen Flossensaum, der wellenförmig schwingt. Auch die Flunder erzeugt mit stark vergrößerten After- und Rückenflossen wellenartige Bewegungen, andere erinnern an Raketenantriebe. Die Orientierung erfolgt bei allen Fischen durch die sogenannte Seitenlinie, die auf kleinste Druckveränderungen des Wassers reagiert.

Die Schau führt weiter und zeigt die Techniken, die der Mensch sich dienstbar gemacht hat, um sich im Bodenlosen fortzubewegen. Der Aufschwung in die Luft gelang erstmalig mit dem Heißluftballon Montgolfiere, dann folgten das Drachen- und das skurrile Radflugzeug, der Doppeldecker und das Flügelschlagflugzeug von Lilienthal und die Flugmaschinen der Gebrüder Wright. Daß der Mensch von früh an vom Vogelflug fasziniert war, bezeugt die Welt der Mythen und Sagen: Wir denken an Ikarus und Wieland den Schmied.

Die Ausstellung eröffnet einen interessanten Blick in die Paläontologie, die uns davon berichtet, welch merkwürdige Geschöpfe einst die Erde bevölkert haben. Dabei wird uns bewußt, daß unsere Welt doch wunderliche Märchen kennt.

Die Ausstellung „Bodenlos – durch die Luft und unter Wasser“ ist bis zum 27. Oktober im Naturkundemuseum Karlsruhe, Erbprinzenstraße 13, täglich außer montags von 9.30 bis 17 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro (ermäßigt 6 Euro). Telefon: 07 21 / 175-21 11

www.bodenlos2013.de

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