© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Drei Engel thronen auf der Königin der Instrumente
In Erinnerung an Johann Sebastian Bach: Eine neue alte Barock-Orgel für die Kirche St. Katharinen in Hamburg
Sebastian Hennig

Die Hamburger Hauptkirche St. Katharinen war einst die Seefahrerkirche der Hansestadt. Am 30. Juli vor siebzig Jahren wurde der stolze Bau während des dritten Großangriffs der Operation „Gomorrha“ durch britische Bomben in Schutt gelegt. Bereits 1956 war ein erster Wiederaufbau abgeschlossen. Seither hat sich in Hamburg vieles verändert.

Das ehrgeizige Projekt der „HafenCity“ prägt inzwischen den Stadtteil. Und wenn die städtebauliche Umgestaltung der Speicherstadt und des Hafengeländes fortschreitet, erhält auch die Kirche ein neues Einzugsgebiet. Davon profitiert Sankt Katharinen schon heute. 2007 begann eine zweite umfassende Rekonstruktionsphase. Am 1. Advent 2012 öffnete die Kirche nach zwanzigmonatiger Schließzeit wieder ihre Türen.

Während der beispiellosen materiellen Wiederaufbauleistungen der Nachkriegszeit gelang es nicht immer, zugleich die verlorene Seele vieler Orte mit wiederzubeleben. Dafür war das Ausmaß der Zerstörung einfach zu groß. In die norddeutsche Kirchenmusiklandschaft riß der Verlust der beiden großen Orgeln in Lübeck und Hamburg, den Wirkunsstätten der Organisten Buxtehude und Reincken, eine schmerzliche Lücke.

Die berühmte Lübecker Totentanzorgel hat der Krieg im Ganzen gefressen. In St. Katharinen hatte man zwar die siebzehn ältesten Register vorsorglich ausgelagert. So blieben zunächst über tausend Pfeifen erhalten, von denen wurde aber nur die Hälfte in den Neubau von 1962 eingefügt, und der andere Teil, heute unbegreiflich, vermutlich als Rohstoff für neue Pfeifen verwendet.

Als der Organist Andreas Fischer 1994 sein Amt in Sankt Katharinen antrat, fand er ein ungenügendes Instrument vor. Ein Gutachten des Nord-elbischen Orgelsachverständigen empfahl einen Neubau. Wie immer an derart sensiblen Verluststellen kulturhistorischer Substanz begann damit eine kurze und heftige Auseinandersetzung um den Charakter des neuen Instruments.

Gegen die Verlockung eines großen sinfonischen Klangs in der kathedralartigen Akustik von St. Katharinen setzte sich bald die Besinnung auf die große lokale Tradition der Norddeutschen Orgelschule durch. Schließlich hatte 1720 Johann Sebastian Bach hier sein legendäres Vorspiel, das seinem eifersüchtigen vormaligen Orgellehrer Reincken das Zugeständnis abnötigte: „Ich dachte diese Kunst wäre gestorben, sehe aber, daß sie in Ihnen noch lebet.“

Dieses Kompliment läßt sich gut übertragen auf die Anfang Juni eingeweihte neue alte Orgel von St. Katharinen. Die Norddeutsche Orgelschule war immer eng verbunden mit den Niederlanden. So stammte auch Johann Adam Reincken aus Deventer an der Ijssel. Der Auftrag für die Rekonstruktion der Hamburger Orgel lag bei Flentrop Orgelbouw aus Zaandam in guten Händen. Diese Firma entstand aus der Selbsthilfe des Organisten Hendrik Wicher Flentrop, der von der instinktlosen „Modernisierung“ seiner Orgel in der Westzijderkerk im Jahr 1900 so enttäuscht war, daß er bald darauf eine eigene Werkstatt eröffnete.

Flentrop wurde zu einem treibenden Mitglied der Orgelbewegung, der so bekannte Persönlichkeiten wie Albert Schweitzer, Karl Straube oder Hans Henny Jahn angehörten. Diese Richtung bevorzugte das Klangideal des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Sohn Dirk Flentrop machte später seine Instrumente in Übersee berühmt und geschätzt.

Alle Pfeifen wurden im Betrieb selbst gearbeitet. Auf einem Foto von der Herstellung sind zehn Paar Hände bei der Rundung der größten Pfeife, des Prinzipal 32 zu sehen. Auch die Bedeutung eines neuen Prospektes in alter Gestalt für die Bewahrung des Klanges mußte gegen Zweifel, Gewohnheiten und Widerstände des Denkmalamtes, des Kirchenvorstand und der Architekten durchgesetzt werden. Die eigens gegründete „Stiftung Johann Sebastian“ machte sich für die Orgel stark. 2004 bahnte schließlich ein Symposium in St. Katharinen während des Hamburger Bachfests dem Neubau den Weg.

Die Dokumentationslage über Fotos war gut, teilweise verwirrend gut. Viel nachträgliches Schmuckwerk am Prospekt wurde bei der Rekonstruktion weggelassen. Man konzentrierte sich auf die Charakterzüge der Spätrenaissance und des Frühbarock. Die alten Schmuckgestalten kommen im Verhältnis zu dem klar konturierten Gehäuse besonders gut zur Geltung und werden nicht mehr von den späteren ausufernden Beigaben überwuchert.

Den Bildschmuck besorgte die Augsburger Bildschnitzerin Christiane Sandler, die auch schon an der Innenausstattung der Dresdner Frauenkirche beteiligt war. Drei bewegte Engel bekrönen die Orgel. Auf den seitlichen Baßtürmen blasen sie die Posaune. Der mittlere spielt die Flöte. Die Schleierbretter, die den Übergang der oberen Pfeifenenden ins Gehäuse verdecken, zeigen groteske Fabelwesen und Pflanzenornamente.

Das Instrument wurde im Juni mit einer Festwoche eingeweiht. Kirchenmusikdirektor Andreas Fischer ist mit diesem Instrument nicht nur zufrieden. Er ist begeistert über den vollen Klang und die Vielgestaltigkeit. Unter den regelmäßigen Gastkonzerten war das Konzert des Dresdner Kreuzchors Anfang Juli ein Höhepunkt. Am ersten September gibt es dann das zweite Konzert eines Zyklus des gesamten Orgelwerks Johann Sebastian Bachs, der 2016 abgeschlossen werden soll.

Bach, der das Instrument seinerzeit als ein „in allen Stücken vortreffliches Werk“ rühmte, erhielt keine Anstellung in Hamburg. Statt dessen wurde der Posten an einen reichen Müllersohn verschachert. Der Hauptprediger Neumeister mißbilligte die Entscheidung und hielt sie der Gemeinde von der Kanzel aus unter die Nase. Während er über die Engelsmusik bei Christi Geburt predigte, fügte er hinzu: „Er glaube ganz gewiß, wenn auch einer von den Bethlehemitischen Engeln vom Himmel käme, der göttlich spielte (…) hätte aber kein Geld, so möge er nur wieder davonfliegen.“ Dreihundert Jahre später kamen in Hamburg Geld und Sachverstand zusammen und ermöglichten eine der staunenswertesten Leistungen in der jüngsten Orgelbaugeschichte.

www.katharinen-hamburg.de

www.stiftung-johann-sebastian.de

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