© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Auf die Idee muß man erst mal kommen
Ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung: Schülerinnen sammelten 19 Kilo Teebeuteletiketten aus Deutschland, Europa und Übersee
Ellen Kositza

Edith Broy ist sechzehn. Sie bewohnt mit ihrer Familie ein altes Haus. Darin gibt es eine Speisekammer, die ihre ursprüngliche Funktion längst nicht mehr erfüllt. Wo es einst nach geräucherter Wurst und nach dem prickelnden Inhalt versehrter Weckgläser gerochen haben mag, erfüllt ein blumiger Duft den Raum mit den gekalkten Wänden. Es riecht betörend. Nach Beeren? Blüten? Vanille? Holzigere Noten mischen sich darunter, Zimt vielleicht, Kardamom? Ein schillerndes Bouquet jedenfalls.

In der Kammer ist keine Kräutersammlung untergebracht, sondern papierne Relikte. Edith und ihre Schwestern Ursula (15) und Franziska (12) sammeln Teefähnchen. Jene rechteckigen Schnipsel, die handelsüblichen Teebeuteln anhängen. Gesammelt wird seit Ediths Grundschulzeit. Mittlerweile sind es 132.400 dieser metallgeklammerten Papierchen, 19 Kilogramm. „Den dazugehörigen Tee haben wir zum geringsten Teil selbst getrunken“, erklärt Ursula. Es gibt Dutzende Beiträger: Nicht nur Freundinnen und Familienangehörige, die Sache habe sich rasch ausgewachsen. Ursula nennt ein Beispiel: „Die Mutter einer Klassenkameradin hat auf Kur eine Frau kennengelernt, deren Schwester uns nun im Vierteljahrestakt Großbriefe voller Teefähnchen zuschickt.“ So ähnlich wird von vielen persönlich Unbekannten die Sammelleidenschaft unterstützt: der Neffe des Kollegen des Onkels, die Brieffreundin der Nachbarin der Großmutter.

Wie kommt man auf eine solche Idee? Ursula sagt, am Anfang stand die begeisterte Lektüre des Guinness-Buchs der Rekorde. Wahnsinn, was die Leute sammeln! Eine Düsseldorferin hat 15.000 Barbiepuppen gesammelt. Eine Frau aus Dinslaken 220.000 Kugelschreiber. Eine Mainzerin 231.686 Zuckerwürfel. Das habe den Ansporn gegeben. Franziska verbessert. Nein, angefangen habe es mit den Yogi-Tee-Schnipseln. Mit den sinnstiftenden Sprüchen darauf. Eine Losung für jeden Tag. Franziska klappt eins der Alben mit den Unikaten auf und zitiert „‘Wir sind spirituelle Wesen, die eine menschliche Erfahrung machen’ oder, richtig genial: ‘Glück ist ein Geburtsrecht’. So was muß man doch sammeln!“

Die Schwestern lachen und schauen sich mit rollenden Augen an. Ursula korrigiert abermals: „Nein, angefangen hat es mit Diddl. Alle in der Klasse haben Diddl-Maus-Sachen gesammelt, vor allem das Briefpapier. Mama wollte das nicht kaufen, und wir kamen über acht Briefbögen nicht hinaus. So ähnlich war’s mit den Sammelkarten aus dem Supermarkt. Dann hat Edith mit Briefmarken angefangen und fand das bald langweilig.“ Edith grinst. „Ja, da war man in spießiger Gesellschaft. Da ging’s gleich um Geld. Abgesehen davon, das Zeug roch nicht mal gut.“

Nun lagern in der Kammer körbeweise wohlriechende Teefähnchen, daneben Alben, in denen die unterschiedlichen Exponate dokumentiert sind. Das Ziel, einen Weltrekord gemäß den strengen Guinness-Richtlinien aufzustellen, haben die Schwestern einstweilen zurückgestellt. „Der Rekord, von einem Ungarn 2011 aufgestellt, liegt bei 839 Einzelstücken. Den haben wir längst überwunden.“

Die Schwestern zählen 2041 unterschiedliche Fähnchen, aus ganz Europa, aus Südafrika, den USA. Die Anmeldung bei Guinness erschien den dreien umständlich. „Erst mal die Unterlagen übersetzen! Und dann muß alles von einem Notar und einem ‘ausgewiesenen Experten’ beglaubigt werden. Muß öffentlich ausgestellt werden, dazu eine Videodokumentation“, sagt Ursula. „Vielleicht hab’ ich nach dem Abitur Lust und Zeit. Oder als Rentnerin“, grinst Edith. Bis dahin wird weiter gesammelt. „Sinnlos, aber lustig“, kommentiert Franziska.

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