© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Der Flaneur
Sorglos, allzu sorglos
Sebastian Hennig

Die Nichtstadt im Speckgürtel der Landeshauptstadt gilt als kaufkräftigste der neuen Bundesländer. Freilich ist hier der Speck etwas durchwachsener vom mageren Muskelfleisch aus den Zeiten des Mangels und der Improvisation. Doch die Reconquista der Millionäre in die Villenviertel setzt sich fort. Heimattreue Eingeborene, die ohne Haus- und Grundbesitz im sächsischen Nizza verharren möchten, fühlen sich zunehmend als Fremdkörper.

Der Durchschnitt besteht aus dem bessergestellten Mittelstand, aus Familien, deren Kinder freie Schulen besuchen, die sich bei der Nahrungssuche vom Demeter-Siegel leiten lassen und mit dem Wohnmobil nach Schweden in den Urlaub fahren. Natur und Architektur verbürgen menschenwürdige Lebensumstände.

Eine Straßenbahn trägt einen aus dem Gartenland bis vor den Balkon Europas. Vor Ort gibt es ein Drei-Sparten-Theater und eine Stadtbibliothek. Die wurde vor Jahren in das Bahnhofsgebäude überführt. Dort zeugt gerade wieder ein Bauplatz vom fortgesetzten Versuch, den Mangel eines Stadtzentrums mit universeller Häßlichkeit auszugleichen.

Wer hier entlangstolpert, zwischen Absperrungen und Schotter, ist entweder Bauarbeiter oder er besucht, wie ich, die Bibliothek, um nur schnell zwei Bücher abzugeben. Das Schrottrad flugs an ein Schild gelehnt. Es anzuschließen wäre überflüssig. Entnehme der Fahrradseitentasche die Bände und lasse jene sorglos am Gepäckträger hängen. Schnell bin ich drin und schneller wieder draußen.

Da ist nun die Tasche so weg, als wäre sie niemals dagewesen. Nie hätte ich für einen Gebrauchsgegenstand diese Summe aufbringen wollen und ersteigerte das teure Markenprodukt im Netz für die Hälfte. Nun ist sie dahin und vervollständigt an einem anderen Rad irgendein alternatives Lebenskonzept. Nach Bewältigung der Aufwallung bleibt mir nur, Hermes anzuflehen um Alternativen zu diesen Alternativen.

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