© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Kohls offenes Geheimnis
Einwanderung: Anfang der achtziger Jahre starteten Union und FDP einen vergeblichen Versuch, die Zahl der Türken in Deutschland zu halbieren
Christian Schreiber

Helmut Kohl ist für keinen Journalisten zu sprechen. Bis auf eine Erklärung seines Berliner Büros am vergangenen Wochenende blieb der Altbundeskanzler stumm. Darin verteidigte der CDU-Politiker die 30 Jahre alten Äußerungen zur Ausländerpolitik, die in den Tagen zuvor für einigen Wirbel gesorgt hatten.

Spiegel Online hatte aus britischen Geheimprotokollen von einem Treffen zwischen dem damaligen Bundeskanzler und der britischen Premierministerin Margret Thatcher zitiert, welches unmittelbar nach Kohls Amtsantritt im Jahr 1982 stattfand. Dabei soll Kohl gesagt haben, daß es über die nächsten vier Jahre notwendig sein werde, die Zahl der Türken in der Bundesrepublik um 50 Prozent zu reduzieren. Aber er könne dies zum gegebenen Zeitpunkt nicht öffentlich machen. Als Begründung sagte der Bundeskanzler gegenüber Thatcher, „daß es unmöglich ist, die Türken in ihrer gegenwärtigen Zahl zu assimilieren“. Mit Europäern und Südostasiaten habe Deutschland kein Problem, da diese sich gut integrierten: „Aber die Türken kämen aus einer sehr andersartigen Kultur.“ Jeder zweite müsse das Land verlassen, die übrigen sollten in der deutschen Sprache geschult werden. Als Beispiele für das „Aufeinanderprallen zweier verschiedener Kulturen“ nannte der CDU-Politiker den Berichten nach Zwangsehen und Schwarzarbeit der Türken.

Kohls Büro verteidigte nun die Aussage, er habe die Zahl der in Deutschland lebenden Türken halbieren wollen, mit dem Hinweis, dies sei „damals auch in Deutschland bereits Teil einer hinreichend und breit geführten Debatte zur Ausländerpolitik“ gewesen. Weitere Angaben wollte Kohl nicht machen, bestätigte aber in der Erklärung die Authentizität der Veröffentlichungen.

Historiker stufen die Äußerungen Kohls als Beleg für die Denkweise dieser Zeit ein. Immerhin fand sich im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP aus dem Jahr 1982 auch folgender Passus: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ Im Laufe der Jahre hat Kohl seine Einstellung zur Einwanderung maßgeblich revidiert und im Jahr 1993 schließlich einen deutlichen Kurswechsel vollzogen. Gegen innerparteiliche Widerstände setzte er schließlich durch, daß Ausländer der dritten Generation eingebürgert werden konnten. Die Migranten trügen „ganz erheblich zum Wohlstand der Deutschen“ bei und sicherten deren Renten mit, sagte Kohl damals.

Zehn Jahre zuvor hatte die schwarz-gelbe Koalition noch mit einem „Gesetz zur befristeten Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern“ versucht, die Türken mit einem Abschiedsgeld von 10.500 D-Mark und Auszahlung ihrer Rentenversicherungsbeiträge zu bewegen, zurück in die Heimat zu ziehen. Der Erfolg des Vorhabens blieb überschaubar. Von den damals rund 1,5 Millionen Türken zogen 100.000 zurück in ihre Heimat.

Mit seiner Kritik an der mangelnden Integrationsbereitschaft der türkischen Einwanderer stand Kohl damals übrigens nicht alleine. Sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt (SPD) wird die Aussage zugeschrieben, daß ihm kein Türke mehr über die Grenze komme. Heute gibt Schmidt zu, daß die damalige Einwanderungs- und Integrationspolitik große Schwächen aufgewiesen habe. „Die Deutschen haben das Problem der Integration der Ausländer lange Zeit nicht begriffen. Sie haben in absolut unzureichender Weise Integrationshilfen geleistet. Das gilt bis auf den heutigen Tag. Ich mache mir selber Vorwürfe deswegen. Aber auch allen anderen. Wir haben das nicht gut gemacht“, sagte er der Zeit.

Der SPD-Politiker wies aber auch auf ein nach wie vor bestehendes Problem hin: „Einige der jungen Türken wollen sich gar nicht integrieren. Nur die, die wirklich mit Energie an sich arbeiten, bringen es zu einem guten Schulabschluß oder schaffen es zu studieren.“ Dabei erweisen sich die Gremien der Europäischen Union wieder einmal nicht als große Hilfe. Die EU-Kommission hatte sich Anfang Juli gegen Deutschtests für einwanderungswillige ausländische Ehegatten ausgesprochen und deswegen ein Verfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Tests, die bei schlechten Ergebnissen zu einer Verweigerung der Einreise führten, verstoßen demnach gegen die Gesetze der Europäischen Union. Bei den Tests haben Bewerber aus der Türkei bisher überdurchschnittlich schlecht abgeschnitten, was zeigt, daß Altkanzler Kohl mit seiner Einschätzung von vor 30 Jahren offenbar so falsch nicht lag.

Zustimmung erhielt Kohl am Wochenende von dem als einwanderungskritisch bekannten SPD-Politiker Thilo Sarrazin: „Heute sind die Integrationsprobleme eines großen Teils der muslimischen Migranten in Europa zwar in aller Munde, werden aber von der Politik gerne weiter öffentlich geleugnet oder verniedlicht“, sagte er dem Focus.

Foto: Bundeskanzler Helmut Kohl (1983): 100.000 Gastarbeiter und ihre Familien kehrten in die Heimat zurück

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