© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Filtern und Speichern
Überwachungsstaat: XKeyscore ist nur die Spitze des Eisbergs, amerikanische Geheimdienste speichern einfach alles – auch Telefonate
Ronald Gläser

Weltweite Reisewarnungen wie die vom vergangenen Freitag sprechen amerikanische Behörden nur selten aus. So gab es beispielweise eine an dem Tag, als Osama bin Laden erschossen wurde. Die US-Geheimdienste rechneten damals mit Vergeltungsaktionen. Sie blieben dann aber aus.

Den amerikanischen Diensten kam nun die abgefangene E-Post eines führenden al-Qaida-Terroristen gerade recht. Darin sei von einem bevorstehenden Anschlag die Rede, heißt es aus Geheimdienstkreisen. Aus Sorge um ihre Auslandsvertretungen schlossen die Amerikaner schleunigst 19 Botschaften weltweit. Und das, obwohl Präsident Barack Obama immer wieder betont hatte, daß al-Qaida schwer angeschlagen und Bin Laden tot sei. Jetzt also doch keine Entwarnung?

Die Befürworter des gigantischen Geheimdienstapparates verschwendeten keine Zeit, diese jüngste Terrorwarnung als Beleg für die Notwendigkeit der Überwachung zu feiern. Die amerikanischen Behörden, allen voran CIA und NSA, stehen wegen ihrer hemmungslosen Datensammelei im Fadenkreuz der Kritik. Im Repräsentantenhaus wäre beinahe ein Antrag durchgekommen, der der NSA das Geld abgegraben hätte. Und die öffentliche Meinung neigt sich immer stärker gegen den ausufernden Überwachungsstaat.

Das ist alles Ergebnis des „Snowden-Effekts“: Amerika diskutiert darüber, wieviel Überwachung sein muß. Immer neue Enthüllungen des Journalisten Glenn Greenwald (Portrait Seite 17) sorgen dafür, daß das Thema nicht im Sommerloch versickert.

So veröffentlichte Greenwald in der vergangengen Woche eine atemberaubende NSA-Präsentation über XKeyscore. Dieses NSA-eigene Suchprogramm kann Zielpersonen in einer bislang ungeahnten Weise ausspähen: Was tippt jemand in diesem Moment auf seiner Tastatur? Nummern, Adressen, Freundeslisten – alles wird gespeichert. Unter anderem sei das Programm in der Lage, deutschsprachige Personen herauszufiltern, die sich gerade in Pakistan aufhalten, so das NSA-interne Dokument, das Glenn Greenwald nun im Guardian veröffentlicht hat. Jene Unterlagen über das als „streng geheim“ gekennzeichnete Programm XKeyscore sind von 2008. Seitdem dürfte das Programm noch weiterentwickelt worden sein.

Mit dieser Enthüllungsgeschichte ist die Aussage führender Vertreter des Sicherheitsapparates widerlegt, die behaupten, die NSA habe keinen Einblick in fremde E-Mails. Schon zuvor hatten Bill Binney und Tom Drake, zwei NSA-Aussteiger, immer wieder berichtet, daß die NSA auch Inhalte im großen Stil speichert (JF 43/12).

Und es sind nicht nur E-Mails, die mitgelesen werden. Es spricht einiges dafür, daß sämtliche Telefonate zumindest vorübergehend gespeichert werden, auch wenn die Dienste das zur Zeit noch halbherzig dementieren.

Der frühere FBI-Antiterrorexperte Tim Clemente sagte in einem Interview bei CNN nach dem Bombenattentat von Boston im April: „Wir haben bei Untersuchungen zur nationalen Sicherheit die Möglichkeit herauszufinden, was genau in einem Telefonat gesagt worden ist.“ Auf die Rückfrage des überraschten Moderators („Das ist ja unglaublich“), antwortete Clemente vielsagend: „Willkommen in Amerika. Hier wird alles gespeichert.“

Wozu sonst hat die NSA in der Wüste von Utah jenes monströse Datensammelzentrum gebaut? Aussteiger vermuten, daß es für alles ist, was sich irgendwie elektronisch speichern läßt: Telefonate, E-Mails, Überweisungen, Amazon-Einkaufslisten, Parkvignetten, einfach alles.

Noch eine weitere Enthüllung betraf in der vergangenen Woche wieder die Polizeibehörde FBI: Sie nutzt die Kameras in Android-Handys, um Verdächtige zu überwachen. Längst ist das Smartphone zu einer Art elektronischen Fußfessel geworden. durch das der Nutzer systematisch ausgeforscht werden kann.

Weitere Nahrung erhalten die Geheimdienstkritiker durch eine weitere Enthüllungsgeschichte vom Montag: Reuters berichtet, daß amerikanische Behörden untereinander Informationen in bislang unbekanntem Umfang austauschen.

Es geht um die Anti-Drogen-Behörde DEA, CIA, FBI, NSA, das Finanzamt und das Heimatschutzministerium. In einer Reihe von Fällen wurden Informationen aus Überwachungen an andere Behörden weitergegeben. Einerseits ist es wünschenswert, daß Informationen, die zur Ergreifung von Straftätern oder Terroristen führen, ausgetauscht werden. Andererseits wirft das die Frage auf, ob es überhaupt noch eine Trennung gibt zwischen Ausländern, die auch ohne Durchsuchungsbefehl überwacht werden können, und Amerikanern, deren Bürgerrechte zu wahren sind und für deren Bespitzelung ein Durchsuchungsbefehl zu beantragen ist.

Im Zeitalter von XKeyscore, Prism und Co. wird ein solches Dokument zu einem ebenso lästigen wie überflüssigen Schriftstück für Behörden, die alles untereinander tauschen dürfen.

 

Wo ist Edward Snowden gerade?

Edward Snowden hat in Rußland Asyl erhalten, was für Ärger mit den Amerikanern sorgt. Die prüfen angeblich die Absage eines Gipfeltreffens oder einen Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi. Nebenbei erfährt die Öffentlichkeit von vorbildlichen Asylgesetzen: Snowden genießt volle Freizügigkeit zwischen Kamtschatka und Königsberg. Natürlich sorgt der Staat nicht für Unterhalt. Snowden soll aber ein Jobangebot unterbreitet worden sein – als Programmierer beim russischen „Facebook“ VKontakte.

Foto: XKeyscore-Präsentation: Diese Landkarte von der NSA zeigt, wo die 700 Server des Geheimdienstes stehen

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