© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

„Wie der Fall der Berliner Mauer“
Italien: Ex-Premier Silvio Berlusconi letztinstanzlich als Steuerbetrüger verurteilt / Kassationsgerichtshof entscheidet über Politikverbot
Paola Bernardi

In der schwülen Augustabendhitze hatten sich Tausende aus ganz Italien vor dem Palazzo Grazioli im Herzen Roms versammelt. Sie trugen Plakate wie „Silvio, wir sind mit dir“ oder „Märtyrer der Freiheit“ und verlangten: „Schluß mit der politischen Justiz!“ Es war eine jener Demonstration, die stattfanden, nachdem der Oberste Gerichtshof die vierjährige Haftstrafe gegen Silvio Berlusconi wegen Steuerbetrugs bestätigt hatte. Die Sperre öffentlicher Ämter für fünf Jahre wurde an den Kassationsgerichtshof verwiesen. Von den vier Jahren Haft bleibt aufgrund seines Alters ein Jahr Hausarrest übrig. Berlusconi kann vorläufig in der Politik bleiben. Das Urteil ist daher Sieg und Niederlage zugleich. Erstmals ist der 76jährige Ex-Premier und Gründer der Fininvest-Holding rechtskräftig verurteilt worden.

Das Urteil trifft Italien in schwieriger Situation: Die Wirtschaft liegt am Boden, die Staatsverschuldung hat 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht, die Arbeitslosigkeit steigt. Gleichzeitig stöhnen die Bürger unter der höchsten Steuerlast in Europa. Noch versuchen alle zu beschwichtigen: An vorderster Front der postkommunistische Staatspräsident Giorgio Napolitano, der von seinem Urlaub nach Rom zurückkehrte, um die große Koalition unter Enrico Letta zu retten. Er stützt sich auf seine linken Demokraten (PD) und Berlusconis Mitte-Rechts-Partei „Volk der Freiheit (PDL). Ein fragiles Bündnis, das jederzeit platzen kann.

Denn Berlusconi wird Italien weiter polarisieren. Alles begann 1992 mit „Mani pulite“ (Saubere Hände), einer Moraloffensive der Mailänder Richter, die die jahrzehntelang regierenden Christdemokraten und Sozialisten durch Verhaftungen hinwegfegte. Da schien der Weg frei für die Kommunisten. Doch just in diesem Moment betrat der Mailänder Unternehmer Berlusconi die politische Bühne mit seiner Partei „Forza Italia“ – im Bündnis mit Postfaschisten und rechter Lega Nord brachte er die Linke um ihren sicher geglaubten Sieg.

Seitdem ist das Land tief gespalten. Und was die italienische Justiz betrifft, sie war immer politisiert. Der damalige „Held“, Staatsanwalt Antonio Di Pietro, ging 1998 selbst in die Politik. Seine linksliberale Partei „Italia dei valori“ (Italien der Werte) scheiterte bei den Wahlen im Februar 2013 kläglich.

„In meinem Unternehmen Mediaset wurde nie eine falsche Rechnung ausgestellt, und es gibt auch keine schwarzen Kassen im Ausland“, erklärte Berlusconi in einer Videobotschaft. Dabei legte er die Hand aufs Herz und schaute dem Zuschauer genau ins Auge. „Ich bin unschuldig, doch die Regierung muß weitergehen.“ Der frühere Linke Giuliano Ferrara, Herausgeber der Zeitung Il Foglio, argumentierte realpolitisch: „Es ist nicht vorstellbar, daß eine so breite Wählerschaft, die Italiens Mitte verkörpert, einfach durch ein richterliches Urteil und nicht durch Entscheidung der Wähler aus dem Spiel genommen wird.“

Berlusconi-Anhänger haben inzwischen ein Gnadengesuch beim Staatspräsidenten angekündigt. Der Chef der oppositionellen Protestbewegung Fünf Sterne, Beppe Grillo, sieht das anders: „Berlusconi ist tot. Seine Verurteilung ist wie der Fall der Berliner Mauer.“ Aber um im Bild zu bleiben: In Berlin regiert inzwischen eine Frau aus der DDR. Und Berlusconis Tochter Marina plant angeblich ihren Einstieg in die Politik – der Cavaliere ist also längst nicht tot.

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