© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Grenzen zwischen Realität und Illusion
Kino: Der Thriller „Trance – Gefährliche Erinnerung“ ist gut inszeniert, aber es mangelt ihm an Vertiefung
Claus-M. Wolfschlag

Regisseur Danny Boyle kann als Meister des Filmfachs bezeichnet werden, und zwar quer durch alle Genres. In den 1990er Jahren startete er mit zwei schwarzen Krimikomödien („Kleine Morde unter Freunden“, „Lebe lieber ungewöhnlich“) und dem Drama „Trainspotting“. Mit „28 Days Later“ präsentierte er 2002 überraschend einen fulminanten Horrorfilm, drei Jahre später mit „Millions“ einen bezaubernden Kinderfilm. Dann folgte mit „Sunshine“ 2007 ein teils von Kubrick beeinflußter Science-fiction-Streifen. Acht Oscars erhielt 2009 die sich um einen indischen Quizkönig drehende Story „Slumdog Millionär“. Es folgte 2010 das Bergsteigerdrama „127 Hours“.

Da paßt im Rückblick eigentlich nichts zusammen, und dennoch ist alles stimmig. Boyle ist offenbar ein Regisseur mit Spaß an immer neuen Herausforderungen. Möglichenfalls wird er auch noch einen Western, einen Historienfilm und einen Erotikstreifen drehen wollen, um als Filmemacher in allen Sparten ins Guinness-Buch der Rekorde eingehen zu können. Gleichwohl gibt es stets auch eine Handschrift, eine handwerkliche Meisterschaft, die sämtliche Werke durchzieht.

Die Quantität der Filmthemen zeigt aber auch qualitative Schwächen: Boyle neigt zum schönen Schein, zur Oberfläche. Es mangelt also oft an Vertiefung. Diese Schwäche ist auch in seinem neuesten Film „Trance – Gefährliche Erinnerung“ erkennbar. In dem Krimi verbündet sich der verschuldete Kunstauktionator Simon (James McAvoy) mit der Bande des Gangsters Franck (Vincent Cassel). Ein Goya-Gemälde von Millionenwert soll während einer Versteigerung spektakulär gestohlen werden. Der Coup gelingt, doch als Franck das Bild aus dem Transportkoffer holt, befindet sich nur noch der Rahmen darin. Simon muß das Gemälde eigenmächtig in der Zeit zwischen dem Ausbruch der Panik im Auktionssaal und der Übergabe an Franck versteckt haben. Dumm ist nur, daß Simon sich nicht mehr daran erinnert, da er seit einem Schlag auf den Kopf unter Gedächtnisverlust leidet, was der sich betrogen wähnenden Gang gar nicht gefällt.

Deshalb sucht Simon die im Internet recherchierte Hypnose-Therapeutin Elizabeth (Rosario Dawson) auf, die ihm helfen soll, seine Amnesie zu überwinden. Was Simon indes nicht mehr weiß: Er und Elizabeth sind bereits miteinander bekannt.

Danny Boyle erzählt seinen Psychothriller mit viel Charme, einer guten Abgewogenheit zwischen Spannung, Gewalt und einer Prise Humor. Es entsteht ein Wechselspiel der drei Hauptfiguren, die ihr Auftreten verändern, so daß unklar wird, wer eigentlich der Gute und wer der Böse ist. Dieses nette Verwirrspiel erhält aber gegen Ende einige Dämpfer: Boyle will zuviel und hätte besser auf einige Umdrehungen verzichtet. Oft ist weniger mehr im Film. Das Hauptmanko: Da man keine der Figuren richtig greifen kann, kann man mit keiner wirklich sympathisieren. Auch erfährt man fast nichts Persönliches von ihnen, sie sind keine Helden mit Charakter oder Seele.

So bleibt „Trance – Gefährliche Erinnerung“ ein handwerklich sehr gut inszenierter Unterhaltungsfilm, wird aber leider nicht zu einem berührenden Werk, das Emotionen auslöst.

Foto: Hypnose-Therapeutin Elizabeth (Rosario Dawson) und Kunstauktionator Simon (James McAvoy): Wo steckt das geklaute Goya-Gemälde?

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