© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Wer nach oben guckt, ist Nazi
Ein Kunsthistoriker analysiert die Welt
Lydia Conrad

Georg Seeßlen studierte Malerei und Kunstgeschichte und zählt nach Ansicht der Werbefachleute des Bertz + Fischer-Verlages zu den „angesehensten und bekanntesten (Film)Publizisten“ Deutschlands. Und immerhin schreibt er tatsächlich auch für den Spiegel, die Frankfurter Rundschau, den Tagesspiegel, die taz und Die Zeit. Andererseits fehlt Seeßlen aber offenbar trotzdem jedwedes Grundverständnis für politische und historische Realitäten, wie er in seinem neuen Buch „Das zweite Leben des ‘Dritten Reichs’“ überaus eindrucksvoll unter Beweis stellt.

In diesem Werk, in dem er Thesen von 1994 wiederaufwärmt, dreht sich nämlich alles um die schlichtweg paranoide Behauptung, in Deutschland hätten die Faschisten und Faschistinnen (sic!) bereits schon des längeren wieder obsiegt: „Das offenste aller Geheimnisse der bundesrepublikanischen Geschichte ist, daß seit dem Ende der 1970er Jahre eine kontinuierliche Bewegung nach rechts in allen gesellschaftlichen Institutionen stattfindet.“ Als Beleg hierfür nennt Seeßlen unter anderem die von ihm herbeiphantasierte „Schließung der Archive“ mit Unterlagen aus der NS-Zeit.

Noch gruseliger kommt freilich die Schilderung daher, „wie die Politik selbst schließlich das Signal zur größten Faschisierungswelle der Nachkriegszeit gab“, indem sie das „Ausländerproblem“ erfand: „Auch jetzt steht im Zentrum der Tod von Menschen, nur daß sie in der ‘Asylpolitik’, der ‘Ausländerpolitik’ der BRD nicht mehr in eigenen Konzentrationslagern ermordet werden. Man mordet nicht mehr, man läßt morden ...“

Auf ähnlichem argumentativem Niveau bewegt sich dann auch der cineastische Teil. So wird dem Bergfilmer und Schauspieler Luis Trenker eine verdeckt faschistoide Körpersprache angedichtet: Schließlich sehe „man den frühen Trenker im Schlüsselbild nahezu aller seiner Filme und auf den Plakaten heroisch und entschlossen nach oben schauen, wo zugleich die Autorität, der Glaube und die Freiheit zu ahnen sind“. Offenbar ist dem Autor entgangen, daß meist alle Bergsteiger nach oben schauen – aber nicht, weil sie autoritätshörige Kryptonazis sind, sondern weil das nun einmal die altbewährte Fortbewegungsrichtung bei dieser Art von Betätigung darstellt.

Georg Seeßlen: Das zweite Leben des „Dritten Reichs“. Teil 1: Postnazismus und populäre Kultur. Verlag Bertz + Fischer, Berlin 2013, broschiert, 227 Seiten, Abbildungen, 9,90 Euro

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