© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Gerd Bosbach. Der populäre Statistiker entzaubert politische Mythen
Entlarven mit Zahlen
Michael Manns

Mathematikprofessoren stellt man sich als blasse Wesen vor: blutlos, humorlos, irgendwie nicht von dieser Welt. Gerd Bosbach von der Fachhochschule Koblenz widerlegt dieses Klischee. Der Statistiker mit der störrischen Frisur, der so locker daherkommt, genießt seit einiger Zeit die mediale Sonne. Fernsehenauftritte häufen sich, Zeitungsinterview reiht sich an Zeitungsinterview. Der Grund: Sein Buch „Lügen mit Zahlen. Wie wir mit Statistiken manipuliert werden“ verkauft sich glänzend, inzwischen findet es sich sogar in den Bestsellerlisten.

In der Tat: Durchaus unterhaltsam betreibt der sechzigjährige Rheinländer ein echtes Stück Aufklärung. Er entlarvt, wie Grafiken geschönt, wie mit Prozent-angaben die Wahrheit verschleiert wird – gleich ob beim Thema Wirtschaftswachstum, Wetter oder Wahlen.

Besonders gut kommt in Interviews seine Statistik-Anekdote über eine Ärzteorganisation an: Der Vorsitzende benötigte entsprechende Zahlen für ein Kostendämpfungsgespräch im Gesundheitsministerium. Tenor: Die Ärzte hätten genug geblutet, weitere Einkommenseinbußen seien unmöglich! Kein Problem, Bosbach lieferte das statistische Material. Drei Tage später jedoch wollte der Vorsitzende auf der Bundesdelegiertenkonferenz wiedergewählt werden. Nun brauchte er Jubelzahlen, wie gut sich die Einkommen der Ärzte dank des Engagements des Verbandes doch entwickelt hätten. Erneut: Kein Problem, Bosbach half mit passenden Daten. Ein schönes Beispiel – allerdings mit Potential für ein Eigentor. Oder konnte Bosbach nicht anders, weil er zeitweilig Mitarbeiter der Statistik-
abteilung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung war?

Über andere Kollegen richtet Bosbach nämlich streng: All die Rürups, Raffelhüschens und Miegels seien käuflich. Sie lieferten, so wirft Bosbach ihnen vor, Gutachten und Daten nach dem Motto: „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing.“

Vor allem deren Prognosen über die sozialen Auswirkungen des demographischen Wandels bringen Bosbach auf die Palme. Er hält dagegen, daß Deutschland im letzten Jahrhundert bereits eine enorme Veränderung vollzogen hat: „Wir sind im Schnitt dreißig Jahre älter, der Jugendanteil hat sich halbiert, der Anteil der Rentner vervierfacht“, gibt er zu bedenken. „Man stelle sich diese Zahlen heute vor, es hieße: Da kommt eine Katastrophe! Doch tatsächlich wurde in dieser Zeit der Sozialstaat ausgebaut, der Wohlstand gesteigert, die Arbeitszeit verkürzt.“ Wenn Bosbach spricht, herrscht hinterher meist Schweigen. Um seine Argumentation zu stützen, präsentiert er eine Rechnung mit ein Prozent Produktivitätswachstum für die nächsten Jahrzehnte. Ergebnis: Deutschland habe deutlich mehr Wachstum, als die Alterung verlange. Hoffentlich lügen Gerd Bosbachs Zahlen nicht.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen