© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Draußen vor der Tür
Wahlkampf: Die SPD gerät in der NSA-Debatte in die Defensive
Christian Schreiber

Als Frank-Walter Steinmeier Montag mittag vor die Presse trat, hatte der SPD-Fraktionschef und mit ihm seine Partei schon verloren. In der innenpolitischen Debatte über die NSA-Affäre hat die Union der SPD endgültig das Heft des Handels aus der Hand genommen. Sichtbares Zeichen dafür war der Auftritt Steinmeiers, der eigentlich vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages aussagen wollte, aber auf Druck der Union nicht durfte. So sprach er vor der Tür des abhörsicheren Tagungsraums zur Presse – und ging. Drinnen erklärte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) unterdessen die NSA-Affäre für beendet.

Dabei hatte es für die SPD so gut angefangen. Lautstark forderte Parteichef Sigmar Gabriel, Bundeskanzlerin Angela Merkel möge offenlegen, welche Kenntnis sie von den Ausspähaktionen des amerikanischen Geheimdienstes NSA gehabt habe. Die in allen Meinungsumfragen zurückliegenden Sozialdemokraten glaubten endlich ein Thema gefunden zu haben, um die CDU samt ihrer Vorsitzenden unter Druck setzen zu können (Kommentar Seite 2).

Mittlerweile sieht es so aus, als würde sich die Angelegenheit bald selbst erledigen. Die Bild-Zeitung fragte am Wochenende, ob es sich bei der „ganzen NSA-Sache nicht bloß um heiße Luft“ handeln würde. Zentrale Fragen sind nämlich immer noch ungeklärt: Wurden deutsche Bürger tatsächlich systematisch ausgespäht? Was wußten die jeweiligen Bundesregierungen davon? Und wer ist für die Kooperation zwischen dem Bundesnachrichtendienst (BND) und der NSA verantwortlich? Wochenlang sah es so aus, als könne die SPD die Union endlich vor sich hertreiben. Doch nun droht die Angelegenheit zu einem höchst peinlichen Bumerang zu werden. Denn die Zusammenarbeit der beiden Dienste basiere auf einer Vereinbarung aus der Amtszeit der rot-grünen Bundesregierung, teilte die Bundesregierung in der vergangenen Woche mit. Am 28. April 2002 sei ein entsprechendes Abkommen geschlossen worden, das „bis heute die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA“ bilde. Ursprung sei eine Grundsatzentscheidung des damaligen Kanzleramtschefs Steinmeier.

Für Gabriel und seine Genossen ist die Angelegenheit ziemlich peinlich. Schließlich gilt Steinmeier als außenpolitisches Schwergewicht und sollte im Wahlkampf als Trumpfkarte gegen den schwachen Außenminister Guido Westerwelle eingesetzt werden. Zudem galt er für den nicht unwahrscheinlichen Fall weiterer Oppositionsjahre als Garant für die Fraktionsführung. Doch nun könnte ausgerechnet Stabilisator Steinmeier selbst zum Problemfall werden. Der einstige Kanzleramtschef der rot-grünen Bundesregierung sei „der größte Heuchler in der ganzen Spionageaffäre“, sagte die Linke-Vorsitzende Katja Kipping der Mitteldeutschen Zeitung und forderte einen Offenbarungseid der Sozialdemokraten: „Während Steinbrück täglich ein Empörungstheater aufführt, kommt Schritt für Schritt heraus, daß Rot-Grün alle Türen aufgemacht hat, durch die die NSA und private Konzerne die Daten aus Deutschland absaugen.“ Nach Ansicht Kippings müsse die Affäre in einem Geheimdienst-Untersuchungsausschuß nach der Bundestagswahl aufgeklärt werden.

Auch der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler suchte in der vergangenen Woche den verbalen Schlagabtausch mit den Sozialdemokraten und forderte Aufklärung: „Dieses Verhalten öffnet Spekulationen Tür und Tor, ob es noch weitere Verabredungen gegeben hat. Ich erwarte deshalb von Herrn Steinmeier, daß er umfassend aufklärt, was zu rot-grünen Regierungszeiten beim Datenaustausch geschehen ist und vereinbart wurde“, erklärte der Wirtschaftsminister der Nachrichtenagentur dpa.

Steinmeier selbst wies die Angriffe mit dem Hinweis auf die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten vom 11. September 2001 zurück: „Was an Zusammenarbeit zur Aufklärung eines grauenhaften Verbrechens notwendig war, hat nichts zu tun mit der lückenlosen und flächendeckenden Abschöpfung von Daten unserer Bürgerinnen und Bürger“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, sprang seinem Parteifreund zur Seite. Die Regierung unternehme hier „den durchsichtigen Versuch im Wahlkampf, Steinmeier in eine Soße zu stecken mit Kanzleramtschef Ronald Pofalla und Innenminister Hans-Peter Friedrich“. Damit solle von deren Versäumnissen abgelenkt werden, sagte er Spiegel Online.

Noch während sich die bundesdeutschen Spitzenpolitiker gegenseitig Versäumnisse und Vertuschungsversuche vorwarfen, nahm die Debatte dann neuerlich eine unerwartete Wendung. Denn nach Angaben der Bundesregierung ist plötzlich gar nicht sicher, ob der amerikanische Geheimdienst überhaupt in großem Umfang in Deutschland spioniert hat. Die schwarz-gelbe Koalition verbreitet mittlerweile grundsätzliche Zweifel an der Version des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, der Geheimdienst habe rund 500 Millionen Kommunikationsdaten deutscher Bürger abgefangen. Man habe sich die Vorwürfe und Behauptungen „nie zu eigen gemacht“, machte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter deutlich. Bei den Daten handele es sich um „Auslandsüberwachung“, Deutsche seien nicht betroffen, sagte Streiter.

Noch immer unklar ist auch die Frage, wie zuverlässig die Quelle Edward Snowden überhaupt ist. Die FAZ spricht bereits von „einem großen Popanz“. Bei der ganzen Affäre handele es sich um „500 Millionen Irrtümer“.

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