© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Ein Schritt vor, einer zurück
US-Engagement am Nil: Hoffnungsträger Obama steht vor dem Scherbenhaufen seiner Ägyptenpolitik
Günther Deschner

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigt sich über die Lage in Ägypten tief besorgt. Irans geistliches Oberhaupt Ajatollah Khamenei warnt gar vor Bürgerkrieg. Die Lage ist verworrener denn je, und der Westen steht sprachlos da.

Wohin steuert das Land am Nil? Beinahe zweieinhalb Jahre nach Hosni Mubaraks Sturz sucht Ägypten noch immer einen Weg in die Zukunft – und bis jetzt steht noch nicht einmal die Richtung fest, in die es gehen wird. Zehntausende demonstrieren in der Hauptstadt Kairo weiter für den abgesetzten Präsidenten Mursi. Tausende seiner Moslembrüder halten trotz Drohungen und Ultimaten Plätze in Kairo besetzt.

Die Sicherheitskräfte wollen Blutvergießen vermeiden, heißt es; die Räumung könnte sich daher über mehrere Wochen erstrecken. Zugleich gingen jüngst Hunderttausend Sympathisanten auf die Straße, um Armeechef al-Sisi im „Kampf gegen den Terrorismus“ zu unterstützen. Gemeint sind damit die Islamisten. Schon verlangen erste Stimmen, Sisi müsse Präsident werden – „als würdiger Nachfolger“ des legendären Gamal Abdel Nasser.

Die Regierung will aber weiterhin mit den Demonstranten verhandeln. Die Gegner der demonstrierenden Mursi-Anhänger streiten sich über das weitere Vorgehen. „Aushungern“ wurde schon als „humane Lösung“ genannt, Strom und Wasser abstellen, Zugänge blockieren, die Zeltstadt der Moslembrüder „austrocknen“, vielleicht würden sie dann nach Hause gehen. Ansonsten müßte Ägyptens Innenminister stürmen lassen. Dabei könnte es Tausende Tote geben, hatte er gedroht.

Auch der Außenminister der Übergangsregierung, Nabil Fahmi, sagte, „das Bild Ägyptens in der Welt dürfe nicht verdunkelt werden.“ „Von außen betrachtet“ wirke es so, als würde sich die ägyptische Politik darin erschöpfen, „daß ein Übergang auf den andern folgt, daß sie sich in verwirrender Weise gleichen und daß nur die handelnden Figuren an der Spitze wechseln.“ Die Proteste der Moslembrüder müßten „möglichst schnell“ beigelegt werden, doch wichtig sei, „den Dialog mit ihnen jetzt und zukünftig weiterzuführen“.

Vor allem der Westen steht vor einem Trümmerhaufen. Ein Geschwader internationaler Vermittler versucht seit Wochen, zwischen den politischen Lagern auszugleichen. Als erste war EU-„Lady“ Catherine Ashton in Ägypten und konnte alle maßgeblichen Beteiligten sprechen – inklusive Mursi im Gefängnis. Gleich nach ihr ließ Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in Kairo die ihm geläufigen Worte „Demokratie“, „Freiheit“, „Beteiligung aller“, „friedlich“ und „Wohlstand“ fallen und wurde dann schnell abgespeist, soweit es die Höflichkeit zuließ.

Das kaum verhohlene Desinteresse und der Mißmut, den Ashton und Westerwelle ernteten, fallen in eine Zeit, in der Politikern aus dem Westen insgesamt schweres Versagen gegenüber dem Nahen Osten vorgeworfen wird. So bleiben ihnen wie Ashton und Westerwelle lediglich Appelle für „Runde Tische“ und „Dialog“, ergänzt durch humanitäre Hilfen, beträchtliche Kreditleistungen und verlorene Zuschüsse.

Kairo hält gern die Hand auf, doch politisch wird Europa kaum akzeptiert – und Washington erweckt sogar den Eindruck, nicht mehr alles in der einst so wichtigen Region so wichtig zu nehmen wie früher.

Die Auftritte und Äußerungen US-Abgesandter in Kairo können – wenn man sie ernst nimmt – nicht auf eine verbindliche Haltung zum ägyptischen Dilemma koordiniert worden sein. Wa-shington präsentiert keine schlüssige Beurteilung der politischen Entwicklung in dem wichtigsten arabischen Partnerland. Es offenbart sich vor allem ein konzeptionsloses Flickschustern in der Nahostpolitik der zweiten Präsidentschaft Barack Obamas.

Hatte der US-Präsident nicht im Juni 2009 im Kuppelsaal der Universität Kairo seine große Rede an die islamische Welt gehalten? Dabei mit großen Worten – vor allem nach dem Desaster der US-Politik im Irak und Afghanistan – für einen Neuanfang im Verhältnis Amerikas zur arabischen Welt sowie für mehr Demokratie in dem großen islamischen Bogen von Marokko bis Pakistan geworben. Mit Respekt und Hoffnung wurde er damals als „Heilsbringer“ gefeiert. Nach wenig mehr als vier Jahren gleicht die Region eher einem Pulverfaß.

Als einziger mit Durchblick und diplomatischem Geschick erscheint der stellvertretende US-Außenminister William J. Burns. Als erfahrener Diplomat, der – unabhängig von der politischen Farbe – mehreren Chefs im State Department zur Seite stand und sie in politisch heiklen Missionen vertrat, hat er seinen Aufenthalt in der ägyptischen Hauptstadt verlängert, um „den verfeindeten Parteien bei der Überwindung der Konfrontation zu helfen“, die seit der Entmachtung Mursis andauert. Schon im Vorfeld versicherte Burns dem Interimspremier al-Beblawi und al-Sisi, daß Washington dem Land kein Politikmodell aufzwingen wolle.

Konterkariert wird der als Vermittler anerkannte Burns allerdings durch seinen Chef, Außenminister John Kerry. Dieser hatte – „war es Schlafmangel, war es das Alter?“, wie die Süddeutsche Zeitung spottete – jüngst in einem Interview die Machtergreifung des Militärs in Ägypten als „wertvollen Beitrag zur Wiederherstellung der Demokratie“ gelobt. Ein paar Tage später aber war er zurückgerudert und hatte Armeechef al-Sisis entschlossenes Handeln dann doch als „Putsch“ bezeichnet.

Als nun Obama zusätzlich ausgerechnet die republikanischen Senatoren Lindsey Graham und John McCain auf Informationstour nach Kairo schickte, jenen McCain, den der erfahrene US-Botschafter Christopher Hill wegen dessen Forderung nach einer Militärintervention in Syrien zu den „im Lehnstuhl sitzenden Falken“ („armchair hawks“) rechnete, bestätigte er ägyptische und andere arabische Politiker aller Richtungen in ihrem tiefsitzenden Mißtrauen gegen die US-Regierung.

Daß Außenminister Kerry urplötzlich al-Sisi angreift, daß auch McCain, als „persönlicher Gesandter Obamas“ von „politischen Gefangenen“ und einem „Putsch“ grollte, den man auch so nennen müsse, hat dem unkoordinierten Auftritt der US-Politik in der ägyptischen Öffentlichkeit keine Pluspunkte eingetragen.

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